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Energiekrise in der RegionDie fieberhafte Suche nach Alternativen zum Gas

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Bayer: „Wir sind technisch vorbereitet.“

Köln – Ein Gaslieferstopp durch Russland – das war vor einigen Wochen noch eine Horrorvorstellung für die deutsche Industrie. Schweißperlen treiben drohende Produktionsunterbrechungen den Managern immer noch auf die Stirn. Doch das Sparen oder Ersetzen von Gas, alternative Lieferanten und sich füllende Speicher lassen sie nicht mehr ganz so pessimistisch auf den Winter schauen.

„Brennstoffwechsel sind in einigen Bereichen möglich und bieten hohes Einsparpotenzial“, sagt Christian Vossler, Energieexperte der IHK Köln. Häufig seien dafür aber neue Genehmigungen nötig. Hier brauchten die Betriebe Planungssicherheit und schnelle Entscheidungen. „Insgesamt ist es erfreulich, wie lösungsorientiert und pragmatisch die Betriebe mit der Situation umgehen“, so Vossler weiter. Ein Blick in einzelne Unternehmen der Region.

Bayer

Mögliche Engpässe bei der Gasversorgung hätten 2022 für den Leverkusener Pharma- und Agrochemiekonzern nach aktueller Einschätzung keine wesentlichen finanziellen Auswirkungen, so Konzernchef Werner Baumann zuletzt bei der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal. Die direkten Folgen für die eigene Produktion könnten bis Jahresende weitestgehend eingedämmt werden. „Wir sind technisch vorbereitet, um die Abhängigkeit von Erdgas durch die Umstellung auf alternative und erneuerbare Energiequellen deutlich zu verringern. Zudem haben wir Programme zur Energieeinsparung eingeführt und, wo möglich, Produktbestände aufgebaut“, so Baumann.

Covestro

Wie andere Konzerne der chemischen Industrie ist Covestro ein sehr energieintensives Unternehmen. Entsprechend groß sei die Abhängigkeit von Erdgas. Es werde für die Erzeugung elektrischer Energie, die Gewinnung von Dampf und als Rohstoff für die Herstellung von Kunststoff gebraucht. Kurzfristig könne Covestro nicht breit auf andere Energiequellen umschalten und habe ein begrenztes Einsparpotenzial, sagt eine Konzernsprecherin.

So wollen Bahn und Telekom ihren Energieverbrauch senken

Deutsche Bahn: Mit einem Jahresverbrauch von rund 10 Milliarden kWh ist der bundeseigene Konzern der größte einzelne Stromabnehmer in Deutschland. Erdgas hatte im vorigen Jahr einen Anteil von 6 Prozent am Strommix. Personalvorstand Martin Seiler verweist auf Maßnahmen wie energiesparendes Fahren im Fern- und Regionalverkehr oder den Austausch fossiler Wärme- durch alternative Heizanlagen. Die Bahn setzt außerdem auf die Motivation ihrer Angestellten. Die Belegschaft soll einen Bonus von 100 Euro pro Kopf erhalten, der auf 150 Euro aufgestockt wird, wenn alle genügend Energie sparen. Dabei geht es etwa um einen besonders schonenden Umgang mit Beleuchtung, dem Heizen, der Klimaanlagen-Nutzung oder der Betankung. So soll vor allem der Energieverbrauch in Gebäuden und an Bahnhöfen gesenkt werden. Wie hoch das Potenzial ist und welchen Umfang die Einsparungen konkret haben sollen, sagt die Bahn nicht.

Deutsche Telekom: Der Bonner Konzern ist als eines der größten IT- und Dienstleistungsunternehmen im Land ein Energie-Großverbraucher. Initiativen für mehr Energieeffizienz nehme man sehr ernst, heißt es. „Das gilt für die mit Strom betriebene Netzinfrastruktur, unsere IT wie auch für unsere Bürogebäude. Ein potenzielles Gasembargo haben wir im Blick und bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor.“

In den Büros greife die Arbeitsstättenrichtlinie mit gesenkten Temperaturen, für Tätigkeiten im Sitzen liege diese etwa bei 20 Grad Celsius. Bei der Telekom läuft vieles – wo dies möglich ist – aber auch im Homeoffice. (dpa)

Gas werde aber etwa durch Kohlestrom ersetzt. Auch stelle man auf ölbasierte Generatoren zur Dampferzeugung um. Verschiedene weitere Maßnahmen könnten den Gasbedarf in der Größenordnung von mehreren hundert Gigawattstunden reduzieren. Dabei gehe es langfristig um eine Kreislaufwirtschaft und damit auch um die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen sowie die Nutzung nicht-fossiler Rohstoffe für die Herstellung der Produkte.

Lanxess

Auch bei Lanxess sucht das Management nach Alternativen und Sparmöglichkeiten.

Auf mögliche Gasengpässe habe sich Lanxess vorbereitet, so Konzernchef Matthias Zachert. Die einzelnen Betriebe wüssten auch, was bei einem Lieferstopp zu tun sei. Noch sei der Konzern in den Chemieparks in Krefeld/ Uerdingen und Leverkusen aber „kohlelastig“. Sie sorgt etwa für Prozesswärme. Mit dem Parkbetreiber Currenta sei Lanxess aber im Gespräch, um aus Klimaschutzgründen wie geplant von Kohle zunächst auf Gas und dann auf Wasserstoff umzusteigen. Der Umstieg auf Gas erfolge eventuell später als geplant. Die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten hat Lanxess an die Kunden weitergegeben.

Evonik

Evonik kann nach eigenen Angaben einen Teil des Gasverbrauchs am Standort Wesseling durch Heizöl ersetzen und so fast zehn Prozent des Bedarfs einsparen. Auch in Lülsdorf werde ein Teil der Dampfherstellung für die Beheizung der Produktionsprozesse auf Heizöl umgestellt. Ein vollständiger Verzicht auf Erdgas sei aber an keinem der beiden Standorte möglich.

Insgesamt könnten an den deutschen Standorten bei der Energieversorgung 40 Prozent des Gasbezugs durch alternative Energiequellen ohne nennenswerte Einschränkung der Chemieproduktion ersetzt werden, teilt der Konzern mit. Die substituierte Gasmenge entspricht dem Jahresverbrauch von mehr als 100000 Haushalten. Wichtigste Maßnahme: Im Gaskraftwerk in Marl wird Liquefied Petroleum Gas (LPG) statt Erdgas zur Energieerzeugung genutzt. Zudem wird ein Kohlekraftwerk, das in diesem Jahr stillgelegt werden sollte, weiter betrieben.

Ford

In den Chefetagen der meisten deutschen Industrie- und Handelsunternehmen ist die mögliche Gasknappheit seit Monaten ein Riesenthema.

„Die Gasversorgung ist für unsere Energieversorgung und damit für die Produktion in unseren Werken essenziell wichtig“, teilt der Kölner Autobauer mit. Ford habe Pläne für alle Bereiche entwickelt, um den Energieverbrauch generell zu senken.

Ein Beispiel ist das Abschalten von drei Trockenöfen in der Lackiererei, die durch ein neues Verfahren nicht mehr benötigt werden. Es gibt zudem Pläne, nicht unbedingt benötigte Verbraucher vom Netz zu nehmen. Im nächsten Schritt könnte über Änderungen im Produktionsablauf entschieden werden.

Schmidt + Clemens

Der Gasverbrauch bei Schmidt + Clemens (S+C), ein Spezialist für Gussprodukte und Schmiedekomponenten aus Edelstahl im oberbergischen Lindlar, liegt bei jährlich 34 Millionen KWh. Das entspricht dem Verbrauch von mehr als 2000 Haushalten. Dieser Verbrauch teilt sich in Gas für die Erzeugung von Wärme und in Gas, welches im Produktionsprozess benötigt wird, auf. Bereits frühzeitig sei ein Krisenstab einberufen worden, so das Unternehmen.

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Sparpotenziale sehe man überwiegend beim Gasverbrauch zur Wärmeerzeugung. Im Produktionsbereich werde in moderne Aggregate investiert. Um einen vereinzelten Gasausfall zu kompensieren, sei die Anschaffung eines Flüssiggasbehälters geplant.

Media Markt und Saturn

Media Markt: „Wir tun alles, um die Märkte auch bei Gasengpässen offen zu halten“

„Wir tun alles, um die Märkte auch bei Gasengpässen offen zu halten“, sagt Karsten Wildberger, Chef von Ceconomy, dem Mutterkonzern von Media Markt und Saturn. Teams arbeiteten daran, die Wärmeversorgung gasbeheizter Filialen notfalls auch elektrisch sicherzustellen. Wo nötig, werde man dafür auch die Verkaufsflächen verkleinern. Rund ein Fünftel der Filialen könnten nach den Worten des Managers im Winter von den Notmaßnahmen betroffen sein.