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„Wie Butter in der Sonne“Warum das Sondervermögen der Bundeswehr schmilzt

Lesezeit 4 Minuten
Soldaten bei einem Appell der Bundeswehr.

Soldaten bei einem Appell der Bundeswehr.

Immer mehr Kritik kommt auf, wie das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen eingesetzt wird – oder eben viel mehr nicht eingesetzt wird.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte es groß angekündigt: 100 Milliarden Euro sollte das sogenannte „Sondervermögen Bundeswehr“ bereitstellen, um die Bundesrepublik verteidigungsfähig zu machen. „Bedeutsame Rüstungsvorhaben, insbesondere komplexe überjährige Maßnahmen“ sollten damit laut Gesetz finanziert werden. Doch bei Haushältern und Verteidigungspolitikern im Bundestag setzt zunehmend Ernüchterung ein.

„Es reicht nicht, die Zeitenwende anzukündigen. Man muss sie auch umsetzen“, fordert etwa der Grüne Sebastian Schäfer. Er ist Vize-Vorsitzender des „Gremiums Sondervermögen“, das die Ausgabe des 100-Milliarden-Topfes im Haushalt überwachen soll. „Wir brauchen eine ehrliche Analyse, was mit dem Sondervermögen finanziert werden kann. Sonst schaffen wir wieder neue Enttäuschungen in der Truppe“, befürchtet er.

Auch CDU-Mann Ingo Gädechens, ebenfalls im Gremium, ist frustriert: „Das Sondervermögen schmilzt wie Butter in der Sonne“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Zinszahlungen steigen weiter

So steigen etwa die Ausgaben für Zinszahlungen immer weiter. Im vergangenen Oktober war die Rede von acht Milliarden Euro, die insgesamt auf Staatsanleihen für das Sondervermögen gezahlt werden müssen. Vorige Woche erklärte ein Beschaffungsexperte des Verteidigungsministeriums laut dem Fachmagazin „Europäische Sicherheit und Technik“ auf dem Kongress „Perspektiven der Verteidigungswirtschaft 2023“, dass mittlerweile bereits mit 13 Milliarden Euro Zinsen gerechnet wird.

Auch Haushaltspolitiker Schäfer sagt, er sei vom Ministerium schon auf „eine zweistellige Milliardensumme“ vorbereitet worden, auch wenn die offizielle Prognose weiterhin bei acht Milliarden Euro liegt. Auf Anfrage unserer Redaktion verweist das Verteidigungsministerium auf den Bundeshaushalt 2023. Dort sind 800 Millionen Euro für Zinszahlungen veranschlagt. Dass diese langfristig höher sind, wird dadurch freilich nicht entkräftet. Schon im Dezember musste das Ministerium einige Projekte streichen, weil die Zinszahlungen höher als erwartet waren (siehe Kasten). Der Schleswig-Holsteiner Gädechens ist besonders enttäuscht, dass es damals vor allem die Seestreitkräfte getroffen hat: „Die Marine ist der große Verlierer“, klagt er. Für ihn unverständlich: „Die Ostsee ist nicht mehr das Meer des Friedens. Wir müssen die Marine stärken“.

Denn die Zinsen werden aus dem Sondervermögen selbst bezahlt. Der Bundeshaushalt steht erst gerade, wenn die Mittel komplett ausgeschöpft sind. Das heißt: Jeder Euro, der für Zinsen ausgegeben wird, geht dem Geldtopf verloren.

Kritik an Behäbigkeit des Bundesbeschaffungsamtes

Wie das Verteidigungsministerium auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, sei auch die Europäische Zentralbank (EZB) für die gestiegenen Zinsen verantwortlich. Sie hatte Anfang Februar die Leitzinsen erhöht. „Als Folge der Entscheidungen des Rates der EZB steigen auch die zu erwartenden Zinsausgaben zulasten des Sondervermögens“, so eine Sprecherin. Die Zinsentwicklung zeige „erkennbar nach oben“, doch noch sei es zu früh, um über Projektstreichungen zu diskutieren.

Sowohl der Oppositionelle Gädechens als auch Ampel-Politiker Schäfer schieben die hohen Zinszahlungen zudem auf die Behäbigkeit des Bundesbeschaffungsamtes. „2023 haben wir bisher keine einzige relevante Vorlage bekommen. Man kann lange rechnen, aber null bleibt null“, kritisiert Gädechens. Viele Waffen, die an die Ukraine geschickt wurden, seien noch immer nicht nachbestellt.

Auch Schäfer wünscht sich mehr Tempo: „Sehr große und wichtige Anlagen haben uns erst sehr spät erreicht“, kritisiert er. Mehrere Großprojekte konnten erst in der letzten Sitzung des „Gremiums Sondervermögen“ im Jahr 2022 verhandelt werden. „Und 2023 gab es bisher nur Kleinigkeiten.“ Je länger man aber braucht, um das Geld auszugeben, desto mehr Zinsen müssen bezahlt werden.

Beim Beschaffungswesen gebe es viel zu tun: „In der Praxis muss einfach sehr viel mehr Tempo rein“, kritisiert Schäfer. Dabei gebe es einzelne Inspekteure, die aus den Strukturen „schnellere Entscheidungen herausgepresst“ hätten. Er hofft, dass die Inspekteure mehr in die Verantwortung gehen. Auch Gädechens kritisiert: „Während die Ukraine um ihr Leben kämpft, arbeitet das Beschaffungsamt weiter, wie im tiefsten Frieden.“

Zudem senkt die Inflation die Kaufkraft, insbesondere bei Rüstungsprojekten. Nicht nur, dass diese kompliziert und auf viele Rohstoffe angewiesen sind: Wegen des Ukraine-Krieges rüsten gerade viele Länder auf, was die Rüstungsgüter noch teurer machen dürfte. Zudem werden viele Waffensysteme, etwa der teure Kampfjet F-35, aus den USA importiert. Also verteuert der starke Dollarkurs sie weiter. Experten rechnen nun damit, dass die tatsächliche Kaufkraft des Sondervermögens zwischen 60 und 70 Milliarden Euro liegen dürfte. Abzüglich 19 Prozent Mehrwertsteuer, versteht sich.

Mehrwertsteuer streichen?

CDU-Politiker Gädechens will angesichts dessen sogar darüber nachdenken, die Mehrwertsteuer für Rüstungsgüter abzuschaffen: „Man muss sicherlich darüber nachdenken, ob die Mehrwertsteuer nicht vom Fiskus übernommen werden kann“, erklärt er. Das würde die Kaufkraft des Sondervermögens deutlich erhöhen. „Die diesbezüglichen Diskussionen auf EU-Ebene begrüße ich daher sehr.“

Einen Nachschlag beim 100-Milliarden-Euro-Paket, wie ihn die Wehrbeauftragte Eva Högl oder Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) gefordert hatten, lehnen Gädechens und sein Grünen-Kollege ab: „Ich würde mir wünschen, dass wir erstmal das Geld, das schon zur Verfügung steht, vernünftig ausgeben. Dafür braucht es nach wie vor dringende Reformen im Beschaffungswesen“, so Schäfer.

Auch Gädechens stimmt zu: „Wenn die 100 Milliarden schon nicht im getakteten Zeitrahmen fließen, nützen mir auch 200 Milliarden nichts“. Stattdessen wäre es Gädechens lieber, den regulären 50,1 Milliarden Euro starken Verteidigungshaushalt zu erhöhen.