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Rundschau-Debatte des TagesIst die Bundeswehr auf dem Weg der Besserung?

Lesezeit 4 Minuten
Sonnenlicht fällt beim feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr auf dem Marktplatz in Haldensleben auf Soldaten und Soldatinnen der Ehrenformation.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages sieht die Bundeswehr in zunehmend schweren Personalnöten.

Etwas Licht, aber auch sehr viel Schatten: Der Jahresbericht der Wehrbeauftragten beschreibt eine Armee im Umbau. Mehrere Befunde sind sehr alarmierend – mit Blick auf die Verankerung der Truppe in der Gesellschaft und die bedrohliche Weltlage.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages sieht die Bundeswehr in zunehmend schweren Personalnöten: Während die Zahl der Soldaten bei rund 181.000 verharre, sei der Altersdurchschnitt binnen fünf Jahren deutlich gestiegen, sagt Eva Högl. Die SPD-Politikerin warnt: „Gleichzeitig wird die Bundeswehr immer älter. Während das Durchschnittsalter Ende 2019 noch 32,4 Jahre betrug, ist es bis Ende 2024 auf 34 Jahre gestiegen.“

Der alte Bundestag hatte das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgelegte Wehrdienstmodell wegen der Neuwahlen nicht mehr verabschiedet (s. Kasten). Högl mahnt deshalb: „Der nächste Bundestag sollte das Thema – die Einführung eines neuen Wehrdienstes sowie die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres – zügig diskutieren und Entscheidungen treffen.“

Vor allem fordert sie Tempo beim Wiederaufbau einer Wehrerfassung für den Dienst in den Streitkräften, die 2011 mit dem Aussetzen der Wehrpflicht abgeschafft wurde. Der Staat weiß seitdem nicht umfassend, wer für den Dienst in den Streitkräften aktiviert werden könnte. „Dadurch liegt kein umfassendes Lagebild hinsichtlich der jeweils der Wehrpflicht unterfallenden Geburtsjahrgänge und deren Bereitschaft sowie ihrer Fähigkeiten für einen Wehrdienst mehr vor, obwohl die auf Artikel 12a Grundgesetz und dem Wehrpflichtgesetz beruhende Wehrpflicht für deutsche Männer als potenzielle Verpflichtung weiterbesteht“, so Högl.

Personalstärke der Bundeswehr seit 1955

Personalstärke der Bundeswehr seit 1955

Die Wehrbeauftragte hilft nach Artikel 45b des Grundgesetzes dem Bundestag bei der Kontrolle der Streitkräfte. Sie gilt aber auch als Anwältin der Soldaten, die sich jederzeit an sie wenden können. Högls fünfjährige Amtszeit endet in diesem Mai. Ihr Jahresbericht stellt die Lage in der Bundeswehr nach Themenbereichen fest.

Finanzen

Mit rund 52 Milliarden Euro hatte der Bund im Jahr 2024 das Volumen des Verteidigungshaushalts gegenüber dem Vorjahr um rund 1,8 Milliarden Euro erhöht. Die tatsächlichen Ausgaben beliefen sich 2024 auf rund 50,3 Milliarden Euro. Darüber hinaus wurden aus dem 2022 beschlossenen Sondervermögen rund 19,8 Milliarden Euro bereitgestellt, von denen die Bundeswehr rund 17,2 Milliarden Euro ausgegeben hat. Högl empfiehlt: „Das Ministerium sollte in Zukunft sicherstellen, dass zur Verfügung stehende Gelder auch ausgegeben werden.“

Infrastruktur

Auf diesem Feld gebe es weiter „erhebliche Probleme“, schreibt Högl. Der Gesamtinvestitionsbedarf belaufe sich aktuell immer noch auf rund 67 Milliarden Euro. Kasernen und Liegenschaften seien teils „in einem desaströsen Zustand“. Projekte kämen teils kaum voran. Högl nennt das Beispiel einer Waffenkammer, deren Baubeginn seit 2017 aussteht. Eine Größenordnung: „Die Dienststellen der Bundeswehr befinden sich in rund 1500 Liegenschaften, die über ganz Deutschland verteilt und zusammengefasst ungefähr so groß wie das Saarland sind. Die gesamte Nutzfläche der etwa 35.000 Gebäude mit ungefähr 900.000 Räumen entspricht mit 27 km2 in etwa der Größe des Frankfurter Flughafens.“

Bürokratie

„Insgesamt neigt die Bundeswehr durch ihr vorgegebene oder selbst geschaffene Regelungen und deren kleinteilige (zuweilen auch fehlinterpretierte) Umsetzung dazu, Dinge zu verkomplizieren“, schreibt Högl. Eine Ursache liegt darin, dass die erforderliche Digitalisierung nicht vorankomme: „Beispielsweise berichtete ein Offizier auf einem Truppenbesuch der Wehrbeauftragten, dass es 16.000 Blatt Papier bedürfe, um eine Kompanie in den Einsatz zu verlegen.“

Frauen

Im Jahr 2024 leisteten insgesamt 24.675 Soldatinnen Dienst in den Streitkräften. Das entspricht 13,62 Prozent des gesamten Personals, außerhalb der Sanitätseinheiten sogar nur 9,89 Prozent. Damit sind Frauen trotz aller positiven Entwicklungen der letzten Jahre noch immer stark unterrepräsentiert. Soldatinnen sehen sich zudem nicht selten Vorurteilen, Diskriminierung und zuweilen sexueller Belästigung ausgesetzt. Insgesamt erhielt die Wehrbeauftragte im Berichtsjahr 48 Eingaben zu sexualisiertem Fehlverhalten. Daneben beobachtete sie die Ermittlungen zu 376 meldepflichtigen Ereignissen wegen des Verdachts auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Extremismus

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) führte im Jahr 2024 insgesamt 305 (2023: 307) nachrichtendienstliche Abwehroperationen durch. Die einzelnen sogenannten Phänomenbereiche: Rechtsextremismus: 219 Fälle (2023: 178), Reichsbürger und Selbstverwalter: 5 (20), Islamismus: 33 (32), Linksextremismus: 11 (15), auslandsbezogener Extremismus beziehungsweise Ausländerextremismus: 31 ( 47), Scientology: 1 (1) und verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates: 5 (14).

Suizide und Suizidversuche

Das Amt der Wehrbeauftragten zählte im Berichtsjahr 29 Selbsttötungen (2023: 15) und 44 Selbsttötungsversuche (2023: 57) von Soldatinnen und Soldaten. Ein einziger der gemeldeten Fälle wurde mit einer Dienstwaffe begangen.

Straftaten gegen die Bundeswehr

Im Berichtsjahr war die Bundeswehr in 185 Fällen Ziel von Anschlägen oder Straftaten (2023: 122). In 13 Fällen betrafen sie Angehörige der Bundeswehr (2023: 6), zum Beispiel beim Tragen der Uniform in der Öffentlichkeit. In 172 Fällen richteten sich die Taten gegen das Eigentum der Bundeswehr (2023: 116). Dazu zählten unter anderem drei Brandanschläge und vier Sabotageakte. Högl weist auch auf bedrohliche Drohnenüberflüge an Bundeswehrstandorten hin.

Lebensrettungs- und Hilfsaktionen

Oftmals sei in der Gesellschaft gar nicht bekannt, dass Soldatinnen und Soldaten stumm im Hintergrund Hilfe leisteten, bemerkt Högl. Im Jahr 2024 hätten Soldaten in mindestens 57 Fällen anderen Personen das Leben gerettet. (dpa)