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Ex-WDR-Intendant Nowottny wird 95„Ich bin außerordentlich beunruhigt“

Lesezeit 4 Minuten
Bonn: Friedrich Nowottny, deutscher Fernsehjournalist, Intendant des WDR und Moderator der ARD-Reihe „Bericht aus Bonn“, sitzt in seiner Wohnung.

Bonn: Friedrich Nowottny, deutscher Fernsehjournalist, Intendant des WDR und Moderator der ARD-Reihe „Bericht aus Bonn“, sitzt in seiner Wohnung.

Friedrich Nowottny, ehemaliger Intendant des WDR, feiert seinen fünfundneunzigsten Geburtstag. Seine Sorgen um die aktuelle politische Lage überschatten die Feierlichkeiten.

Ein verschmitztes Lächeln und die knappe Ankündigung: „Auf Wiedersehen – das Wetter.“ Wenn Friedrich Nowottny auf diese wohlvertraute Manier den „Bericht aus Bonn“ abschloss, dann ging der Fernsehzuschauer mit der Gewissheit ins Bett, die Bundespolitik wieder einmal völlig durchblickt zu haben.

Heute, viele Jahrzehnte später, erinnern in seiner Bonner Wohnung nur noch ein paar Karikaturen an die große Zeit im Fernsehen. Alles andere hatte er weggegeben. An diesem Donnerstag wird der ehemalige Fernsehjournalist und WDR-Intendant 95 Jahre alt. Er hat mittlerweile zwei Urenkel, Zwillinge im Alter von zwei Jahren. „Wunderbar, herrlich“, schwärmt er. Aber die Freude über die beiden Jungen wird verdunkelt durch den Krieg in der Ukraine. „Ich bin sehr besorgt, außerordentlich beunruhigt“, sagt er. Dabei spielt mit, dass er selbst mit 15 Jahren in Hitlers sogenanntem „Volkssturm“ in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs eingesetzt wurde.

Nowottny ist eigentlich immer ein Mensch gewesen, der ganz im Jetzt gelebt hat. Anders als so viele andere in die Jahre gekommene Prominente pflegt er nie von seiner großen Zeit zu erzählen. Stattdessen will er sich über die aktuelle Tagespolitik austauschen, die jüngsten Bundesligaspiele diskutieren oder Neuigkeiten aus der Medienbranche hören. Diesmal aber ist es anders, diesmal blickt er zurück.

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Sein Vater fiel im Krieg

Nowottny wurde 1929 in Oberschlesien im heutigen Polen geboren. Bis Anfang 1945, als die Rote Armee auf das Gebiet vorrückte, war dort relativ wenig vom Krieg zu spüren gewesen. Dann aber wurde es ernst. „Das treibt mich jetzt gelegentlich um. Eine der schlimmsten Erinnerungen für mich ist das Geräusch von Panzern auf Straßen. Dieses unglaubliche Geräusch der Ketten auf Pflaster, das habe ich immer im Ohr.“

9.09.1973, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Der Studioleiter des Westdeutschen Rundfunks (WDR), Friedrich Nowottny, aufgenommen während seiner Sendung „Bericht aus Bonn“.

1973 in Bonn: Der Studioleiter des Westdeutschen Rundfunks (WDR), Friedrich Nowottny, aufgenommen während seiner Sendung „Bericht aus Bonn“.

Ende Januar 1945 wurde Nowottny ebenso wie sein bis dahin freigestellter Vater zum „Volkssturm“ einberufen. „Ich weiß noch genau, wie mein Vater und ich im Schützenloch nebeneinander standen, und mein Vater zog die Feldflasche raus und sagte: ,Komm, nimm einen kleinen Schluck, das wird dir guttun. Es ist so kalt.' Da habe ich den ersten Schluck Alkohol getrunken.“

In einer Frontzeitung stieß der Vater auf eine Bekanntmachung, wonach alle Soldaten des Jahrgangs 1929 ins Sudetenland verlegt werden sollten. Mit Verweis auf diesen Befehl setzte der Vater durch, dass Friedrich nicht an die Front kam. „So erlebte ich dann den Abmarsch des Ersatzbataillons mit meinem Vater. Zwei Wochen später war mein Vater gefallen.“ Er hingegen konnte sich nach Passau durchschlagen. Dort wurde er aufgegriffen und in Hitlers Geburtsort Braunau am Inn stationiert.

Friedrich Nowottny  zeigt in seinem Flur auf eine Zeichnung von Loriot, die ihn (r) bei einem Interview mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zeigt.

Friedrich Nowottny  zeigt in seinem Flur auf eine Zeichnung von Loriot, die ihn (r) bei einem Interview mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zeigt.

Nun aber kamen die Amerikaner. „Anyone here who speaks English?“ Ja, da war einer – denn Nowottnys Englischlehrer hatte ihn während seiner Schulzeit getriezt. „Das war meine Rettung, nun war ich Dolmetscher. Captain Cox war der Stadtkommandant, mein Lebtag werde ich das nicht vergessen.“

Erinnerungen an früher angesichts des aktuellen Krieges

Plötzlich hält er inne, setzt sich aufrechter hin und sagt, wie um sich selbst zu disziplinieren: „Das ist alles lange her.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Und trotzdem, durch den Ukraine-Krieg steht mir diese Situation jetzt wieder vor Augen. Wobei die Ukraine ganz anders ist. Die Zerstörungskraft der heute üblichen Artillerie und Raketen ist unvergleichlich. Das sind schreckliche Waffen. Ich kann nur sagen, hoffentlich bleibt uns das erspart und meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln bleibt das erspart. Ich weiß nicht, wie das alles enden könnte.“

Hätte er es für möglich gehalten, dass er so etwas noch einmal erleben würde – einen Krieg in Europa? „Ich bitte Sie! Nein. Wer hat denn damit gerechnet nach den Umarmungsszenen mit den Russen? Ich war bei Gorbi an seinem letzten Arbeitstag.“ Nowottny war von 1985 bis 1995 Intendant des Westdeutschen Rundfunks und als solcher auch für das ARD-Studio Moskau zuständig. Er besuchte die russische Hauptstadt immer mal wieder zu Vertragsunterzeichnungen und erlebte so auch die Phase des großen Umbruchs mit: den Aufstieg und Fall des letzten sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow. Als er Ende 1991 in Gorbatschows Büro gekommen sei, habe der russische Präsident Boris Jelzin schon vor der Tür gestanden, um ihn abzulösen. Es war nichts weniger als der Untergang der Sowjetunion, der in dieser Szene Gestalt annahm.

Friedrich Nowottny hat die gesamte Geschichte der Bundesrepublik bewusst miterlebt. Die Verwurzelung der Demokratie, ihre Akzeptanz mit allen Skandalen und Krisen, hält er für die größte Errungenschaft der Epoche. „Ich bin einer der Letzten, die noch aus eigener Erfahrung wissen, dass Freiheit alles andere als selbstverständlich ist“, sagt er. (dpa)