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Vor 25 JahrenWie die Telekom-Aktie einen grandiosen Absturz erlebte

Lesezeit 6 Minuten
ron sommer (1)

Der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Ron Sommer 

Bonn – Am 18. November 1996 herrschte auf dem Parkett der Frankfurter Börse großes Gedränge. Der damalige Finanzminister Theo Waigel, Postminister Wolfgang Bötsch und Telekom-Chef Ron Sommer starrten gebannt auf die Kurstafel. Auf dem Parkett drängten sich die Händler. Da noch viel stärker als heute von Mensch zu Mensch gehandelt wurde als heute, dauerte es von 10.30 Uhr bis 12.26 Uhr, ehe sich ihre Mienen entspannten. Dann erst stand der erste Kurs der T-Aktie fest. Um 3,70 Mark übertraf die T-Aktie ihren Emissionspreis von 28,50 Mark (14,57 Euro) bei der ersten Börsennotiz. Der Tag endete bei 33,90 Mark.Die Euphorie, die sich in den Monaten zuvor um die T-Aktie entwickelt hatte, war gigantisch. Mit großem Aufwand wurde auf allen Werbekanälen für die T-Aktie getrommelt. „Die T-Aktie wird so sicher wie eine vererbbare Zusatzrente sein“, sagte der damalige Telekom-Chef Ron Sommer Anfang 1996.

Der Plan von der Volksaktie

Eine Volksaktie sollte das Papier der Telekom werden – also eine Aktie, die bei einer Privatisierung gezielt an Kleinanleger verkauft wird. Das war der Kern der Marketingstrategie, so wie 35 Jahre zuvor beim Börsengang von Volkswagen. Historisch ist der Begriff „Volksaktie“ aus der Privatisierungspolitik Ludwig Erhards entstanden. Der Staat wollte sich von einem Teil seines Industriebesitzes trennen und gleichzeitig eine Beteiligung der Bürger und Arbeitnehmer am Produktivkapital fördern.

telekom

Symbolbild

Nach der umfangreichen Marketingkampagne griffen die Deutschen bei der Telekom zu: 1,9 Millionen Privatanleger stiegen ein, 713 Millionen Aktien wurden ausgegeben. Die Telekom wäre auch die fünffache Menge losgeworden. Aber auch so konnte sich Ron Sommer über jede Menge frisches Kapital freuen: Rund zehn Milliarden Euro spülte der Börsengang in die Kassen. 26 Prozent des Grundkapitals der Telekom veräußerte der Bund im ersten Schritt. Die Mittel wollte das Unternehmen zum Abbau von Schulden einsetzen. Der Börsengang der Telekom war der bis dahin zweitgrößte weltweit.

23,7 Millionen der Aktien gingen an Mitarbeiter. Für die damals rund 250.000 Beschäftigten der Telekom und mit ihr verbundener Unternehmen gab es ein kreditfinanziertes Mitarbeiter-Beteiligungsmodell. Für 300 Mark Kapitaleinsatz konnten sie Aktien im Gesamtwert von 1500 Mark erwerben. Die Schweizerische Bankgesellschaft steuerte für sechs Jahre ein zinsloses Darlehen von 1200 Mark bei und behielt als Entschädigung in dieser Zeit ausgeschüttete Dividenden. Mehr noch: Die Bankgesellschaft garantierte jedem, dass er nach Ablauf der Sperrfrist zumindest soviel Geld für seine Telekom-Aktien bekommt, dass er den Kredit tilgen kann und seinen Einsatz zurückerhält.

Für Privatanleger, die 1996 bis zu 300 Aktien vergünstigt beziehen konnten, errechnet die Telekom heute eine Rendite von rund 210 Prozent auf das angelegte Kapital, wenn die Dividenden und Treueaktien mit einberechnet werden.

Ron Sommer sollte das Unternehmen entstauben

Der Macher hinter der T-Aktie war Ron Sommer. Er sollte aus der ehemaligen Behörde mit Beamten und den angestaubten Strukturen ein profitables Privatunternehmen machen. Dem ersten Börsengang folgten rasch Schritt zwei und drei.

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Der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Ron Sommer 

Im Juni 1999 wurden 281 Millionen Aktien zum Preis von 39,50 Euro ausgegeben und 10,8 Milliarden Euro eingenommen. Ein Jahr später dann verkaufte der Bund über die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 200 Millionen T-Aktien zum Preis von 66,50 Euro. Es flossen rund 13 Milliarden Euro in die Staatskasse. Die Börseneuphorie war auf ihrem Höhepunkt angelangt. Die Telekom-Aktie notierte am 6. März 2000 bei 103,50 Euro auf ihrem Allzeithoch. Doch dann ging es steil bergab. Sommers Firmenzukäufe vor allem in den USA setzten der Aktie stark zu. Die Schulden stiegen. Die Internet-Blase platzte, viele Technologiewerte des „Neuen Marktes“ stürzten ab. Fehlerhafte Unternehmensstrategien, ein überteuerter Kauf der UMTS-Lizenzen, ein enormer Schuldenstand und ein zu hoher Preis für den Erwerb des US-Mobilfunkanbieters Voicestream, so lauteten die häufigsten Vorwürfe an den Telekom-Chef.

Fusion mit Telecom Italia scheiterte

Im Vorfeld der zweiten Tranche im Mai 1999 erlitt die Telekom den ersten Rückschlag bei ihren Internationalisierungsplänen. Die angekündigte Fusion mit der Telecom Italia zum zweitgrößten Telekom-Unternehmen der Welt scheiterte. Im Februar 2002 korrigierte der Konzern den Wert seines Immobilienvermögens um zwei Milliarden Euro nach unten, was zu Protesten und Aktionärslagen führte. Das Entsetzen war groß. Am 16. Juli 2002 trat Ron Sommer zurück.

Seitdem hat sich bei der Telekom viel getan. Spar- und Effizienzsteigerungsprogramme mehrerer Vorstandschefs haben die Marktlage des Unternehmens verbessert. Die US-Tochter macht ausgezeichnete Geschäfte. Mittlerweile erzielt der Konzern mehr als die Hälfte seines Umsatzes in den USA. In Deutschland investiert das Unternehmen Milliarden in das Glasfasernetz. Doch der Anteil der privaten Anleger ist auf 17,9 Prozent gesunken. Von Volksaktie ist keine Rede mehr. Der Bund, inklusive des KfW-Anteils, hält noch 31,9 Prozent.Wer um die Jahrtausendwende die T-Aktie gekauft hat, wird auf absehbare Zeit das Einstiegsniveau nicht erreichen. Über Aktionärsklagen ist noch nicht endgültig entschieden.

Noch immer machen 16.000 Kleinaktionäre Ansprüche geltend

Rund 16.000 Kleinaktionäre machen gegenüber der Telekom Ansprüche von 80 Millionen Euro geltend. Es geht um Fehler in einem Börsenprospekt aus dem Jahr 2000. Im Februar dieses Jahres hat der Bundesgerichtshofs in Karlsruhe den Musterentscheid gegen den Konzern in Teilen aufgehoben und an das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt zurückverwiesen. Die Richter legten einen Vergleichsvorschlag auf den Tisch. Er wird sowohl vom Musterkläger und weiteren Anlegern sowie der Telekom, der Bundesrepublik Deutschland und der KfW unterstützt, wie das OLG am Montag mitteilte. Am Dienstag kommender Woche soll der Vergleich zwischen den Parteien besprochen werden. Leer gingen endgültig Kläger aus, die im Verkaufsprospekt vom zweiten Telekom-Börsengang Fehler gewittert hatten.

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Durch die Corona-Krise kommt der Bonner Konzern sehr gut. Umsatz und Gewinn sind sprunghaft gestiegen. Die Telekom profitiert insbesondere von einem starken USA-Geschäft. Tochterfirma T-Mobile US ist nach der Fusion mit dem Konkurrenten Sprint zur Nummer zwei auf dem US-Markt aufgestiegen, nur noch Verizon liegt vor den Bonnern. Allein der Kurs der T-Aktie profitiert davon nur wenig. Heute kostet eine Aktie gut 16 Euro, mehr als doppelt so viel als zum Tiefstand 2002. Danach hatten sich viele Privatanleger erst einmal wieder von der Aktienanlage abgewendet. Doch der digitale Handel per App ist mittlerweile gerade bei jüngeren Anleger im Trend. Die Zahl der Aktionäre in Deutschland ist 2020 auf den höchsten Stand seit fast 20 Jahren geklettert. 12,35 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts (DAI) Anteilsscheine von Unternehmen und/oder Aktienfonds und damit knapp 2,7 Millionen mehr als ein Jahr zuvor. Höher war die Zahl der Aktionäre hierzulande zuletzt im Jahr 2001 mit fast 12,9 Millionen. Allerdings sind in der Statistik 2020 erstmals auch ausländische Aktionäre mit Wohnsitz in Deutschland erfasst. Dies allein erhöhte die Zahl um 500.000. Aber durch diesen Trend besteht die Hoffnung, dass Deutschland langfristig doch zum Volk der Aktionäre wird, auch wenn es keine Volksaktie hat.