Berlin – Auch hierzulande sind die Infektionszahlen jüngst weiter gestiegen. Noch lässt sich kaum absehen, wann die Kurve sich wieder abflacht. Virologen sehen trotzdem Licht am Ende des Tunnels. Doch sie erwarten auch, dass sich deutlich mehr Menschen mit der Omikron-Variante anstecken werden.
In welcher Phase der Pandemie steht Deutschland?
Die sehr ansteckende Sars-CoV-2-Variante Omikron sorgt für einen Anstieg der Corona-Neuinfektionen, geht allerdings eher mit milderen Verläufen einher als ihr Vorgänger Delta. „Wegen der hohen Inzidenzen durchlaufen wir zurzeit eine kritische Phase“, sagt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen. Wegen der extremen Dynamik könne es in den kommenden Wochen nochmals an vielen kritischen Stellen Engpässe geben – sowohl in Krankenhäusern als auch bei der sonstigen Versorgung. „Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels“, betont Zeeb. „Der derzeitige Anstieg wird in eine andere Phase der Pandemie münden.“ Davon geht auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit von der Uni Hamburg aus. „In Großbritannien bricht die Omikron-Welle gerade in sich zusammen. Das kann man mit etwas Verzögerung auch hierzulande erwarten.“
Wann wird dieser Scheitelpunkt erreicht sein?
Die Experten rechnen mit hohen Inzidenzen noch bis Ende Februar. „Basierend auf den Daten aus anderen Ländern und unseren Maßnahmen in Deutschland, könnte diese Welle in ein oder zwei Monaten überstanden sein“, sagt Schmidt-Chanasit. „Hinzu kommt dann ab dem Frühjahr die starke Saisonalität des Virus. Die hat einen sehr starken Einfluss auf das Infektionsgeschehen.“
Wie hoch ist das Risiko für eine Überlastung der Krankenhäuser?
Zeeb verweist auf das Bundesland Bremen, das mit mehr als 1400 die mit Abstand höchste Sieben-Tage-Inzidenz der Bundesländer aufweist. „In Bremen ist die Belegung der Intensivstationen stabil, obwohl die Inzidenz schon seit mehr als einer Woche steigt“, sagt er. Allerdings seien die Normalstationen stark mit Covid-19-Patienten belegt. „Bisher sehen wir keine Überlastung der Intensivstationen“, sagt auch Schmidt-Chanasit. Die Lage in Bremen mit seiner hohen Impfquote zeige, wie wichtig Impfungen zum Verhindern schwerer Verläufe seien. Allerdings müsse man die nächsten Wochen abwarten und dabei die vulnerablen Bevölkerungsgruppen besonders im Blick behalten.
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Wäre ein Wechsel der Strategie auch für Deutschland sinnvoll?
Das Modell, welches etwa Spanien und die Türkei derzeit verfolgen, ist Experten zufolge nicht so einfach auf Deutschland übertragbar. Im Vergleich zu, Vorgehen Spaniens liegt das vor allem an der Impfrate. „Entscheidend ist die Grundimmunität der Bevölkerung – entweder durch die Impfung oder eine überstandene Infektion“, sagt Zeeb. Spanien habe das mit seiner hohen Impfquote von etwa 90 Prozent geschafft, Deutschland lag am Wochenende laut RKI bei rund 73 Prozent.
Wann könnte in Deutschland ein Strategiewechsel möglich sein?
Zeeb rechnet damit, dass es je nach Immunisierungsgrad der Bevölkerung Mitte des Jahres so weit sein könnte. Das Virus werde sich in der Bevölkerung ausbreiten. „Wir werden uns über kurz oder lang alle mit Sars-CoV-2 infizieren“, sagt er. Auch der Virologe Christian Drosten sieht in Omikron eine „Chance“, aus dem Krisenmodus herauszukommen. Alle Menschen müssten sich früher oder später infizieren.
Spanien und die Türkei lockern
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez lockert in seinem Land die Corona-Maßnahmen immer weiter. Seinen Worten nach arbeiten Experten daran, Covid-19 ähnlich wie eine Grippe zu behandeln. Statt jeden zu testen, könnten Stichproben erfasst und als Grundlage für ein Frühwarnsystem hochgerechnet werden. Auch in den Schulen oder bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen bestehen nun keine Testpflichten mehr.
In der Türkei wird beim Besuch von Kinos, Theatern und Konzerten sowie in Bussen, Bahnen und auf Inlandsflügen kein negativer PCR-Corona-Test mehr verlangt. Die Regelung gilt der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge auch für ungeimpfte Menschen. Auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst und Privatsektor müssen vor Arbeitsbeginn keinen negativen Test mehr nachweisen, hieß es weiter unter Berufung auf eine Verordnung des Innenministeriums.
„Das Virus muss sich verbreiten, aber eben auf Basis eines in der breiten Bevölkerung verankerten Impfschutzes“, sagte er dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Je mehr Menschen durch Impfungen oder Infektionen immunisiert seien, desto unwahrscheinlicher werde eine Überlastung des Gesundheitswesens, sagt Schmidt-Chanasit. Dann sei die Sonderrolle von Sars-CoV-2 im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten nicht mehr gerechtfertigt. Dafür müsse man die Datenlage genau analysieren. „Aber der Zeitpunkt für die Diskussion wird im Frühjahr sein – nach dem Ende der Omikron-Welle.“
Könnte sich die Situation wieder zuspitzen?
Epidemiologe Zeeb hält eine noch infektiösere Variante als Omikron in der nahen Zukunft für unwahrscheinlich. Seine Hoffnung: „Im Moment durchlaufen wir die Omikron-Welle und bauen damit – am besten auf Basis geboosterter Impfungen – Immunität auf. Das ist auch für spätere Varianten wichtig.“ Schmidt-Chanasit ergänzt: „Sars-CoV-2 wird in den nächsten Jahren für die Älteren oder Menschen mit Immunschwäche noch eine Herausforderung bleiben.“ Insofern geht der Virologe davon aus, dass neben der Impfung in diesen Bereichen auch Masken und Tests weiter eine wichtige Rolle spielen werden. (dpa)