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Kölner Infektiologe im Interview„Astrazeneca-Impfstoff wird zu schlecht dargestellt“

Lesezeit 6 Minuten
Astrazeneca

Ampullen mit dem Corona-Impfstoff des Herstellers AstraZeneca stehen in kleine Kartons verpackt in einem Kühlschrank.

  1. Der Corona-Impfstoff von Astrazeneca ist in der Bevölkerung umstritten.
  2. Termine werden abgesagt, weil die Menschen andere Impfstoffe vorziehen.
  3. Raimund Neuß sprach darüber mit dem Kölner Infektologen Gerd Fätkenheuer

Von 500 Kölnern, denen eine Impfung mit dem Astrazeneca-Produkt angeboten wurde, kommen nur 120. Was ist da falsch gemacht worden?Der Impfstoff von Astrazeneca wird leider in der Öffentlichkeit viel zu schlecht dargestellt. Entscheidend für eine Beurteilung ist dessen Wirksamkeit gegen schwere Erkrankungen, die mit Krankenhausaufenthalt, Intensivstation oder gar Tod einhergehen. In dieser Hinsicht ist die Impfung von Astrazeneca genauso gut wie die von Biontech/Pfizer oder Moderna: Schwere Krankheitsverläufe werden zuverlässig verhindert.

Zu der negativen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat auch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) beigetragen, den Astrazeneca-Impfstoff nur für Personen unter 65 Jahren einzusetzen. Damit entstand das Bild eines Impfstoffes zweiter Klasse, was nicht richtig ist. Ich plädiere dafür, das sehr rasch zu ändern und den Impfstoff ohne Altersbeschränkung zu empfehlen.

Der Astrazeneca-Impfstoff soll je nach Studienszenario mal zu 62,6, mal 70, mal zu 90 Prozent wirksam sein, der von Biontech zu 95 Prozent. Was ist damit überhaupt gemeint?

Die unterschiedlichen Zahlen bei Astrazeneca kommen dadurch zustande, dass hier verschiedene Studien durchgeführt wurden und dass für die jeweiligen Studien unterschiedliche Ergebnisse berichtet wurden. Das macht die Ergebnisse von Astrazeneca schwerer interpretierbar als die von Biontech/Pfizer. Die Angaben zur Wirksamkeit beziehen sich auf die Verhinderung jeglicher Erkrankungen, also auch von leichten Verläufen. Krankenhausaufnahmen wegen COVID-19 oder Todesfälle wurden aber auch in den Studien von Astrazeneca bereits ab drei Wochen nach der ersten Impfdosis nicht mehr beobachtet. Damit ist die Botschaft sehr klar: Die Impfung schützt vor schwerer Erkrankung.

Zur Person

Gerd Fätkenheuer (65) studierte von 1975 und 1981 in Köln und Aachen Medizin. Im Jahr 1987 begann er seine Tätigkeit im Kölner Uniklinikum. Im Jahr 2006 wurde er in die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln berufen, der er bis heute angehört. Von 2013 bis 2019 war Fätkenheuer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. (dhi)

Ich bin 57. In Italien käme ich für Astrazeneca nicht mehr in Betracht, in Deutschland wird mir der Impfstoff noch bis 64 angeboten. Das alles klingt doch für Patienten um die 60 nicht gerade beruhigend.

Ja, das ist wirklich sehr verwirrend und kaum zu verstehen. Der Hintergrund ist aber der folgende: In der Studienauswertung von Astrazeneca war die Altersgrenze 55 Jahre, nur ein kleiner Anteil von älteren Menschen wurde in die Studie eingeschlossen. Deshalb hat die Ständige Impfkommission, die Stiko, gesagt, dass zu wenige Daten für die Älteren vorliegen. Sie hat nicht gesagt, dass der Impfstoff bei Älteren schlechter wirkt, das ist aber leider in der Öffentlichkeit anders verstanden worden. Warum die Stiko dann eine Grenze bei 65 gezogen hat, ist für mich auch nicht nachvollziehbar. Die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) hat keine Altersgrenze festgelegt.

In Großbritannien wird Astrazeneca massenweise verimpft, was können wir von dort lernen?

Wir können von Großbritannienhier sehr viel lernen. Es gibt ganz aktuelle Daten aus Schottland. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat dort bereits eine erste Dosis mit einem Impfstoff erhalten, wobei sowohl der Astrazeneca Impfstoff als auch der Biontech/Pfizer Impfstoff zum Einsatz gekommen sind – unabhängig vom Alter. Die über 75-Jährigen erhielten sogar überwiegend den Impfstoff von Astrazeneca. In dieser bevölkerungsweiten Studie zeigt die Impfung einen beeindruckenden Effekt. Eine Krankenhausaufnahme wegen COVID-19 konnte mit dem Astrazeneca Impfstoff mit einer Wirksamkeit von 94 Prozent verhindert werden, bei Biontech/Pfizer waren es 85%. Für die über 80-Jährigen zeigte sich eine Wirksamkeit von 81 Prozent, wobei hier nicht zwischen den beiden Impfstoffen unterschieden wurde. Wir sehen also sehr klar: Der Astrazeneca Impfstoff wirkt, auch bei den Ältesten, und im wirklichen Leben ist er nicht schlechter als andere Impfstoffe.

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Carsten Watzl von der Deutschen Gesellschaft für Immunologie findet den Astrazeneca-Impfstoff sehr gut, die anderen seien aber ein bisschen besser. Warum sollen sich Patienten mit weniger als dem Besten zufriedengeben?

Ich weiß nicht, wie er dazu kommt, würde dem nicht zustimmen.

Nach Astrazeneca-Spritzen wird oft von Impfreaktionen gesprochen, die ganz normal seien. Aber ist es normal, dass Krankenhausmitarbeiter geimpft werden und ein großer Teil sich danach krank meldet?

Impfreaktionen gibt es bei allen COVID-19-Impfstoffen. Die sind ungefährlich, können aber relativ heftig sein, vor allem bei jüngeren Menschen. Die direkten Reaktionen auf die Impfung treten auch häufiger auf als bei der Grippe-Impfung. Letztlich zeigt das an, dass das Immunsystem stark reagiert – und das wollen wir ja.

Sind die Impfungen von Biontech oder Moderna besser verträglich?

Ich kenne keine Studien, die das zeigen. Vermutlich kommt diese Wahrnehmung daher, dass in Deutschland der Astrazeneca-Impfstoff ausschließlich an Jüngere gegeben wurde, während Ältere den Biontech/Pfizer-Impfstoff erhielten. Und Jüngere reagieren eben deutlich stärker.

Aus Israel kommen Nachrichten, der Biontech-Impfstoff schütze nicht nur vor schwerer Erkrankung, sondern ziemlich zuverlässig auch für einer Weitergabe der Infektion. Sind diese Angaben belastbar?

Vieles spricht dafür. Die Studien dazu liegen allerdings noch nicht vor, um dies sicher sagen zu können.

Darf ich am Ende mit einer Biontech-Impfung auf Reisen gehen, mit Astrazeneca aber nicht?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Es gibt die Befürchtung, dass durch eine zu schwache Immunisierung weitere hochansteckende Mutanten entstehen. Besteht diese Gefahr bei Astrazeneca eher als bei Biontech?

Am besten verhindern wir weitere Virusmutationen, indem wir möglichst wenig Virus in der Bevölkerung zulassen. Das ist ganz einfach: Wo kein Virus ist, gibt es keine Mutation, und wo viel Virus ist, sind Mutationen häufig. Am effektivsten bekämpfen wir das Virus, indem wir Übertragungen durch Schutzmaßnahmen verhindern und indem wir möglichst rasch möglichst viele Menschen impfen – egal mit welchem Impfstoff. Die Betonung liegt hier sowohl auf rasch als auch auf viele. Das ist also die große Herausforderung, vor der wir stehen.

Daten zu AstraZeneca

Der Impfstoff Astrazeneca ist ein so genannter Vektor-Impfstoff. Das bedeutet, der Impfstoff besteht aus den „Hüllen“ harmloser Viren, die den genetischen „Bauplan“ für ein Eiweiß (Vektoren) auf der Oberfläche des Coronavius Sars-CoV-2 enthalten. Diese Vektoren werden von Körperzellen aufgenommen, die damit für eine kurze Zeit das Corona-Eiweiß nachbauen. Dadurch wird das Immunsystem angeregt, Abwehrstoffe (Antikörper und T-Zellen) gegen das Corona-Protein zu bilden. Wenn die geimpfte Person später in Kontakt mit dem Coronavirus kommt, wird dieser schnell durch das Immunsystem erkannt und gezielt bekämpft.

In vier Studien mit knapp 24 000 Teilnehmenden wurde der Impfstoff von Astrazeneca („Covid-19 Vaccine Astrazeneca“) bislang erprobt. Nach deren Ergebnissen kann er vor der Erkrankung an Covid-19 schützen. Die Wirksamkeit dieses Impfstoffes zum Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung liegt bei über 60 Prozent. Die Menschen, die trotz der Impfung erkranken, sind jedoch nach den bisherigen Erkenntnissen nicht schutzlos, sondern erleben Covid-19 mit weitaus milderen Symptom-Verläufen. Die erfassten vorübergehenden Nebenwirkungen der Astrazeneca-Impfungen wie Schmerzen an der Einstichstelle, und Beschwerden wie Fieber, Kopfschmerzen oder Muskelschmerzen sind zwar häufig, bleiben aber zumeist leicht. Fragen zur den längerfristigen Wirkungen des Impfstoffs lassen sich aktuell noch nicht beantworten.

Der Impfstoff Covid-19 Vaccine Astrazeneca ist von der europäischen Arzneimittelagentur EMA ab 18 Jahren zugelassen worden. Die Ständige Impfkommission (Stiko) der Bundesrepublik Deutschland empfiehlt den Astrazeneca-Impfstoff aber aufgrund der aktuell verfügbaren Datenlage derzeit nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren. Der Grund: Derzeit sind nur wenige Daten zur Wirksamkeit von Covid-19 Vaccine Astrazeneca bei Personen im Alter von 55 Jahren und älter verfügbar. Auch wenn diskutiert wird, den Astrazeneca-Impfstoff auch für über 65-Jährige einzusetzen, wird dies noch nicht in der aktuellen Corona-Impfverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit abgebildet. (dhi)