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Krieg gegen die EnergiekriseFlüssiggas aus den Arabischen Emiraten

Lesezeit 6 Minuten
KR Kanzler Olaf Scholz Kronprinz Mohammed bin Salman

Kanzler Olaf Scholz mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman.

Doha – Als Olaf Scholz am Sonntagmittag zum letzten Termin seiner Nahost-Reise gefahren wird, in den Palast des Emirs von Katar, ertönt im 40 Grad heißen Doha kurz die Stimme eines Muezzins. Im Präsidentenpalast spricht der Kanzler mit Tamin bin Hamad al Thani, der im November die Fußball-WM ausrichtet. Kurz danach treten beide vor die Kameras. Al Thani ist der einzige der drei Golf-Autokraten, die Scholz seit Samstag getroffen hat, der überhaupt zur Presse spricht – aber auch er stellt sich keinen Fragen.

Bilanz des Bundeskanzlers

Eine zentrale Bilanz des Bundeskanzlers lautet: „Es ist gut, dass hier Fortschritte zu verzeichnen sind, was die Möglichkeit betrifft, sich mit Gas zu versorgen.“ Einen Vertrag aus den Vereinigten Arabischen Emiraten bringt er mit zurück nach Deutschland: Noch vor Ende des Jahres soll ein Tanker mit 137000 Kubikmetern Flüssiggas in Hamburg-Brunsbüttel einlaufen. Es wird die Premiere für das noch nicht ganz fertige LNG-Terminal dort.

Der Verarbeitungsprozess von Erdgas zu LNG (verflüssigtes Erdgas).

Es war eine Tour de Force durch die Golfregion, die Scholz von Samstagfrüh bis Sonntagnacht bereist hat, mit einer ranghohen Wirtschaftsdelegation im Schlepptau. Und es war eine Gratwanderung, bei den autokratischen Scheichs um Energie zu buhlen. Aber der Kanzler ist überzeugt: Es brauchte jetzt diese Bemühung um enge Beziehungen in die schwierige Region, um alle möglichen Gasquellen zu erschließen. Aber auch, um die Wende in die postfossile Welt zu schaffen, mit dem Wasserstoff aus Nahost, dem Öl und Gas der Zukunft.

Es geht wieder ums Geschäft

Den brisantesten Termin hat Scholz gleich zu Beginn der Reise. Nach der Landung in der saudi-arabischen Küstenmetropole Dschidda geht es in den königlichen „Palast des Friedens“. Mit dynamischem Handschlag begrüßt Scholz den Kronprinzen Mohammed bin Salman. Den Mann, der vor vier Jahren den Auftrag gegeben haben soll, den Journalisten Jamal Khashoggi zu ermorden. Der Handschlag beendet eine vierjährige Eiszeit in den deutsch-saudischen Beziehungen. Jetzt geht es wieder um Geschäfte.

Der Kanzler reicht dem Emir von Katar, Tamin bin Hamad al Thani, die Hand.

Zwei Stunden, doppelt so lange wie geplant, dauert das Gespräch mit den Delegationen. An einem langen Tisch sitzt man unter einem Porträt von König Salman, und der Gastgeber breitet wortreich seine Zukunftsvision aus: Vom Öl- zum Wasserstoff-Lieferanten soll das Königreich werden. Und die Botschaft des Kanzlers: Wir wollen davon so viel wie möglich haben! Der „Drive“ des angehenden Monarchen wird in der Delegation gerühmt. Das er sich nicht von Wladimir Putin und seinem Ukraine-Krieg distanziert, nimmt man zur Kenntnis.

Khashoggi wird nicht erwähnt

Hat Scholz in seinem kurzen Vier-Augen-Gespräch den mutmaßlichen Auftragsmord erwähnt? „Wir haben alle Fragen besprochen, die sich um Fragen von Bürger- und Menschenrechten drehen“, sagt er nach seiner Rückkehr aus dem Palast. „Sie können davon ausgehen, dass nichts unbesprochen geblieben ist, was zu sagen ist.“ Ein echter Scholz: Vor der Presse nimmt er den Namen Khashoggi nicht in den Mund.

Für die jungen Unternehmerinnen, die er danach trifft, hat der Kanzler nicht so viel Zeit. Auch hier soll ein anderes Bild des Königreichs gezeigt werden: selbstbewusste Frauen, die mit Hightech Geld verdienen. Wie Rana: „Wir haben alle Möglichkeiten, es ist ein Aufbruch, den wir gestalten“, sagt sie, nachdem Scholz einen Tisch weitergezogen ist. Stark geschminkt, die Haare mit einem modischen Kopftuch verdeckt. Nikabs, die traditionellen Ganzkörperverschleierungen, sind hier nicht zu sehen. Stattdessen schwärmen die Frauen vom Bildungssystem und der Offenheit ihres Landes.

„Nicht alles schwarz und weiß“

Von Dschidda geht es mit der Regierungsmaschine quer über die arabische Halbinsel nach Abu Dhabi, der Küstenmetropole der Emirate. Die Delegation ist im 49 Stockwerke hohen Hotel St. Regis untergebracht, auf der Terrasse über der Strandpromenade klingt der Abend aus.

In den Gesprächen mit denen, die in Abu Dhabi leben, wird ein anderes Bild der Region beschrieben als das in Deutschland vorherrschende. Ja, es wird überwacht, bespitzelt, es werden Gegner eingesperrt. Aber es ist eben auch eine Modernisierung im Gange. Mit gewaltigem Tempo werden Solarparks hochgezogen. Wasserstoff soll das Öl der Zukunft werden. Auch die Emirate wollen bei der Wende in die postfossile Zeit mitmachen. „Es ist nicht alles schwarz und weiß“, sagt ein Diplomat.

Der Kanzler und die Umweltministerin über grüne Energie

Am nächsten Morgen – bei 35 Grad und brutaler Luftfeuchtigkeit – zeigt Klimawandel-Ministerin Mariam bint Mohammed al Mheiri ihrem Gast den Jubail-Park, einen künstlichen Mangrovenwald inmitten der Wüstenlandschaft am Rand der Millionenstadt. Scholz’ weißes Hemd ist durchgeschwitzt, als er mit der Ministerin über die Stege spaziert. Al Mheiri berichtet von Plänen, bis 2030 eine Million Mangroven zu pflanzen: eine künstliche Oase in dem menschenfeindlichen Klima, das hier das halbe Jahr über herrscht. Und ein Projekt, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen.

Kanzler Olaf Scholz mit der Umweltministerin der Emirate, Mariam bint Mohammed Saeed Hareb al Mheiri.

Scholz wiederholt seine Botschaft: Es würden auf seiner Reise viele Projekte vorangebracht, um die Gasversorgung Deutschlands ohne russische Lieferungen sicherzustellen, aber auch, um grüne Energie der Zukunft zu sichern. Das konkrete Ergebnis am Sonntag: RWE vereinbart mit den Emiraten eine erste Lieferung LNG. Weitere Tanker sollen folgen, das Gas für Deutschland sei reserviert, verspricht die Regierung. Die Emirate verfügen über die siebtgrößten Erdgasvorkommen weltweit.

Abhängigkeit soll vermieden werden

Wird der Nahe Osten mit seinen Autokraten das neue Russland? Scholz widerspricht vehement: „Wir werden uns auf viele Regionen konzentrieren. Dass man eine Abhängigkeit hat von einem Lieferanten, das wird uns sicher nicht wieder passieren“, sagt er. Nie mehr dürfe Deutschland „angewiesen sein auf den konkreten Lieferanten am andere Ende der Pipeline“.

Aus Abu Dhabi geht es nach Doha. 1950 hatte hier praktisch noch kein Haus Strom. Heute ist die Küste von Wolkenkratzern gesäumt, und die Stadien für die Fußball-WM sind mit gigantischen Klimaanlagen ausgestattet. Einen Gas-Deal mit Katar kann Scholz von hier aber nicht mitbringen. Die Franzosen waren schneller und geben just vor dem Kanzler-Besuch bekannt, dass sie gemeinsam mit dem Emirat ein neues, gewaltiges Gasfeld erschließen.

Wiedersehen bei der WM?

Dass die WM hier in der Wüste stattfindet, sorgte für Kritik. Viele Menschen sind beim Bau der Sportstätten ums Leben gekommen. Es ist ein heikler Moment, als Scholz darauf angesprochen wird. Man nehme zur Kenntnis, dass es „Fortschritte“ bei der Situation der Beschäftigten gebe, sagt er.

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„Auch wenn das noch lange nicht den Vorstellungen entspricht, die wir selber haben.“ Das klingt gerade kritisch genug, um das Gesicht zu wahren. Wird er denn zur WM wiederkommen? Die Frage werde natürlich „zeitnah“ geklärt, weicht der Kanzler abermals aus. „Aber es wird schon so sein, dass da jemand dabei ist.“ Ein echter Scholz, mal wieder.