Köln – Segelbötchen auf den Seen, Wanderwege mit Blick aufs Wasser. So idyllisch soll das Rheinische Revier einmal sein, wo jetzt noch der Braunkohle-Abbau die Landschaft prägt. Doch noch ist wenig zu sehen von Umbauarbeiten auf der „größten Landschaftsbaustelle Europas“. Dabei können die Arbeiten „idealerweise“ schon 2030 losgehen. Dann soll nach dem Willen der Ampel-Bundesregierung die Braunkohleverstromung enden – acht Jahre früher als zuletzt geplant und 15 Jahre vor dem ursprünglich geplanten Ende 2045.
Anwohnerkommunen befürchten da, dass Arbeitsplätze schneller wegfallen als neue entstehen. Es gibt die Sorge, dass nicht mehr genug Strom aus der Steckdose kommt, wenn Kohlen- und Atommeiler vom Netz sind. Und der Erftverband sieht gewaltige Herausforderungen beim Befüllen der Seen oder beim Anheben des Grundwasserspiegels. Ist ein schnellerer Ausstieg also zu meistern?
Die Seen
„Es dauert circa 40 Jahre in Garzweiler, beim Tagebau Hambach kann es sogar einige Jahre länger dauern, bis die Restlöcher bei der derzeit verabredeten Entnahmemenge aus dem Rhein gefüllt sind“, sagt Stefan Simon, Abteilungsleiter Grundwasser beim Erftverband. Das Wasser, das über eine Leitung von Dormagen aus in das Revier gepumpt wird, darf demnach den Rheinpegel bei niedrigen Pegelständen bislang nur um einen Zentimeter absenken. Rheinwasser soll die Tagebaue in Garzweiler und Hambach füllen, die Rur den Tagebau in Inden. Derzeit finden Gespräche auf Behördenebene mit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung statt für ein zukünftiges Entnahmekonzept von Rheinwasser.
Für den Erftverband ist der Ausstiegsfahrplan schon auf Basis der aktuellen Leitentscheidung der NRW-Regierung von 2021 aus wasserwirtschaftlicher Sicht äußerst anspruchsvoll. „Durch den beschleunigten Braunkohleausstieg bis 2038 müssen Überlegungen, Planungen, Genehmigungen und Umsetzungen teilweise vorgezogen und unter größerem Zeitdruck vorgenommen und bewältigt werden“, so Dietmar Jansen, Bereichsleiter Gewässer.
Böschungen der Tagebaue müssen schneller hergerichtet werden, Abraum wird schneller benötigt, um etwa das so genannte Restloch östlich der A44n im Tagebau Garzweiler vollständig zu füllen. Ein See darf hier nicht entstehen. Hier gibt es zum Teil ungekalkte Abraumkippen, aus denen sich bei Wasserkontakt Säure, Sulfat und Eisen lösen, die wiederum das Grundwasser belasten.
Das Grundwasser
Das jahrzehntelang abgesenkte Grundwasser muss wieder ansteigen, beschleunigt durch Wasser aus Rur und Rhein.
Gibt es genug Strom für einen schnellen Ausstieg aus der Kohle?
Wegfallenden Kohle- und Atomstrom könnten Wind-, Solarstrom und Co. ersetzen. Die Ampel-Koalition will, dass 80 Prozent des Stroms bis 2030 aus erneuerbaren Energien kommen. Und das bei steigendem Strombedarf. Nicht nur zahlreiche E-Autos brauchen den zusätzlichen Strom, auch die Industrie habe eine höhere Nachfrage, weil sie Klimaziele erreichen und fossile Energieträger ersetzen muss, sagt Thilo Schaefer, Leiter des Kompetenzfelds Umwelt, Energie, Infrastruktur beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft.
Dazu müssten unter anderem dreimal so viele Photovoltaik-Anlagen in Deutschland in Betrieb sein als zurzeit. Sie sollen dann für eine Erzeugungskapazität von 200 Gigawatt (GW) haben. Die Kapazität der Windanlagen auf See soll ebenso vervierfacht werden auf dann 30 GW. Und angelehnt an den angepeilten Ökostromanteil müssten laut Ampel-Plänen bis zu 100 Gigawatt Windkraft an Land 2030 zur Verfügung stehen, so Schaefer. Das entspreche etwa einer Verdopplung der jetzigen Kapazitäten. „Voraussetzung dafür ist eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren“, sagt Schaefer. Die dauern heute noch fünf bis zehn Jahre.
Auch im Rheinischen Revier wird in Erneuerbare investiert. Über 500 Megawatt Kapazität, das ist die halbe Leistung eines BoA-Braunkohleblocks, will RWE nach einem aktuellen Investitionsplan bis 2030 hier schaffen. In ganz NRW will der Konzern bis dahin ver Milliarden Euro investieren für rund 100 Windräder mit 600 Megawatt Kapazität und Solaranlagen mit 400 Megawatt.
Strom aus erneuerbaren Quellen könne aber auch aus dem Ausland, wo es etwa für Solarenergie bessere Bedingungen gebe, nach Deutschland kommen. Das gelte auch für grünen Wasserstoff, für den es derzeit noch keine geeigneten Schiffe für den weiten Transport etwa aus Chile gebe. Nötig seien auch Stromspeicher in Deutschland sowie grundlastfähige Gaskraftwerke, um schwankende Einspeisungen von Wind- oder Solarkraftwerke auszugleichen.
Es geht um die Sicherung der Trinkwasserversorgung und um eine beschleunigte naturnahe Umgestaltung der Erft. Der 107 Kilometer lange Fluss hat auf 40 Kilometern das Sümpfungswasser, also das beim Tagebau Hambach abgepumpte Wasser aufgenommen. Dazu wurde sie begradigt und ausgebaut. Für ausschließlich natürliche Abflüsse ist sie jetzt viel zu breit, ein Rinnsal in viel zu großem Bett.
Wasserwerke müssen für Jahrzehnte aus dem Betrieb
Trinkwasser wird in der Region überwiegend aus tiefem Grundwasser gewonnen. „Hier ändern sich die Strömungsverhältnisse mit der Flutung der Seen“, sagt Simon. Das Grundwasser fließt nicht mehr in Richtung Tagebaue, sondern aus ihnen in angrenzende Grundwasserleiter.
Das Wasser ist zum Teil aber durch Sulfat und andere Stoffe aus den Abraumkippen der Tagebaue belastet. „Mehrere im Umfeld des Tagebaus Hambach gelegene Wasserwerke müssen mindestens für Jahrzehnte aus dem Betrieb gehen“, so Simon. Sümpfungswasser dient derzeit auch zur Infiltration in Grundwasserleiter nördlich von Garzweiler II. Das schützt Feuchtgebiete vor Absenkung und sichert die Trinkwasserversorgung. Diese Aufgabe muss ab 2030 allmählich Rheinwasser übernehmen. Das aber erfordert laut Simon eine erweiterte Aufbereitung.
„Bei einem Ausstieg aus der Kohleverstromung bereits 2030 gibt es auch früher kein Sümpfungswasser mehr und Rheinwasser wird gegebenenfalls früher benötigt“, sagt Simon. Und erst recht sind größere Wasserentnahmen aus dem Rhein nötig, um die Tagebauseen schneller zu füllen. Hier müssen die unterschiedlichen Interessen von Wasserwirtschaft im Revier und Rheinschifffahrt in Einklang gebracht werden.
Die Arbeitsplätze
Den Kommunen werden zu langsam Ersatzarbeitsplätze geschaffen. Erst recht bei einem Braunkohleausstieg 2030. „Was für die Erfüllung der Klimaziele sicher gut ist, stellt Menschen, Unternehmen und Städte im Rheinischen Revier aber vor immense Herausforderungen“, zeigten sich Andreas Heller, Bürgermeister von Elsdorf, Thomas Hissel, Erster Beigeordneter der Stadt Düren, und Sascha Solbach, Bürgermeister von Bedburg, einig. Ende des abgelaufenen Jahres sendeten sie und Vertreter von 17 weiteren Kommunen einen Hilferuf. Mehr Geld sei nötig, schnellere Auszahlung sowie beschleunigte Planung.
Pinkwart: Revier für schnellen Kohleausstieg gut vorbereitet
NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart sieht das Revier auch auf einen beschleunigten Kohleausstieg gut vorbereitet. Über 14 000 Arbeitsplätze fallen durch den Ausstieg aus der Braunkohle weg, 4000 davon früher als geplant durch einen Kohleausstieg bis 2030. Dann brauche die Region auch früher Geld. Planungsverfahren müssten beschleunigt werden, so Pinkwart. 27 000 neue Jobs können nach einer IW-Studie bis 2038 entstehen mit den 14,8 Milliarden Euro vom Bund sowie Mitteln aus Kofinanzierung von Land und Kommunen oder Unternehmen.
Peter Vieregge, Professor und Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Regional- und Wissensmanagement, hat zusammen mit der MUST Städtebau eine Studie zum Rheinischen Revier vorgelegt: „Wichtig ist, dass in den 20 vom Strukturwandel besonders betroffenen Kommunen etwas passiert“, so Vieregge. Neue Arbeitsplätze müsse es geben, sobald die rund um die Braunkohle wegfallen.
Das sei durch Anknüpfen an vorhandene wirtschaftliche Talente am ehesten zu erreichen. In der Region rund um Düren etwa gebe es eine starke Papierindustrie. „Da geht es auch um Hochtechnologie“, so Vieregge.