AboAbonnieren

„Das hätte viel Steuergeld gespart“Staatshilfe für Galeria Karstadt Kaufhof in der Kritik

Lesezeit 4 Minuten
Haben Kaufhäuser ausgedient? Die Zukunft dieses Geschäftsmodells liegt im Dunkeln.

Haben Kaufhäuser ausgedient? Die Zukunft dieses Geschäftsmodells liegt im Dunkeln.

Insolvenzjurist Christoph Niering kritisiert, dass oftmals auch Unternehmen über Wasser gehalten werden, die eigentlich keine Existenzberechtigung mehr hätten.

Die Krise des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof legt den Verdacht nahe, dass es gute Zeiten sein müssten für Deutschlands Insolvenzverwalter. Doch das Gegenteil sei der Fall, sagt der Kölner Insolvenzverwalter Christoph Niering. Sein Berufszweig habe in den vergangenen Monaten eine beispiellose Auftragsflaute erlebt. Niering, der den Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) führt, kritisiert in diesem Zusammenhang die milliardenschweren Staatshilfen für angeschlagene Unternehmen. Häufig würden Firmen, die ansonsten keine Chance hätten, mit Steuergeldern künstlich am Leben gehalten. Galeria Karstadt Kaufhof sei dafür „ein treffendes Beispiel“.

„Wir haben nicht mehr das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte, in denen Insolvenzen auch der Marktbereinigung dienen“, bemerkt Niering. „Stattdessen erleben wir ein staatlich gelenktes Insolvenzgeschehen.“ Die Insolvenzzahlen hätten sich in den vergangenen drei Jahren auf einem historisch niedrigen Niveau bewegt. „Auch heute nähern wir uns erst ansatzweise dem Niveau von 2019, als das Land wirtschaftlich blendend dastand.“

Eigentlich keine Existenzberechtigung mehr

Wenn es umfassende staatliche Hilfen gebe, würden häufig auch Unternehmen, „die eigentlich vom Markt her keine Existenzberechtigung mehr hätten, mithilfe von Steuergeldern über Wasser gehalten“, sagt der Insolvenzverwalter. So sei es auch bei der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof geschehen. „Eigentlich geht es hier um eine seit Jahren schrumpfende Branche“, urteilt Niering. „Ohne die staatlichen Finanzspritzen hätte es wahrscheinlich schon bei der ersten Insolvenz im Jahr 2021 tiefere Einschnitte geben müssen. Das hätte viel Steuergeld gespart – und den Beschäftigten auch viel leidvolle Ungewissheit.“

Den Beschäftigten sei nicht geholfen, wenn ein Unternehmen auf diese Weise am Leben gehalten werde, sagt Niering. „Ich erlebe bei meiner Arbeit immer wieder, wie qualvoll auf Arbeitnehmerseite die jahrelange Ungewissheit über die eigene berufliche Zukunft ist. Unzählige Personalmaßnahmen, Sanierungstarifverträge und wiederholte Insolvenzen sind für Mitarbeitende zermürbend.“

Arbeitskräfte fehlen

Ein Ende mit Schrecken sei häufig besser als Schrecken ohne Ende. „Wer arbeitet schon gerne für einen Betrieb, in dem nicht klar ist, ob es morgen die Kündigung gibt?“, so Niering. „Unternehmen, die aus eigener Kraft nicht existieren können, binden Arbeitskräfte, die bei wirtschaftlich gesunden Unternehmen besser aufgehoben wären. Wir haben heute generell einen Arbeitskräftemangel, der weit über einen Mangel an Fachkräften hinausgeht. Restaurant- und Einzelhandelsbetriebe können vielfach nicht oder nur eingeschränkt öffnen, weil ihnen die Leute fehlen.“

Insolvenzverwalter haben in Deutschland eine starke Rolle, wenn sie das Ruder in Unternehmen übernehmen. Die Auswahl der jeweiligen Juristen erfolgt durch ein Amtsgericht – ohne Ausschreibung, ohne Korrekturmöglichkeiten und mit wenig Transparenz. „Es muss eine Auswahl innerhalb kürzester Zeit erfolgen, da geht es um Tage, manchmal auch um Stunden“, verteidigt Christoph Niering das Vorgehen. „Eine europaweite Ausschreibung ist daher nicht nur unpraktikabel, sondern könnte den Erhalt des Unternehmens oder die schnelle Sicherung der Insolvenzmasse gefährden. In mittleren und größeren Insolvenzverfahren liegt der Auswahlprozess allerdings seit einigen Jahren nicht mehr allein bei dem zuständigen Insolvenzrichter, sondern über den Gläubigerausschuss auch bei den Gläubigern.“

Für Insolvenzverwalter sind es mitunter Mandate, die Millionensummen in die Kassen ihrer Kanzlei spülen. 80 bis 90 Prozent aller Insolvenzverfahren seien allerdings „Klein- und Kleinstinsolvenzverfahren, bei denen die Mindestvergütung oft nur 1000 Euro beträgt“, sagt Niering. „Über diese Mindestvergütung hinaus arbeitet der Insolvenzverwalter anders als Anwälte rein erfolgsbezogen und haftet auch bei komplexen Betriebsfortführungen persönlich – mit Haus und Hof. Zudem vergessen viele, dass nicht der Verwalter allein, sondern sein ganzes Kanzleiteam die Arbeit bewältigt, die dann über die Vergütungen finanziert werden muss.“

Mit Blick auf die betroffenen Unternehmen sei eine Insolvenz „sehr oft nicht das Ende“, sondern die Chance für einen Neuanfang, betont Niering. „Ich vergleiche das oft mit einem Ballon, der aufsteigen kann, weil er Ballast abwirft: Schulden, schlechte Miet- oder Lieferantenverträge. Das sind die Sandsäcke, die es loszuwerden gilt. Dann gewinnt ein Unternehmen wieder an Höhe.“

„Wir haben nicht mehr das freie Spiel der Kräfte, in denen Insolvenzen auch der Marktbereinigung dienen.“
Christoph Niering, Kölner Insolvenzverwalter

Im Übrigen seien nicht alle Gläubiger die großen Verlierer, sondern die ungesicherten Gläubiger. „Die Banken sind gesichert und haben meist nicht viel zu befürchten. Auch Lieferanten, die unter Eigentumsvorbehalt agieren, sind insolvenzfest gesichert“, merkt Niering an. „Die Geschädigten sind die Gläubiger, die nicht gesichert sind – meist einfache Dienstleister wie Reinigungsfirmen und Handwerker.“

Der Staat als Gläubiger

Im Fall Galeria Karstadt Kaufhof ist es auch der Staat, der Millionensummen für die vermeintliche Unternehmensrettung beigesteuert hat. „Es ist wirklich eine Sondersituation, die wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben“, sagt Niering dazu. „Was der Staat unter anderem bei Galeria Karstadt Kaufhof gemacht hat, war vorher europarechtlich verboten. Da durfte der Staat Unternehmen in Schieflage grundsätzlich keine finanzielle Unterstützung zukommen lassen.“ Corona habe das geändert: „Plötzlich gab es Geld für alles und jeden, auch für Unternehmen, die eigentlich Insolvenz hätten anmelden müssen.“

Infobox: Christoph Niering hat seit mehr als 30 Jahren nach eigenen Angaben mehr als 2000 Insolvenz- und Eigenverwaltungsverfahren betreut, in Nordrhein-Westfalen unter anderem bei den Traditionsvereinen Schwarz-Weiß Essen, Moskitos Essen und Alemannia Aachen. Seine Kölner Kanzlei Niering Stock Tömp hat rund 70 Mitarbeitende und auch ein Büro in Essen.