Berlin – Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind zum Symbol für die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende geworden. Die Union wirft der Ampel-Koalition nun vor, es nicht ernst damit zu meinen. Was Experten jetzt fordern.
Ampel-Koalition uneins
Um das Sondervermögen langfristig abzusichern und die Armee – wie Scholz es formulierte – zu einer „leistungsfähigen, hochmodernen, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt“, zu machen, will der Bundeskanzler es im Grundgesetz festschreiben. Dafür braucht er auch Stimmen aus der Unionsfraktion. Die hat zwar laut geklatscht, als Scholz das Vorhaben ankündigte, will aber nicht als Mehrheitsbeschaffer zur Verfügung stehen, wenn Abgeordnete aus den Ampel-Fraktionen ihre Zustimmung verweigern sollten.
Insbesondere bei SPD und Grünen gibt es bei einigen Abgeordneten Vorbehalte, das Geld allein für Rüstung auszugeben. Auch andere sicherheitspolitische Felder wie die Entwicklungshilfe und der Katastrophenschutz müssten berücksichtigt werden.
Verhandlungen stocken
Derzeit stocken die Verhandlungen, ein erster Gesetzentwurf war der Unionsfraktion zu schwammig gefasst. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Mathias Middelberg (CDU) sagte unserer Redaktion: „Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Aussage des Bundeskanzlers nicht belastbar ist. Der Kanzler hat in den Fraktionen seiner Regierung gar keine Mehrheit für ein Sondervermögen, das vollständig der Bundeswehr zugutekommt, und noch weniger für die Aussage, von nun an jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren.“ Middelberg ist der Ansicht: „Die Ampel-Fraktionen SPD und Grüne sind zu einer echten und ehrlichen Zeitenwende gar nicht bereit.“
Reicht das Geld überhaupt?
Aus Sicht des Berliner Beschaffungsexperten Mario Ohle sind 100 Milliarden Euro extra für die Bundeswehr nicht viel angesichts der bevorstehenden Aufgaben. Die für die nächsten Jahre angesetzten rund 55 Milliarden Euro jährlich im Verteidigungsetat würden – neben den laufenden Kosten – nur etwa 8 Milliarden Euro an Investitionen ermöglichen. Bei den nun angestrebten 70 Milliarden pro Jahr kämen rund 23 Milliarden jährlich für neue Anschaffungen hinzu.
Das könnte Sie auch interessieren:
Zum Vergleich: Allein um die in die Jahre gekommenen Tornados für die nukleare Teilhabe zu ersetzen, Flugzeuge also, die amerikanische Atomwaffen tragen könnten, müssten etwa 40 F-35-Tarnkappenjets angeschafft werden. Ein einziger kostet etwa 90 Millionen Euro. Auch die Luftabwehrsysteme müssten erneuert werden, meint Ohle. Der Jurist und Oberstleutnant der Reserve ist der Ansicht, dass die Bundeswehr mit dem neuen Geld nicht hoch-, sondern lediglich für ihre Aufgaben ausgerüstet werden könnte. Die Aufgabenfülle müsse daher reduziert werden. Ohle sagt: „Maßstab sind Deutschlands Interessen, und die müssen definiert werden. Nach 1991 wurden die Bemühungen für die Landes- und Bündnisverteidigung bewusst eingeschränkt. Der organisatorische, materielle und personelle Wiederaufbau wird Jahrzehnte dauern.“
Was nötig wäre
Um alle Aufgaben wahrzunehmen und nicht allein auf hochspezialisierte, punktuelle Auslandseinsätze vorbereitet zu sein, bräuchte es 230000 Soldaten, Fähigkeiten zur Beherrschung des Luftraums sowie Drohnen und die digitale Beherrschung der militärischen Kommunikation über die nationalen Streitkräfte hinweg zu den Bündnispartnern. Auch die „völlig veralteten Übungsräume und Truppenübungsplätze für Großkampfverbände“ müssten dringend modernisiert werden.