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Großer ÜberblickWie es andere Länder in Europa mit der Impfpflicht halten

Lesezeit 7 Minuten

Menschen stehen am Wissenschaftsmuseum von Valencia in einer Schlange, um sich impfen zu lassen.

  1. Über den verpflichtenden Piks gegen das Virus streiten nicht nur die Deutschen.
  2. Einige europäische Länder planen die allgemeine Impfpflicht bereits konkret, in vielen weiteren wird sie diskutiert – und in manchen ist sie gar kein Thema.

In Deutschland wird derzeit intensiv über eine Impfpflicht debattiert. Während in manchen europäischen Ländern eine solche Pflicht kein Thema ist, gibt es in einigen Nachbarländern schon konkrete Daten, ab wann die Bürger eine Immunisierung nachweisen müssen. Ein Überblick:

Frankreich

Menschen in medizinischen oder Pflegeberufen, Feuerwehrleute oder Rettungskräfte müssen in Frankreich bereits seit Herbst geimpft sein. Eine allgemeine Impfpflicht gibt es nicht – doch spätestens seit Präsident Emmanuel Macron vor einer Woche sagte, er wolle alle Ungeimpften bis aufs Letzte piesacken, ist klar, dass es für die Betroffenen noch ungemütlicher wird. Derzeit ringt der Senat als zweite Parlamentskammer noch um den Beschluss eines Gesetzes, das den seit Sommer geltenden „Gesundheitspass“ durch einem „Impfpass“ ersetzt. Noch Mitte Januar soll er in Kraft treten, und dann wird der Zugang in Cafés, Restaurants, Flugzeuge oder Fernzüge nur noch mit vollständiger Impfung möglich sein – ein negativer Test reicht nicht mehr. Die Auffrischung ist spätestens sieben Monate nach der letzten Impfung Pflicht.

Gegen diese Maßnahmen demonstrierten am vorigen Wochenende mehr als 100000 Menschen landesweit. Allerdings befürwortet eine Mehrheit der Bevölkerung von 63 Prozent den „Gesundheitspass“, zumal sich die Corona-Lage in Frankreich zuspitzt.

Benelux-Staaten

Die Stimmung ist düster in den Niederlanden, und das liegt nicht nur am harten Lockdown, der aufgrund der schnellen Verbreitung der Omikron-Variante kurz vor den Feiertagen verhängt wurde. Denn obwohl seitdem fast alle Geschäfte und Restaurants, Cafés und Kneipen, Museen, Fitnessstudios und Theater, Schulen und Friseure geschlossen sind, steigt die Zahl der Infektionen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 1040,8. Eine Impfpflicht gibt es dennoch nicht.

Buyx: Bedingungen für Impfpflicht nicht erfüllt

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, sieht die von ihrem Gremium gestellten Bedingungen für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht bisher nicht gegeben. „Man müsste zum Beispiel noch viel mehr niedrigschwellige, flächendeckende Impfangebote haben“, sagte sie dem „Spiegel“. „Eine echte zielgruppenspezifische Strategie aber wurde bislang versäumt.“ Nötig seien auch eine dauerhafte Impf-Infrastruktur und viel gute Beratung. Der Ethikrat hatte vor Weihnachten eine Ausweitung der Corona-Impfpflicht auf große Teile der Bevölkerung empfohlen. Die Omikron-Variante habe dabei noch nicht richtig mit einbezogen werden können, sagte Buyx. Wenn sich die Faktenlage nun deutlich ändere, müsse man sich „normative Einschätzungen noch einmal neu anschauen“. (afp)

Die könnte dagegen im Nachbarland Belgien kommen, auch wenn die Quote dort wie in den Niederlanden dank gut organisierter Kampagnen relativ hoch ist. Zwar präsentierte sich Premierminister Alexander De Croo noch Ende November als erbitterter Gegner der Impfpflicht, doch mittlerweile scheint er seine Meinung geändert zu haben. Bis Mitte Januar will der zuständige Corona-Kommissar der Regierung einen Bericht vorlegen. Die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht wurde angestoßen, nachdem vor zwei Monaten ein Zwang zum Piks für das Pflege- und Gesundheitspersonal beschlossen wurde. Beschäftigte im Gesundheitsbereich müssen bis spätestens 1. April dieses Jahres vollständig geimpft sein, sonst droht ihnen eine Suspendierung vom Dienst.

In Luxemburg wird bereits in dieser Woche im Parlament über eine allgemeine Impfpflicht debattiert, wie Premierminister Xavier Bettel bereits vor Weihnachten angekündigt hatte. Doch obwohl es sowohl unter den Politikern als auch Einwohnern viele Befürworter gibt, spaltet das sensible Thema auch die Luxemburger.

Österreich

Als erstes Land in Europa will Österreich eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus einführen. Laut den Plänen der Regierung unter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) soll die Impfpflicht ab dem 1. Februar gelten. Der erste Stichtag zum Nachweis einer Impfung soll der 15. März sein. Wer zu diesem Zeitpunkt nicht geimpft ist, bekommt eine Geldstrafe, die bis zu 3600 Euro betragen kann.

Bisher ist das Gesetz allerdings nicht endgültig beschlossen, am 17. Januar soll der Entwurf im Gesundheitsausschuss behandelt werden. Im Nationalrat, dem österreichischen Parlament, gilt eine Zustimmung allerdings als sicher. Doch nun scheint es, als ob die zeitlich ambitionierten Pläne der Regierung ins Wanken geraten könnten. Denn die staatliche ELGA GmbH und weitere IT-Unternehmen, die für die Umsetzung der Impfpflicht zuständig sind, halten die Einführung ab Februar für technisch nicht machbar. Das Gesundheitsministerium hält dagegen weiter an seinem Zeitplan fest.

Grundsätzlich wurde eine Impfpflicht in Österreich als zulässig erklärt. Voraussetzung ist jedoch, dass sie das gelindeste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie ist und der Staat vorher andere Wege probiert hat.

Polen

In Polen herrscht irgendwann Impfpflicht – für Medizinpersonal, Lehrer sowie uniformierte Beamte. Dies beschloss die Regierung bereits Anfang Dezember angesichts der steigenden Krankenhauseinweisungen. Allerdings ist das „Wann“ noch nicht ganz heraus. Von Mitte Februar für die Mediziner wird gerade gesprochen, die anderen Gruppen wären dann im März zum Vakzin verpflichtet.

Das Impfen ist in Polen nicht populär, gerade mal mehr als 55 Prozent haben sich zweimal die Spritze geben lassen. Und gerade aufgrund der weit verbreiteten Abneigung muss die politische Führung vorsichtig agieren. Der Druck droht aktuell nicht von der Straße, sondern im Parlament.

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Denn die „Vereinigten Rechten“ bilden dort nur eine geringe Mehrheit. Gleichzeitig gibt es in ihren Reihen Impfgegner, etwa 20 Abgeordnete, die gegen die „Sanitäre Segregation“ aufbegehren. Aber auch auf das weiter rechts stehende Bündnis „Konföderation“ muss Regierungschef Mateusz Morawiecki Rücksicht nehmen.

Italien

Wieder einmal brauchte es eine turbulente Sitzung des Ministerrats, bevor die Regierung Mario Draghi in der vergangenen Woche das Dekret über die neuen Corona-Maßnahmen beschließen konnte. Italien wird von der fünften Corona-Welle überrollt, die Omikron-Variante des Virus dominiert bei den Neuinfektionen.

Als vordringlichste Maßnahme ist nun angeordnet, alle Bürger, die das 50. Lebensjahr abgeschlossen haben, einer Impfpflicht zu unterziehen. Darüber hinaus müssen alle Arbeiter und Angestellten beim Betreten des Arbeitsplatzes den sogenannten Super-Green-Pass vorweisen, ein Zertifikat, das nicht nur den vollständigen Impfschutz nachweist, sondern auch aktuelle Negativtests.

Die Impfpflicht soll spätestens ab 15. Februar in Kraft treten. Bis dahin will das italienische Gesundheitswesen die mit dem Dekret verbundene Logistik und Beschaffung des Impfstoffs geregelt haben. Ab diesem Zeitpunkt drohen Menschen, die der auferlegten Pflicht nicht nachkommen, Geldbußen zwischen 600 und 1500 Euro.

Portugal und Spanien

„In unserem Land macht eine Impfpflicht keinen Sinn“, sagt Portugals Regierungschef António Costa. Mit einer Impfquote von nahezu 90 Prozent, der höchsten Europas, habe man einen sehr weitgehenden Schutz der Bevölkerung erreicht. Ähnlich sieht es Spaniens Regierung, die auf ihre ebenfalls ansehnliche Impfquote von 80 Prozent verweist. Nur beim Boostern hinken die beiden Impfmusterländer hinterher, in denen erst ein Drittel der Bevölkerung den dritten Piks erhielt.

Madrid und Lissabon verweisen stolz darauf, dass die Menschen auf der Iberischen Halbinsel auch ganz ohne jeglichen Zwang das Impfen als „bürgerliche Pflicht“ ansehen, um die Mitmenschen zu schützen. Dieses Pflichtbewusstsein spiegelt sich zudem in einer Eurobarometer-Umfrage, in der eine überwältigende Mehrheit der Spanier und Portugiesen der Aussage zustimmte: „Jeder sollte gegen Covid-19 geimpft werden.“ Nirgendwo in der EU ist laut dieser Umfrage das Vertrauen in die Impfung größer als südlich des Pyrenäengebirges.

Dänemark und Schweden

In Dänemark sei die Lage nicht so dramatisch wie etwa in Österreich oder Deutschland, um härtere Maßnahmen wie eine Impfpflicht anzudenken, so der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke kürzlich. Rufe nach einer Impfpflicht gibt es nur vereinzelt. Ein paar dänische Großunternehmen wie der globale Transportschiff-Gigant Møller-Mærsk haben eine – zumindest nach außen – freiwillige Impfpflicht eingeführt, für alle Inlandsmitarbeiter, die ins Büro wollen.

Auch in Schweden wird keine Impfpflicht erwogen. Das Land fuhr während der gesamten Pandemie einen Sonderweg ohne Lockdowns und Maskenpflicht. Im Gegensatz zu Deutschland ist es für jüngere Gruppen nach zwei Impfungen schwierig, einen Booster zu bekommen. Die Auffrischungsimpfungen sind zunächst den Älteren vorbehalten.

Großbritannien

Während in vielen Ländern Europas eine Impfpflicht diskutiert wird, beschränkt sich Boris Johnson bislang vor allem darauf, eingefleischten Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen vorzuwerfen, „Mumbo-Jumbo“, Unfug zu reden. Gesetze, die Menschen dazu zwingen, sich einen Piks zum Schutz gegen Covid-19 in den Arm geben zu lassen, gibt es bislang nicht. Lediglich Mitarbeiter des nationalen Gesundheitssystems NHS, die an vorderster Front arbeiten, und Personen, die in der Sozialfürsorge tätig sind, müssen sich ab April dieses Jahres gegen das Virus impfen lassen, wenn sie ihre Arbeitsstelle behalten wollen.

Gleichzeitig werden die Diskussionen darüber, ob man gegen diejenigen, die sich hartnäckig weigern, härter vorgehen soll, lauter. Denn auch in Großbritannien erkranken laut Statistik vor allem diejenigen schwer, die nicht geimpft sind, und setzen damit den NHS massiv unter Druck. Gegen die Einführung einer Impfpflicht spricht Beobachtern zufolge jedoch, dass eine solche in Großbritannien keine Tradition habe und damit auch politisch schwer durchsetzbar sei. Außerdem sei die Impfkampagne gut organisiert und die Impfquote deshalb relativ hoch.