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Neue Mitarbeiter gebrauchtBabyboomer sucht Nachfolger in vielen Betrieben

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Die nächste Arbeitnehmer-Generation: Ausbildung bei Reifenhäuser in Troisdorf.

  1. Es sind die sogenannten Babyboomer, die Unternehmen wie Reifenhäuser oder die Kölner Rheinenergie vor eine Herausforderung stellen.
  2. Langjährige, erfahrene Mitarbeiter einer geburtenstarken Generation müssen altersbedingt im großen Stil ersetzt werden.
  3. Das ist nicht immer einfach.

Troisdorf/Köln – Fünf Jahre, bevor Harald Markes in Rente ging, kam sein Chef schon auf ihn zu, um zu besprechen, wie es danach weitergehen soll. Wie ersetzt man eine Führungskraft, die seit 30 Jahren mit Leidenschaft und Know-how im Unternehmen mitwirkt und national wie international seit Jahrzehnten dieselben Kunden und millionenschwere Projekte betreut?

Im Gespräch mit dieser Zeitung erzählt der 67-Jährige von seinem Ausstieg aus der Firma Reifenhäuser Reicofil, ein Subunternehmen der Maschinenbauer-Gruppe Reifenhäuser in Troisdorf. Und von dem Ausstieg, der dann doch keinen vollständigen Abschied bedeutete.

Der ehemalige Kollege übernahm schließlich die Führungsposition

Schnell sei klar gewesen, dass ein einziger Nachfolger seine Arbeit als Leiter der Abteilung Projektmanagement nicht auffangen könne. Der ehemalige Kollege Frank Stehling übernahm schließlich die Führungsposition. Zwei neue jüngere Kollegen seine Geschäftskunden.

„Die neuen Kollegen mussten nicht nur inhaltlich eingearbeitet werden, sondern auch die Bindung zu meinen Kunden aufbauen“, berichtet Markes. Gemeinsam sei man mehrfach bis nach Korea geflogen, um die neuen Mitarbeiter und die Kunden bekannt zu machen. „Jeder Kunde hat spezielle Empfindlichkeiten“, so Markes. Reicofil verkauft Maschinen, mit denen Kunststoffmaterial für Windeln oder Damenbinden hergestellt werden kann.

So ganz verabschieden konnte sich der 67-Jährige nicht

Überwiegend habe die Übergabe seiner Tätigkeiten im Unternehmen gut funktioniert. So ganz verabschieden konnte sich der 67-Jährige, der offiziell am 1. Januar 2019 mit 65 Jahren in Rente ging, dann aber doch nicht. Dienstag bis Donnerstag ist er heute noch für das Unternehmen aktiv und arbeitet an Sonderprojekten: „Solange ich noch gebraucht werde, mache ich weiter“, gibt Markes an.

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Harald Markes arbeitet noch ein bisschn weiter.

Schließlich sei er mit dem Familienunternehmen Reifenhäuser aufgewachsen, in dem heute noch die Brüder Ulrich und Bernd Reifenhäuser in der Geschäftsleitung der Gruppe sitzen. Auch als Berater für die Kollegen aus dem Vertrieb und Projektmanagement macht Markes sich noch stark: „Manchmal laden mich die Kunden auch ein, wenn sie hier zu uns nach Troisdorf kommen. Dann frage ich aber immer zuerst die neuen Kollegen, ob ihnen das Recht ist, wenn ich komme. Es gibt nichts Schlimmeres als Bevormundung. Ich will denen nicht meine Strategie aufzwingen“, sagt er.

Knapp 20 Prozent der Belegschaft scheidet demnächst aus

233 von 1350 Mitarbeitern werden in der Reifenhäuser Gruppe in den kommenden zehn Jahren allein in Deutschland in Rente gehen. In der Hauptzentrale in Troisdorf werden es laut Michael Kukla, Personalleiter der Reifenhäuser Gruppe, 173 von 885 Mitarbeitern sein. Das macht knapp 20 Prozent der Belegschaft aus.

Es sind die sogenannten Babyboomer, die Unternehmen wie Reifenhäuser oder die Kölner Rheinenergie vor eine Herausforderung stellen: langjährige, erfahrene Mitarbeiter einer geburtenstarken Generation müssen altersbedingt im großen Stil ersetzt werden, damit der Betrieb weiterläuft.

Durch Nachwuchsarbeit will das Unternehmen den Personalabgang auffangen

Als Babyboomer werden laut dem Statistischen Bundesamt die Mitglieder der Generation bezeichnet, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1950 und 1970 geboren wurden. In dieser Zeit kamen jährlich mehr als eine Million Kinder in Deutschland zur Welt. In den 70er-Jahren folgte dann der „Babybust“, als die Geburtenzahlen stark wieder zurückgingen.

Bei Reifenhäuser werden die Arbeitnehmer der geburtenstarken Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur im kaufmännischen Bereich wie zum Beispiel in der Buchhaltung, sondern auch in der Technik und Produktion fehlen. Durch die Ausbildung und starke eigene Nachwuchsarbeit will das Unternehmen den Personalabgang jedoch auffangen und jungen Mitarbeitern schon früh Verantwortung übergeben.

Know-how-Transfer soll reibungslos verlaufen

„Ein Teil der Abgänge wird auch über neue Technologien und Digitalisierung aufgefangen“, erklärt Kukla. Außerdem setzt die Unternehmensgruppe darauf, in Rente gehende und junge Mitarbeiter eine Zeit lang zusammenarbeiten zu lassen.

„So wird der Know-how-Transfer reibungslos gestaltet, der Übergang ist fließend und es entstehen keine Lücken“, sagt Kukla. „Tendenziell sind die neu zu uns kommenden Mitarbeiter sehr digitalaffin. Das bringt uns Chancen für die Weiterentwicklung unserer Produkte, unserer Geschäftsmodelle und die Art, wie wir zukünftig zusammenarbeiten.“

Mangel an Bewerbungen gibt es bei Reifenhäuser keinen

Um neue Mitarbeiter einzuarbeiten, müssen diese erstmal gefunden werden. Mangel an Bewerbungen gebe es bei Reifenhäuser keinen. „Schwierig ist die Nachwuchsarbeit dort, wo die Tätigkeit einen hohen Reiseanteil aufweist. Das passt zumindest längerfristig nicht mehr gut zu den heutigen Lebensentwürfen. Aber auch hier arbeiten wir an Angeboten, um das noch attraktiver zu machen“, so Kukla. Etwa Monteure, die unter Umständen sechs bis neun Monate im Ausland eingesetzt werden, um neue Anlagen aufzubauen.

Bei der Rheinenergie in Köln sind es knapp 22 Prozent der Mitarbeiter, die innerhalb der kommenden zehn Jahre das gesetzliche Rentenalter erreichen. Ende vergangenen Jahres hatte der regionale Strom- und Wasserversorger laut Charly Böhle, Hauptabteilungsleiter für Personal und Organisation des Unternehmens, 2985 Mitarbeiter. Mindestens 650 darunter werden altersbedingt aus den verschiedensten Bereichen wegfallen – 170 Mitarbeiter beispielsweise im Bereich Technik, 130 im kaufmännischen Sektor.

Die Anforderungen an die Mitarbeiter ändern sich schnell

Vor allem im IT-Bereich sei es für die Rheinenergie „heute schon schwer, Stellen nachzubesetzen“, sagt Böhle. „Die Anforderungen an die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ändern sich in diesem Umfeld recht schnell.“ Anders sehe es im kaufmännischen Bereich aus, wo es „unproblematisch ist“, neue Mitarbeiter zu finden.

Der Schlüssel liege darin, frühzeitig die gesuchten Qualifikationen festzulegen und nach neuen Mitarbeitern zu suchen. Offene Stellen werden bei der Rheinenergie zunächst intern ausgeschrieben, so dass jeder Beschäftigte die Möglichkeit hat, sich darauf zu bewerben. Bei der Einarbeitung in der neuen Stelle werden dann die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen nachgeholt. „Wir wollen auch die Entwicklung eigener Mitarbeiter vorantreiben“, so Böhle.

Die gewerbliche Ausbildung ist unsexy geworden

In fünf verschiedenen Ausbildungsberufen bildet das Unternehmen aus: vom Industriekaufmann, über den Anlagenmechaniker bis hin zum Kombistudenten im betriebswirtschaftlichen und Informationstechnischen Umfeld. „Die gewerbliche Ausbildung ist unsexy geworden, da gehen die Zahlen der Bewerber zurück“, so der Personalleiter. „Da müssen wir uns in Zukunft noch mehr anstrengen, Nachwuchs zu finden und aufzeigen, wie attraktiv diese Berufe sind.“

Sowohl die Rheinenergie als auch Reifenhäuser bilden trotz der Corona-Krise unverändert weiter aus. Das ist nicht überall so, vor allem nicht bei kleinen Betrieben. Im Handwerk wurden zum Beispiel im ersten Halbjahr 16,6 Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vorjahr. Der Bund fördert die Ausbildung in Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitern finanziell, um einem Fachkräftemangel vorzubeugen.

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So oder so: Bei den Bewerbern komme es nicht nur auf die richtigen Qualifikationen an, sondern auch darauf, dass die jungen Menschen wirklich Spaß an dem hätten, was sie tun. Rheinernergie-Experte Böhle: „Wir müssen ja auch schauen, dass die Auszubildenden die Ausbildung erfolgreich zu Ende bringen.“