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„Wer kauft so einen Wagen noch?“Gericht nimmt Musterfeststellungsklage gegen VW an

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Michael Schulte (l-r), Michael Neef und Melanie Schormann, Richter am Oberlandesgericht vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen VW.

Braunschweig – „Ich rufe auf: die Sache 4 MK 1/18.“ Es klingt zuerst wie ganz gewöhnlicher Gerichtsstoff, was Michael Neef da in trockenem Tonfall vorträgt. Doch dieses Aktenzeichen hat es in sich. Der Richter soll eine Grundsatzentscheidung treffen, bei der es um Milliarden Euro für die Verbraucher gehen könnte – und um Wiedergutmachung in einem der größten Industrieskandale der vergangenen Jahrzehnte.

Die Verantwortung, die der Vorsitzende am Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig trägt, ist groß. Auf der einen Seite: 470 000 Autofahrer, die möglichst bald möglichst viel Schadenersatz für ihren VW-Diesel erstreiten wollen – aber oft einen alten Wagen mit geringem Restwert haben.

Nicht um Begriffe streiten

Auf der anderen Seite: der Weltkonzern Volkswagen, der in den USA bereits enorme Summen für die Abgasaffäre blechen musste – und weitere Milliarden verlieren könnte. Zu alldem noch eine rechtspolitische Premiere: die erste Anwendung der Musterfeststellungsklage, mit der Verbraucher sich vertreten lassen können, statt einzeln ins Risiko zu gehen.

„Ich benutze bewusst nicht den Begriff Abgasskandal – wir sollten uns nicht schon um Begriffe streiten“, sagt Neef bei der ersten Sitzung am Montag. Dass einige VW-Verantwortliche vor dem Bekanntwerden der Manipulationen im September 2015 Unrecht begingen, zweifelt niemand ernsthaft an. Doch dann ist es mit der Einigkeit auch schon vorbei.

Unten im Foyer der Braunschweiger Stadthalle hängen noch Plakate von Mario Barth und Roland Kaiser. Oben im Saal – das Gericht musste die Verhandlung wegen des erwarteten Andrangs hierhin verlegen – haben sich Anwälte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) und des VW-Konzerns in Stellung gebracht. Wo sonst Konzerte oder Kabarett stattfinden, betritt heute Neef die Bühne. Lange referiert er den „Streitstand“. Und strittig ist aus Sicht des Vorsitzenden Einiges.

Verbraucherschützer werfen vorsätzliche Schädigung vor

Die Verbraucher, vertreten vom Musterkläger VZBV, behaupteten, die VW-Führung habe von illegaler „Steuerungssoftware“ in der Abgasanlage wissen müssen. Indem die Autos weiter vertrieben wurden, hätten leitende VW-Angestellte die Kunden geschädigt. Die Verbraucherschützer führen den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ins Feld – und wollen dies vom Gericht feststellen lassen, damit ihre Mandanten in Folgeprozessen bessere Aussichten auf Schadenersatz haben.

Der Autobauer hingegen beharrt laut Neef darauf: Nur Mitarbeiter „auf der Arbeitsebene“ hätten davon wissen können. Und der Vorstand habe erst ab dem 19. September 2015 ein klares Bild vom Ausmaß gehabt. Der Marktwert des Dieselautos sei zudem nicht entscheidend beeinflusst worden, als der Skandal bekannt wurde. Wertminderungen seien vor allem später entstanden, als dann auch Diesel-Fahrverbote drohten.

Bald wird im Saal deutlich, dass das Gericht sich nicht vorschnell festlegen möchte. Auch die Kontrahenten üben sich in demonstrativer Zurückhaltung, stellen höchstens einmal ein paar höfliche Nachfragen. Eine erste rechtliche Bewertung immerhin gibt es dann doch schon. Er wolle beiden Seiten darlegen, „was wir so denken, wo die Reise so hingehen könnte“, sagt Neef. Kassieren wird der Senat demnach vermutlich das Ziel der Verbraucherschützer, den VW-Konzern selbst in die Pflicht zu nehmen. Stattdessen müssten sich Kunden wohl stets an ihre Händler wenden.

Betroffene wollen Geld sehen

Der VZBV schätzt die generellen Chancen seiner Mandanten indes durchaus optimistisch ein. „Ich bin sehr positiv überrascht“, sagt Anwalt Ralf Stoll. „Ich bin der Überzeugung, dass wir das Verfahren zumindest in großen Teilen gewinnen werden.“ Die VW-Kunden selbst wollen sich mit juristischen Spitzfindigkeiten am liebsten nicht allzu lange aufhalten. „Als Betroffener möchte ich letztlich Geld sehen“, fordert Uwe Reinecke aus Göttingen.

Er ist trotz Herbststurms „Mortimer“ angereist, weil er auf Entschädigung für seinen 2011 gekauften Golf hofft. Dass Kunden keine vertraglichen Ansprüche gegen VW haben sollen, wenn sie den Wagen bei einem Händler gekauft haben, findet er nicht in Ordnung. Reinecke stört auch das VW-Argument, dass Verbraucher wie er ihre Autos ja weiterhin sicher fahren könnten – und daher gar kein sichtbarer Schaden vorliege. „Wer kauft denn so einen Wagen noch zu dem Preis, den ich dafür gern haben möchte?“, fragt der 55-Jährige.

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„Es liegen mehrere Gutachten vor, die bestätigen, dass die Fahrzeuge keinen Wertverlust aufgrund der Dieselthematik erlitten haben“, betont VW. Und zur regulären Abnutzung der Wagen heißt es: „Wir begrüßen die vorläufige Einschätzung des Gerichts, einen Nutzungsersatz anzurechnen.“ Heißt: Sollte es Entschädigung geben, wird davon der schon „verfahrene“ Wert des Autos abgezogen. Viele der fraglichen Fahrzeuge sind schon alt – und die Uhr tickt weiter.

Der Hersteller versichert: „Volkswagen hat ein Interesse an einem zügigen Verfahren.“ Ein baldiger Vergleich, vom vzbv nahelegt, ist offiziell nicht im VW-Interesse. „Vergleichsverhandlungen mit so vielen unbekannten Faktoren sind einfach nicht praktikabel.“ Doch will man es wirklich darauf ankommen lassen? In vielen Fällen hat sich VW auf Landgerichtsebene mit Klägern verglichen. „Es ist für die Verbraucher das Einfachste“, sagt vzbv-Anwalt Stoll. Der ADAC erklärt, es sei „zu wünschen, dass das Verfahren jetzt zügig weiterbetrieben wird. Auch einen Vergleich halten wir für möglich.“