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Interview mit Darknet-Eltern500.000 Euro in der Turntasche unter dem Jugendbett

Lesezeit 7 Minuten
Darknet 2 030519

Symbolbild.

  1. Drogen, gefälschte Ausweise, gestohlene Daten — ein 22-jähriger Klever soll mit zwei weiteren Beschuldigten damit Millionen Euro im Internet verdient haben.
  2. Noch sitzt er in Untersuchungshaft.
  3. Seine Eltern sagen: Er ist in einen Sog hineingeraten.

Kleve – Ein 22-jähriger Klever soll zusammen mit zwei weiteren Verdächtigen im Internet die millionenschwere Handelsplattform „Wall Street Market“ für illegale Geschäfte gesteuert haben. Am 23. April wurde er in seinem Elternhaus verhaftet. Seinem Vater zufolge hat er die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen eingeräumt. Zudem habe er den Ermittlern den Zugang zu den im Netz erwirtschafteten und bis dahin versteckten Bitcoins, eine Internetwährung, gezeigt. Nach Informationen unserer Redaktion ist auch ein weiterer Mitangeklagter geständig.

Im Interview erzählen die Eltern Peter Krause (47, EDV-Kaufmann) und seine Frau Sonja (44, Krankenschwester) von der Nacht der Festnahme, was sie von den Geschäften wussten und wie das Verhältnis zu ihrem Sohn B. jetzt ist. Wir treffen das Ehepaar in seinem Haus. Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Ihr Sohn hat sich jetzt in der Nachvernehmung zu den Vorwürfen geäußert.

Peter Krause: Ja, er hat alles gestanden. B. hat im Internet eine Gelegenheit für den Handel mit Betäubungsmitteln geschaffen und offenbart, wo die Bitcoins versteckt waren. Wir versprechen uns von der Aussage, dass sie sich strafmildernd auswirkt.

Im Haftbefehl heißt es, er könne mit einer empfindlichen mehrjährigen Haftstrafe rechnen.

Sonja Krause: Es können bis zu 15 Jahre sein. Wir hoffen, dass er mit wesentlich weniger davon kommt und schnell wieder bei uns ist. Auch, weil er in ein geordnetes Umfeld zurückkehrt. Er macht zur Zeit eine Ausbildung, sein Arbeitgeber will ihn weiter beschäftigen, die Familie und seine Freundin stehen zu ihm. Wenn alles optimal läuft, könnte er sogar in zwei Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen werden und vielleicht früh in den offenen Vollzug kommen.

Wissen Sie, wann Ihr Sohn die Plattform geschaffen hat und womit dort gehandelt wurde?

Peter Krause: Es ging um Drogen. Die ganze Palette war dort zu haben. Aber auch um Zugangsdaten etwa für Netflix Accounts. Mit Pässen oder Ausweisen wurden Geschäfte gemacht. Aber kein kinderpornografisches Material oder Waffen. Selbst hat er ja nichts gekauft oder verkauft. Er hat zusammen mit den zwei anderen Beschuldigten eine Plattform geschaffen, auf der gehandelt wurde. Begonnen hat das alles vor etwa drei Jahren.

Um welche Summen geht es?

Peter Krause: Bei dem Hauptverdächtigen, der offenbar als Erster gestanden hat, sollen mehrere Millionen Euro abgeschöpft worden sein. Nach unseren Informationen ist bei ihm die U-Haft bereits ausgesetzt worden. Zusammen haben die drei wohl 4,5 Millionen Euro an Verkaufsprovisionen kassiert. Zusätzlich, was noch nicht bestätigt ist, dürften wohl 30 Millionen Dollar dazu kommen, als man sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat. Dadurch sind alle Käufer, die bereits bezahlt hatten, um ihr Geld geprellt worden.

B. besaß schon während der Schulzeit einen 5er BMW im Wert von etwa 20.000 Euro, eine hochwertige Uhr und weitere wertvolle Sachen. Das konnte er sich doch unmöglich leisten?

Peter Krause: Wir haben uns natürlich manchmal ein bisschen gewundert. Er sagte immer, er würde nebenbei Programme schreiben. Sein Patenonkel hatte für ihn einen Bausparvertrag abgeschlossen. Den bekam er ausgezahlt, als er 18 Jahre alt wurde.

Sonja Krause: B. hat nicht auf großem Fuß gelebt und mit Geld um sich geschmissen. Für uns war nicht zu erkennen, dass er massig Geld besitzt. Wir haben ihn die ganze Zeit unterstützt und ihm sogar die Autoversicherung bezahlt. Sicher ist, dass seine Freunde nichts wussten. Er hat sie aus allem herausgehalten. Auch seine Freundin hatte keine Ahnung.

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Die Plattform mit dem größten Umsatz zog sich zurück. „Wall Street Market“ stieg zur Nummer eins auf. Ein Grund für den Ermittlungserfolg?

Peter Krause: Ja, das scheint so. Es wurde den dreien irgendwann zu stressig. Etwa der Aufwand für die Sicherheitsvorkehrung, für die B. hauptsächlich verantwortlich war. Er hat sich um die technischen Details gekümmert. Die beiden anderen waren mehr dafür zuständig, wer auf die Plattform durfte, um dort die geheimen Geschäfte abzuwickeln.

Wie ist der Kontakt zu den beiden Mitangeklagten entstanden?

Peter Krause: Sie kennen sich wohl nur übers Internet. Die Kommunikation untereinander hat auch dazu geführt, dass sie aufgeflogen sind. Mehr als 100 Beamte von FBI, Interpol, niederländischen Behörden und BKA haben zwei Jahre daran gearbeitet, sie zu überführen.

Wie haben Sie von dem Einsatz des Bundeskriminalamts erfahren?

Peter Krause: Erst, als die GSG 9 bereits bei uns im Haus stand. Es war der 23. April, um 18.30 Uhr, der Tag nach Ostermontag. Meine Frau und ich waren nicht zu Hause. Wie uns die Nachbarn später erzählten, kamen etwa zwölf Einsatzkräfte von allen Seiten auf unser Haus zu.

Sonja Krause: Peter wurde angerufen, ich kam vom Dienst und hatte wie immer hinter dem Haus geparkt. Als ich durch den Garten in die Küche kam, saß B. auf der Eckbank und drei BKA-Beamte um ihn herum. Bis 2 Uhr wurde das ganze Haus durchsucht. Irgendwann rief mich ein Fahnder in das Zimmer unseres Sohnes, ich solle mir mal etwas ansehen. Und dann liegt da der ganze Billardtisch voller Geld. Eine halbe Million in 50-Euro-Scheinen. Die hatte B. in einer Turntasche unter seinem Bett versteckt. Dabei wollte ich nachmittags noch sein Zimmer aufräumen.

Es heißt, im Haus wurde eine Waffe gefunden.

Peter Krause: Es gab keine Waffe unter seinem Bett. Die lag bei uns im Wintergarten in einem Umzugskarton. Eine Vier-Millimeter-Pistole. Die ist immer mit umgezogen, wir haben einfach nicht daran gedacht, dass die da noch lag.

Was hat Ihnen B. nach der Festnahme gesagt?

Sonja Krause: Als er abgeführt wurde, waren seine letzten Worte: ‚Mama, alles wird gut, es tut mir so leid, dass ich euch da hineingezogen habe‘. Seitdem haben wir ihn noch nicht einmal sehen oder sprechen können. Das macht mich wahnsinnig. Unser Anwalt hat eine Besuchserlaubnis beantragt. Nach dem Geständnis dürfen wir jetzt hoffentlich bald zu ihm. Aber nur für eine Stunde im Monat.

Wie reagierte Ihr Umfeld?

Peter Krause: Erst hieß es, B. habe mit Kinderpornografie gehandelt. Als der wahre Grund bekannt war, hat man sich uns gegenüber normal verhalten. Die Nachbarschaft war sogar eher besorgt. Auch auf der Arbeit erfahre ich Unterstützung. Da hat mich keiner ausgegrenzt.

Wer hat Ihnen in den ersten Tagen besonders geholfen?

Sonja Krause: Die Familie. Sie war oft hier. Wir alle können immer noch nicht begreifen, was da passiert ist. B. ist ein lieber und zurückhaltender Mensch. Keiner hätte ihn als Kriminellen eingeschätzt. Wir wussten von nichts.

Sehen Sie Ihren Sohn jetzt anders?

Sonja Krause: Für uns wird er derselbe bleiben wie vor dem Fall. Er ist da in einen Sog hineingeraten. Es war für ihn zunächst wie ein Spiel. Er wollte testen, wie weit er kommt. Ein Abenteuer, bei dem man sich beweisen muss. Dann hat er erkannt, wie viel Geld man damit verdienen kann. Ein Ausstieg wird irgendwann sehr schwer.

Wie ist die Beziehung zu seinen Brüdern?

Sonja Krause: Er hat ihnen stets geholfen und war für sie da. Dem Jüngeren hat er die ersten Programmierschritte beigebracht. Oder wenn seine Clique da war, hat er ihn immer einbezogen.

Woher hat Ihr Sohn die Fähigkeiten, im Internet Millionen Euro zu verdienen?

Peter Krause: Mit zwölf Jahren hat er damit begonnen, Programme zu schreiben. Er hat sich das alles selbst beigebracht. Das Abitur hat er geschafft, aber nicht mit den besten Noten. Ich kenne noch nicht einmal seinen Schnitt. Ich habe auch mal etwas programmiert, aber was B. gemacht hat, da habe ich keinen blassen Schimmer von.

Haben Sie nie insgeheim gedacht, ‚Hätte er doch früher aufgehört und uns eine Million Euro gegeben‘?

Peter Krause: Nein. Auch wenn wir uns keine großen Sprünge erlauben können. Deshalb war es für uns auch ein Schock, als die Turntasche mit der halben Million unter dem Bett gefunden wurde.

Peter Janssen führte das Gespräch.