AboAbonnieren

US-WahlWarum der Trump-Sieg auch eine Chance ist

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Der republikanische Präsidentschaftskandidat, der ehemalige US-Präsident Donald Trump (M-r), steht mit der ehemaligen First Lady Melania Trump auf der Bühne.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat, der ehemalige US-Präsident Donald Trump (M-r), steht mit der ehemaligen First Lady Melania Trump auf der Bühne.

Mit gefährlicher Machtfülle wird Donald Trump ins Weiße Haus einziehen. Für eine Schockstarre in Europa ist jetzt keine Zeit. Bringt das Warnsignal aus Washington die EU-Staaten auf eine Linie?

Déjà-vu: Das Erwachen nach einer Wahlnacht, und Donald Trump feiert seinen Sieg. Am 9. November 2016 und jetzt, acht Jahre später, wieder. Eine weitere Amtszeit ist Realität. Und Realität ist auch, dass mehr als die Hälfte der US-Wähler hinter dem Republikaner und seiner Partei steht. Sie wollten ihn in diesem Amt. Ungeachtet seiner gehässigen Reden, unflätigen Auftritte, Lügen-Tiraden und Strafverfahren. Nichts, so scheint es, hat seine glühenden Anhänger so darin bestärkt, ihn zu wählen, wie seine permanenten Grenzüberschreitungen. Sie nennen es Mut, Unbeugsamkeit und Stärke.

Dass diese Tour verfängt, sagt etwas über die Stimmung in den USA und über die Menschen aus, die Trump ihre Stimme gaben – sie wollten, wie es ein Wähler auf den Punkt brachte: „endlich jemanden, der aufräumt“. Und genau daran ist Kamala Harris offenbar gescheitert. Sie hat die tiefsitzende Verbitterung und das Gefühl, abgehängt zu sein, in den relevanten Schichten nicht aufbrechen können. Gesiegt haben auch die gewaltigen, von finanzstarken Sponsoren wie Elon Musk gefütterten Marketing-Maschinen, die im US-Wahlkampf dieses Bild in Endlos-Schleife verbreiteten. Trump als Kraftpaket gegen das Establishment.

Aus dieser Wahl geht er mit einer brandgefährlichen Machtfülle hervor. Für das Repräsentantenhaus ist das Ergebnis zwar noch offen, aber der Senat wird auf jeden Fall künftig republikanisch dominiert. Zudem hat erst vor wenigen Monaten das oberste US-Gericht dem Präsidenten eine sehr weitgehende Immunität zugesichert. Die Frage ist, was Trump daraus macht. Bleibt es bei seiner beinahe koketten Ansage „Ich werde Diktator, aber nur für einen Tag“, oder setzt er die Welt in Flammen?

Donald Trump: Unberechenbarkeit als wesentlicher Bestandteil

Trump wird sein Wahlvolk keinesfalls damit enttäuschen, dass er plötzlich angepasst, höflich und diplomatisch auftritt. Das ist aber auch fast schon alles, was über die Absichten dieses Präsidenten mit Sicherheit zu sagen ist. Er ist in seinen Ankündigungen eratisch – Frieden in der Ukraine innerhalb eines Tages? Wenn es einen Plan für seine Aktionen gibt, dann ist Unberechenbarkeit ein wesentlicher Bestandteil.

Dazu gehört auch, dass niemand vorhersagen kann, ob die wüsten Drohungen in Richtung Europa und Nato-Partner bloß erschreckend laute Paukenschläge waren oder wirklich zu politischen Handlungen führen. Dass er mit seinem „Lieblingswort“ Strafzölle nicht nur bluffen will, ist anzunehmen, aber wird er am Ende wirklich einen Handelskrieg anzetteln, in dem es nur Verlierer geben kann? Trump wird nicht ernsthaft die Bindung zur Nato lösen, aber es genügt, dass er das Bündnis in Zweifel zieht und damit Unsicherheit verbreitet. Oder ankündigt, die Ukraine-Unterstützung zu stoppen, was faktisch dazu führen würde, Putin das Feld zu überlassen. Das alles ist schon Zündstoff genug, noch bevor Trump im Oval Office Platz genommen hat.

Donald Trump als Chance für Europa

Doch sein Wiedereinzug ins Weiße Haus darf nicht zu einer Schockstarre führen. Die Abhängigkeit der Europäer von den USA ist verteidigungspolitisch und wirtschaftlich groß, lange schon zu groß. Eine Balance herzustellen, etwa mit einer Vergemeinschaftung der Verteidigungskosten, kann nur als gesamteuropäische Aufgabe gelingen, die angesichts der Uneinigkeit in der EU fast utopisch scheint. Aber unter dem Druck einer unberechenbaren US-Regierung könnte vielleicht manches gelingen, was bisher undenkbar war. Trump als Chance.

Das gilt auch für handelspolitische Kontakte in die US-Bundesstaaten. Wirtschaftsexperten halten ein Übereinkommen der Europäer mit den eher gemäßigten, aber einflussreichen republikanischen Gouverneuren für geeignet, Trumps Hunger auf Einfuhrzölle zu zügeln. Entscheidend ist, dass die US-Task Force in Brüssel, in die EU-Politiker wie David McAllister jetzt große Hoffnung legen, eine Gesprächsebene mit den maßgeblichen Politikern findet. Dabei wird sich der Blick auch auf Berlin richten, auf eine Regierung, die just am Tag des Trump-Triumphs um das Überleben ringt. Das Warnsignal aus den USA könnte auch hier Wirkung zeigen.

Jetzt geht es darum, gemeinsam und entschlossen auf die Drohungen aus Washington zu reagieren. Dass dies in Ausnahme-Situationen auch auf europäischer Ebene möglich ist, hat sich nach dem Angriff auf die Ukraine gezeigt. Warum nicht auch jetzt?