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Debatte des TagesSpaltet die Energiekrise die Gesellschaft? Forsa-Chef im Interview

Lesezeit 4 Minuten
Querdenker bei einer Demo

Querdenker bei einer Demo 

  1. Während der Corona-Pandemie haben Bewegungen mit extremistischen Tendenzen Zulauf erhalten.
  2. Jetzt befürchten einige Forscher und Politiker, dass die Energiekrise die Gesellschaft erneut spaltet.

Nach einer Forsa-Umfrage machen sich 62 Prozent der Bundesbürger große bis sehr große Sorgen um die Energieversorgung. Experten befürchten, dass extremistische und demokratiefeindliche Kräfte sich diese Ängste zunutze machen könnten. Carolin Raab sprach mit Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts, über die Stimmungslage in der Bevölkerung.

Könnte die Sorge um die Energieversorgung infolge des Ukrainekriegs Menschen offener für extremistische Tendenzen machen?

Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die extremistischen Ränder durch die Energiekrise gestärkt werden. Es gibt einen großen Graben zwischen AfD-Anhängern und der großen Mehrheit der Bevölkerung. Das haben wir ja zuletzt auch bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gesehen: Dort haben immerhin fast 45 Prozent aus Unzufriedenheit und Unmut mit der Politik nicht gewählt, sind aber nicht zur AfD gewandert. Warum sollte das dann jetzt passieren? Die Sorge vor einem „Wutwinter“ halte ich für weitgehend unbegründet.

Zur Person

Manfred Güllner

Professor Manfred Güllner (80) ist studierter Sozialpsychologe, Soziologe und Betriebswirt. Von 1970 bis 1978 war der gebürtige Remscheider Güllner in der Leitung des Bonner Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (infas) tätig. Zwischen 1978 und 1984 war er Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Köln. 1984 gründete er das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa mit Hauptsitz in Berlin, das er bis heute als einer von drei Geschäftsführern leitet. Seit 2004 ist Güllner zudem Honorarprofessor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. (crb)

Sie sprechen von AfD-Anhängern, also der rechten Szene. Könnte eine Protestbewegung mit extremistischen Tendenzen auch aus dem linken Lager kommen?

Die Linke ist eine Partei, die bei allen letzten Wahlen schwach abgeschnitten hat. Vor allem in der westdeutschen Wählerschaft ist sie kaum verankert. Deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass die Linke durch die Energiekrise Auftrieb bekommen könnte, zumal man ihr generell keine Kompetenz zur Lösung der Probleme zutraut.

Wenn im Winter doch eine extremistische Minderheit auf die Straße ginge, etwa gegen die Energiesparmaßnahmen – wären das dann die selben Gruppierungen,die schon gegen die Coronaregeln protestiert haben?

Es gibt eine kleine Gruppe, die ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild hat und sich durch keinerlei Fakten davon abbringen lässt. Ob es die Flüchtlingsfrage ist, Corona oder die Energiekrise – es ist immer dieselbe kleine Gruppierung, die lautstark protestiert. Aber die Medien widmen ihr sehr viel Aufmerksamkeit. Die große Mehrheit, die zwar auch unzufrieden ist und der Politik durch Wahlenthaltung die gelbe Karte zeigt, aber nicht radikal wählt, wird viel weniger beachtet.

Debatte des Tages

KR Meinungbild West Ost

Deutschlands Meinungsbild zum Ukraine-Krieg und der Energiekrise.

Nach einer Forsa-Umfrage machen sich 62 Prozent der Bundesbürger große bis sehr große Sorgen um die Energieversorgung. Experten befürchten, dass demokratiefeindliche Kräfte sich diese Ängste zunutze machen könnten. Carolin Raab sprach mit Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts, über die Stimmungslage in der Bevölkerung.Was meinen Sie? Werden die Spannungen in der Gesellschaft zunehmen? Bitte schreiben Sie uns: Dialog@kr-redaktion.de oderKölnische Rundschau, Leserbriefe, Postfach 102145, 50461 Köln

Gibt es bei dem Meinungsbild regionale Unterschiede?

Wir sehen auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung viele Unterschiede zwischen Ost und West – auch was die Ängste der Bürger anbelangt. Bei der Sorge um die Energieversorgung sind die Diskrepanzen nicht so groß, dafür aber ausgeprägt bei der Einschätzung des Ukrainekrieges, der ja die Ursache des Engpasses ist. Viele Menschen in Ostdeutschland haben eine deutlich distanziertere Haltung zu den westlichen Sanktionen und Waffenlieferungen als die Westdeutschen. Auch das Vertrauen in viele gesellschaftliche und staatliche Institutionen ist im Osten des Landes geringer. Zudem gibt es in den neuen Bundesländern einen besonders hohen Anteil von AfD-Wählern. Die Gründe für die Unterschiede zwischen Ost und West müssten allerdings genauer untersucht werden. Darüber wissen wir noch zu wenig.

Hat sich die Haltung der Menschen zum Thema Energieversorgung seit Beginn des russischen Krieges in der Ukraine grundsätzlich verändert?

In den letzten Jahren war den Menschen immer schon wichtig, dass die Energieversorgung sicher ist und bezahlbar bleibt. Die erneuerbaren Energien haben sich dabei großer Beliebtheit erfreut, aber es gab gleichzeitig auch Zweifel daran, ob sie allein den Energiebedarf decken können. Wenn jetzt drei Viertel der Bundesbürger für längere Laufzeiten der Kernkraftwerke sind, zeigt das, dass die Zweifel an der Effizienz von Sonne und Wind durch den akuten Engpass noch bestärkt worden sind.

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Wie sieht es speziell beim Thema der Gasversorgung aus?

Man sollte sich klarmachen, dass die beide Gas-Pipelines durch die Ostsee – Nordstream 1 wie 2 – immer eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung hatten, weil man sie als Garantie für die Sicherheit der Energieversorgung sah. Deshalb war ja auch eine Mehrheit gegen ein Gas-Embargo gegen Russland. Jetzt wird manchmal über die Pipelines diskutiert, als seien sie Teufelswerk. Aber Alternativen zu russischem Gas sehen viele Bürger nicht in dem Maße, wie sie notwendig wären.