Der Stürmer war für die FC-Reserve, Fortuna Köln und Gladbach II aktiv. Der Kölner Fußball verliert eine Identifikationsfigur.
1. FC KölnThomas Kraus hört auf – Abschied eines Fußballverrückten
Wenn Thomas Kraus über Fußball spricht, benötigt er mehr als nur seinen Mund. Jeder Gesichtsmuskel und die Hände sind in Dauer-Beanspruchung, sobald der langjährige Kölner Profi von seiner Leidenschaft berichtet. So auch an einem der letzten Tage seiner aktiven Karriere, als Kraus in einem Café auf der Luxemburger Straße, nicht weit weg vom Geißbockheim, seine Laufbahn Revue passieren lässt und einen Blick in die Zukunft wirft.
Seine letzte von 18 Saisons im Erwachsenenbereich wird Kraus wohl versöhnlich beenden. Mit der U21 des 1. FC Köln steht der Angreifer kurz vor dem Klassenerhalt in der Regionalliga West. Ein Erfolg zum Abschluss? „Mit Blick auf diese Saison: Ja. Aber es darf nicht der Anspruch des FC sein, mit der U21 um den Klassenerhalt zu spielen. In dieser Saison stehen wir aber nicht zu Unrecht da. Was wir in den ersten 20 Spielen gezeigt haben, war oftmals nicht gut“, sagt Kraus.
Am Samstag geht es gegen den SC Fortuna Köln
Der FC könnte den Nicht-Abstieg am Samstag perfekt machen – im Derby gegen Kraus’ Ex-Klub Fortuna Köln (14 Uhr/Franz-Kremer-Stadion). Ob der 36-Jährige mitwirken kann, ist offen. Seine letzte Saison ist geprägt von Verletzungen.
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Im Café, beliebt bei Kölner Nachwuchsfußballern und Profis, deutet Kraus auf den Nebentisch mit zwei FC-Talenten. „Die Jungs glauben mir ja gar nicht, dass das früher ganz anders war“, sagt der gebürtige Franke, teamintern mittlerweile auch „Papa“ gerufen. „Hier beim FC, auch als ich fit war, hat nach 60 Minuten der Wecker geklingelt – und ich musste raus“, sagt Kraus mit weit aufgerissenen Augen. Bei Fortuna hingegen ging es „bis die Beine nicht mehr wollten. Als Stürmer, auf den Außen und Verteidiger.“
Thomas Kraus absolvierte über 500 Pflichtspiele
Der Angreifer war in seinen Mannschaften nie der talentierteste, schnellste, dribbelstärkste oder schussgewaltigste Fußballer. Dennoch wurde Kraus dank Einsatzwillen und einer gewissen Kratzbürstigkeit stets zu einem Eckpfeiler seiner Teams – bislang 516 Karriere-Pflichtspiele (112 Tore) lassen keinen anderen Schluss zu. Er würde mit niemandem tauschen wollen, sagt Kraus, ehe er Jürgen Klopp zitiert: „Es ist egal, was die Leute über dich denken, wenn du kommst. Wichtig ist, was sie denken, wenn du gehst.“
Über den 1. FC Sand und Hertha BSC II hatte sich Kraus 2007 zum ersten Mal der FC-Reserve angeschlossen. Nach drei Jahren bei den Amateuren wechselte er zu Eintracht Trier. 2012 holte ihn Uwe Koschinat zurück nach Köln zum SC Fortuna – es sollten die prägendsten Jahre in der Karriere des Thomas Kraus werden. Investor Michael W. Schwetje hatte den Südstadt-Klub mit Geld versorgt und erwartete nicht weniger als den Aufstieg. 2013 misslang er, doch dank des Mittelrheinpokal-Sieges machte Schwetje weiter.
Das Siegtor im Relegations-Hinspiel gegen die Bayern schoss Thomas Kraus
2014 stand der Verein wieder vor dem Aus, da nur beim kaum planbaren Aufstieg weiter Geld fließen würde. Kraus und viele andere hatten sich vorsorglich umorientiert – ehe das späte Relegations-Wunder in München und der Drittliga-Aufstieg alles veränderten. Das 1:0-Siegtor im Hinspiel gegen Bayern II im vollen Südstadion hatte Kraus selbst erzielt.
„Es hat alles perfekt gepasst in der Mannschaft“, erinnert sich Kraus. Eine Whatsapp-Gruppe von damals („Wolfsrudel“) gebe es nach wie vor. „Man geht zwar nicht wöchentlich zusammen essen, aber Austausch gibt es immer. Ich habe Freunde fürs Leben kennengelernt“, so Kraus. Daniel Flottmann, damals Fortuna-Kapitän, ist heute Kraus’ bester Kumpel. Als er verletzt fehlte, durfte Kraus die Südstadt-Elf bei Dynamo Dresden vor 30 000 Fans als Kapitän aufs Feld führen. „Das sind Momente, die vergisst du nicht.“
Erlebnisse bei Fortuna Köln könnten Bücher füllen
Anekdoten seiner Fortuna-Zeit könnten Bücher füllen. Besonders von Erlebnissen mit Torwart André Poggenborg und Tobias Fink kann Kraus noch heute vor lauter Lachen kaum ohne Unterbrechung berichten. Dass „Pogge“, den er aus gemeinsamen Zeiten in Trier kannte, überhaupt von Köln verpflichtet wurde, könnte zum Teil auch ein Verdienst von Kraus gewesen sein.
Trainer Koschinat wollte 2012 die Meinung des Stürmers, der bereits bei Fortuna unterschrieben hatte, zu seinem früheren Teamkollegen Poggenborg einholen – und erwischte Kraus bei der Teamtour mit Trier auf Mallorca. „Ich konnte noch reden“, erinnert sich Kraus. „Willst du einen beidfüßigen Keeper aus dem NLZ oder einen Verrückten?“, fragte er damals Koschinat. „Den Verrückten“, antwortete Fortunas Trainer. „Dann nimm’ Pogge.“ Der Torhüter lieferte.
„Wenn im Torschusstraining ein 18- oder 19-Jähriger den Ball gelupft hat, ist Pogge ihm auf dieser Riesen-Rasenfläche bei Fortuna hinterhergerannt – nicht aus Spaß“, berichtet Kraus derart lachend, dass er nicht mehr gerade sitzen kann. „Aber nur deshalb sind wir damals aufgestiegen. Weil wir ein paar wahnsinnige Jungs hatten, es sich aber insgesamt die Waage gehalten hat. Du brauchst Leute, die gerne unangenehm sind.“
Sechs Jahre bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag
Kraus gehört nicht in diese Kategorie, trotz klarer Standpunkte auf und neben dem Platz. „Ich habe immer versucht, mich so zu verhalten, wie es sich gehört. Und trotzdem habe ich mich nie verstellt“, sagt er. Das öffnete ihm während seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach II (2015 bis 2021) die Tür zu seinem Nebenjob.
Kraus wurde, wie sein Kumpel Flottmann, Experte bei den Drittliga-Übertragungen von MagentaSport. Beim Streamingdienst ist er zumeist an der Seite von Kommentator Christian Straßburger und Moderator Thomas Wagner im Einsatz. In einer Tätigkeit, die gerne Ziel von überzogener Generalkritik ist, erhält Kraus regelmäßig gutes Feedback.
„Du brauchst eine Sprache, die die Leute verstehen. Das bekomme ich ganz gut hin“, sagt Kraus, es fühle sich eigentlich nicht wie Arbeit an. „Aber es ist etwas Spezielles, wenn du über einen anderen Spieler oder eine Mannschaft urteilst. Ich habe eine klare Meinung. Aber du musst trotzdem respektvoll bleiben und darfst die Leute nicht beerdigen“, sagt Kraus, mit seinen Händen gestikuliert er im Takt seiner Worte: „Sonst denken die Leute: Was will der denn? Der taumelt doch selbst nur bei Köln II durch die Gegend.“
Was machen die FC-Pokalsieger von 2013?
Arbeit während der WM in Katar als Highlight
Ein Highlight sei seine Arbeit während der WM in Katar gewesen, als Kraus seinen Kumpel Straßburger im Münchener Magenta-Studio bei acht WM-Spielen als Kommentatoren-Assistent unterstützte. „Michael Ballack war da, Roy Makaay, Johannes B. Kerner“, erzählt Kraus, „ein Riesen-Highlight“.
Doch sieht der Wahl-Kölner seine Zukunft nicht im TV-Geschäft, Kraus strebt eine Trainer-Laufbahn an. Womöglich im Nachwuchsbereich des 1. FC Köln? „Ich hatte Gespräche, aber es gibt noch keine Entscheidung“, sagt er. Über die B-Lizenz verfügt Kraus bereits, in Gladbach trainierte er Kinder. Nun hofft Kraus auf einen Platz im A-Lizenz-Lehrgang für den Erwachsenenbereich. Zweimal scheiterte er bei der Vergabe knapp, einmal fehlte ein Punkt, danach viereinhalb. Aufgeben ist allerdings keine Option für Thomas Kraus. War es noch nie.