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Interview

NRW-Innenminister Herbert Reul
„Datenschutzverliebtheit darf nicht zum Hemmschuh der Sicherheit werden“

Lesezeit 8 Minuten
NRW Inneminister Herbert Reul beim Interview mit der Kölnischen Rundschau

NRW Inneminister Herbert Reul beim Interview mit der Kölnischen Rundschau 

Herbert Reul (CDU) ist seit 2017 Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Interview mit Frank Überall bezieht er Stellung zu Themen wie Sicherheit, Respekt in der Gesellschaft und Migration.

Der Entwurf des Koalitionsvertrags für eine neue Bundesregierung verspricht eine Sicherheitsoffensive. Wie zufrieden sind Sie mit den dort konkret beschriebenen Zielen?

Es freut mich sehr. Ich habe selbst viele Vorschläge eingereicht, und es sind so gut wie alle aufgenommen worden. Das wird einen Riesensprung für die Sicherheitsbehörden geben, wenn unter anderem die Verkehrsdatenspeicherung kommt. Mit unserem nordrhein-westfälischen Modell zur Früherkennung von und zum Umgang mit Personen mit Risikopotenzial (PeRiskoP) sind wir vorangegangen, auch um psychisch kranke Menschen zu identifizieren, die womöglich Straftaten planen. Aber wir werden mit der neuen Bundesregierung auch ein ganz anderes Verhältnis zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) haben. Der Bund will uns in der Digitalisierung in diesem Bereich stärker unterstützen. Wenn alles, was im Vertragsentwurf drin ist, kommt, ist das ein echter Qualitätssprung für die innere Sicherheit.

Aber an der umfassenden Erfassung von Kfz-Kennzeichen, womöglich ausgewertet mit KI, gibt es aus Sicht des Datenschutzes doch durchaus Kritik?

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Das kann ja sein, aber wir können doch nicht zulassen, dass Kriminalität wächst, die Menschen unsicherer werden und der Staat die Unsicherheit der Menschen dadurch beantwortet, dass er sagt: Wir machen es nicht, weil wir es nicht dürfen. Zu Recht verlangen die Leute, dass wir die Möglichkeiten, die wir haben, auch nutzen. Das ist immer eine Frage des Auslotens. Beim Datenschutz gibt es nicht immer nur ein Ja oder ein Nein. Wir müssen die Frage beantworten, wie man mit Datenschutz trotzdem Verbrecher jagen und erwischen sowie den Informationsaustausch organisieren kann. Stummsein ist keine Antwort.

Und wie beurteilen Sie das konkret im Hinblick auf die weitgreifende Kennzeichen-Erfassung?

Wir müssen uns zutrauen, den Sicherheitsorganen mehr Möglichkeiten zu geben in einer Zeit, in der die Kriminalität komplizierter wird. Digitalisierung und die damit verbundene Rechtsetzung sind elementar. Die deutsche Datenschutzverliebtheit darf nicht zum Hemmschuh der Inneren Sicherheit werden. Das wollen die Leute auch nicht.

Wie zufrieden sind Sie denn gerade mit Ihrer Partei auf Bundesebene?

Wir sind die Gewinner der Bundestagswahl. Wir bilden eine Regierung. Und wir haben die Chance, Politik anders zu machen. Was im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen steht, finde ich schon ganz ordentlich. Und was die Innere Sicherheit angeht, empfinde ich als einen vollen Erfolg. Man kann in einer Koalition nie alles erreichen, man muss Kompromisse machen. Ich finde, hier sind kluge Kompromisse gefunden worden. Sie haben sich aktuell noch einmal dafür ausgesprochen, die Teil-Legalisierung von Cannabis zurückzunehmen.

Im Koalitionsvertrag heißt es, zunächst soll eine Evaluation kommen. Reicht Ihnen das?

Das müssen wir abwarten und uns die Ergebnisse anschauen. Immerhin wird jetzt mal objektiv untersucht, ob die sogenannte Teil-Legalisierung überhaupt etwas bringt, wie kompliziert sie ist und welchen Aufwand die Polizisten treiben müssen, um am Ende wahrscheinlich nichts zu erreichen. Ich habe eine Meinung, aber die muss ja nicht richtig sein. Insofern ist es doch ein kluger Kompromiss zu sagen, wir überprüfen es.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Urteil die Möglichkeit eröffnet, dass die Länder bei Hochrisikospielen im Fußball den Vereinen die Kosten für den Polizeieinsatz in Rechnung stellen dürfen. Sie waren zunächst abwartend.

Das Problem bei diesen Hochrisikospielen ist der Krach, der Krawall, der Ärger, die Gefahr. Ich glaube nicht, dass wir die Gefahr in den Griff kriegen, indem wir die, die mit dem Spiel Geld verdienen, bezahlen lassen. Das ist keine Lösung. Also deswegen bin ich da kritisch. Die, die in den Vereinen etwas zu sagen haben, müssen bereit sein, die Sicherheit bei den Spielen zu organisieren. Wenn die Vereine es nicht hinkriegen, Ruhe und Sicherheit in den Stadien bestmöglich hinzubekommen, schließe ich es nicht aus, entsprechende Zahlungen einzufordern. Ich bin kein Befürworter dieser Maßnahme.

Wohl ab Sommer stehen wieder umfangreiche Castortransporte in NRW an, Proteste sind bereits angekündigt. Für die Polizei wird das sicher eine Herausforderung?

Ja, aber Polizei hat jeden Tag neue Herausforderungen. Und wenn das so kommt, wann auch immer, dann hat die Polizei dafür zu sorgen, dass diese rechtlich einwandfrei genehmigten Transporte stattfinden können. Da hat dann keiner das Recht, die zu stören.

Man hat den Eindruck, der Respekt gegenüber der Polizei nimmt in unserer Gesellschaft immer mehr ab.

Das stelle ich auch fest, wenn ich mit Polizistinnen und Polizisten spreche. Aber es gibt offenbar immer mal wieder Situationen, in denen sich Menschen um Haltezeichen der Polizei einfach nicht kümmern und fröhlich Vollgas geben. Mit zum Teil drastischen Folgen. Auch hier in Köln gab es schon schwere Unfälle.

Sie erfahren von solcher Respektlosigkeit also regelmäßig?

Ja, das hat sich entwickelt: Es gab eine Zeit, in der man Autoritäten generell abgelehnt und gemeint hat, es dürfte gar keine geben. Dabei gibt es aus meiner Sicht einen großen Unterschied zwischen der Autorität eines Obrigkeitsstaates und der in einem demokratischen Rechtsstaat. Wir müssen Autorität gegenüber Polizisten, Staatsanwälten, Richtern oder Lehrern wiederherstellen. Das hat was mit den Einstellungen zu tun. Dazu kann man kein Gesetz machen, sondern das muss sich gesellschaftlich verändern. Es ist aber zwingend notwendig. Ansonsten wird es für die staatlichen Autoritäten immer schwieriger, das durchzusetzen, was sie sollen. Die haben ja einen Auftrag, den die Menschen ihnen gegeben haben: Sorgt bitte dafür, dass die Regeln eingehalten werden und dass unser Zusammenleben friedlich ist. Dann müssen die Menschen aber auch ihren Beitrag dazu leisten.

In Berlin ist am Wochenende ein Mann, der auch Beamte mit einem Messer angegriffen haben soll, von der Polizei getötet worden. Ist das ein neues Niveau?

Ja, die Respektlosigkeit findet ihr Ende auch in körperlichen Auseinandersetzungen. Es haben sich immer mehr Einstellungen in der Gesellschaft entwickelt, die davon geprägt sind, dass man glaubt, man wäre allein auf der Welt, könne seine Interessen immer zu hundert Prozent durchsetzen. Viele haben nicht gelernt, Kompromisse zu schließen und mit Misserfolgen umzugehen. Das führt zu Krisensituationen und dann dazu, dass man ausrastet und eben nicht nur zuschlägt, sondern das Messer zieht. Ich halte es für ein Riesenproblem und eine große Gefahr.

In Köln war zu beobachten, dass Kriminalität im Bereich des Drogenhandels immer brutaler wird – bis hin zu mutmaßlich engagierten, jungen Auftragstätern?

Das hat es immer schon gegeben, dass es Menschen gibt, die quasi Gewalt professionell erledigen. Da muss der Staat zeigen, dass er das nicht zulässt und dass er die erwischt. Insofern ist Köln ein wunderbares Beispiel, weil es zeigt, wie toll die Polizei hier gearbeitet hat: Im Analysieren, im Erkennen des Problems und im systematischen Aufarbeiten und Verfolgen. Jetzt sitzen 32 Beschuldigte in Untersuchungshaft.

Verhältnisse wie in Rotterdam, wo es regelmäßig Sprengstoff-Anschläge konkurrierender Drogenbanden gibt, sind damit im Rheinland verhindert worden?

Es war ein ganz wichtiger Schritt, dass Polizei und Justiz in Köln durch ihre Arbeit gezeigt haben, dass wir sowas nicht zulassen und tief in die Strukturen ermitteln. Das war ein tolles Signal.

Gleichzeitig fehlen die dort eingesetzten Polizisten aber an anderer Stelle?

Immerhin haben wir in den vergangenen Jahren mehr Polizisten eingestellt. Ich habe mittlerweile mehr als 20.000 junge Leute fürs ganze Land vereidigt, meistens in Köln. Aber man wird immer Schwerpunkte bilden müssen. Die Polizei wird immer wieder nachdenken müssen, wo jetzt eine Hauptaufgabe ist. Wenn so dramatische Fälle anstehen wie hier in Köln, dann ziehen wir die Kräfte von überall zusammen und konzentrieren sie. Ja, die fehlen woanders. Dazu muss man auch stehen und darf die Polizei nicht im Regen stehen lassen. Kriminalität findet auch immer häufiger im Internet statt.

Ist die Polizei in NRW dafür ausreichend gerüstet?

Die Sicherheitsorgane stehen jetzt am Scheideweg. Immer mehr Kriminalität im Netz heißt, die Polizei muss digitaler werden, was Technik angeht, aber auch, was die Kompetenz der Mitarbeiter und die rechtlichen Möglichkeiten angeht. Um Regelverstöße auch im Internet aufzuspüren und zu ahnden, braucht man Leute, die auch im Netz unterwegs sind. Die Idee, Polizisten im Netz auf Streife gehen lassen, ist banal, aber wichtig. Aber die Beamten müssen dafür ausgebildet werden. Wir finden ja kaum IT-Experten. Mittlerweile schulen wir inzwischen Cybercops, also eigene Polizisten, und machen junge Leute mit einem entsprechenden Masterstudiengang auf diesem Feld fit.

Beim Thema Migration werden Grenzkontrollen derzeit intensiv diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Sie sind nötig als klares Zeichen an die Bevölkerung: Wir kümmern uns darum! Zweitens ist es ein Zeichen an unsere Nachbarstaaten: Ihr könnt nicht mehr alle durchlaufen lassen. Wenn die bei euch zuerst waren, dann müsst ihr euch drum kümmern. Und drittens kann das zu einem Dominoeffekt führen, dass die Mitgliedsstaaten in Europa sich um ihre Außengrenzen kümmern. Dann sind wir bei dem, um was es wirklich geht. Die europäischen Außengrenzen müssen sicherer gemacht werden. Das hat mit Einsicht und langem Reden in den letzten Jahrzehnten nie funktioniert. Vielleicht geht es über den Weg der Grenzkontrollen.

Sie haben sehr früh das Thema Clankriminalität öffentlich benannt. Dafür hat es auch Kritik gegeben, inzwischen werden Sie häufig dafür gelobt. Was hat Sie bewogen, diesen Weg zu gehen?

Ich habe gelernt. Vertrauensverlust in den Staat bekämpft man nicht mit lockeren Sprüchen oder dicken Plakaten, sondern mit gutem Handeln. Und der erste Schritt ist immer, Probleme, die da sind, zu benennen und nicht drumherum zu schwafeln. Dann muss man anfangen, die Probleme zu lösen. Man sollte aber nicht versprechen, dass man eine Gesamtzauberlösung hat und morgen die Welt in Ordnung ist. Ich will realistisch mit solchen Problemen umgehen, nur so kann man Vertrauen zurückgewinnen. Das habe ich auch von Norbert Blüm gelernt. Der hat mir mal gesagt, wenn du morgens in einen Spiegel guckst und Schrammen siehst, ist das gar nicht schlimm - wenn du keine hast, ist es schlimm. Man muss für Sachen auch stehen und Ärger aushalten können.

Vielen Dank für das Gespräch.