Köln – Oliver Glasner ist in Salzburg geboren. Als Trainer hat der 47-Jährige bislang in Österreich, Niedersachsen und Hessen gearbeitet. Sein Wissen über die Gepflogenheiten des Rheinlands dürfte demnach eher rudimentär sein. Es überraschte also, dass Glasner nach dem 1:0 (0:0)-Heimsieg des 1. FC Köln über die von ihm betreute Frankfurter Eintracht ziemlich genau Bescheid wusste, was die Beziehung zwischen Anthony Modeste und den FC-Anhängern folkloristisch alles hergeben kann. „Tony Modeste wird jetzt wieder eine Woche durch Köln getragen – bis rein in den Rosenmontag“, erinnerte der Frankfurts Coach an den größten Moment in der Karriere des 33-jährigen Franzosen. Das war im Mai 2017, als sich die Geißböcke für die Europa League qualifizierten und die entrückten Fans den weinenden Modeste auf Händen getragen hatten.
Der als besonnen bekannte Glasner lächelte, als er rheinischen Frohsinn und französische Abschlussqualitäten so eloquent und charmant miteinander verknüpfte. Dabei brodelte es in ihm, denn Modestes Siegtreffer in der 84. Minute des umkämpften Bundesligaspiels zeigte dem Coach gnadenlos, warum sein Team 2022 so arg durchhängt. „Wir müssen über unsere Chancenverwertung sprechen und Tony hat nur die eine.“ Das traf den Kern der Sache. Der vor dem Sommer 2021 längst abgeschriebene Modeste ist unter dem neuen Trainer Steffen Baumgart nicht nur aufgeblüht, er ist womöglich in der Verfassung, die die Kölner 2017 nach London, Borissow und Belgrad gebracht hat. Ein Moment reicht ihm, um Spiele für seine Mannschaft zu entscheiden.
Der Turbo zum Ende
Dabei musste der Torjäger am Samstag 61 Minuten lang auf der Auswechselbank schmoren. Baumgart hatte frühzeitig vor dem Spiel klar entschieden, dass Modeste trotz überstandener Corona-Infektion zunächst draußen bleibt: „Er war sechs oder sieben Tage raus und hat nicht trainiert. Ich bin der Meinung, dass er nach zwei Tagen Training nicht länger als 60, 70 Minuten durchgehalten hätte. Und wir haben es schon öfter so gehalten, dass wir zum Ende nachlegen wollen“, stellte der FC-Chefcoach den Plan vor.
So spielte Sebastian Andersson wie in Leipzig von Anfang an als einzige Spitze. Modeste steckte in der Rolle des von den Rängen sehnsüchtig erwarteten Jokers. Der Plan des Trainerteams ging auf. Zum einen, weil Andersson sich mit einer guten Leistung für Baumgarts permanente Rückendeckung bedankte. Zum anderen, weil Modeste seine Rolle erst akzeptierte und dann perfekt ausfüllte. „Welcher Fußballer will nicht von Anfang an spielen?“, drückte er seine Enttäuschung über den Bankplatz aus, setzte diese dann aber in siegbringende Energie um. In bester Stürmermanier erschnüffelte er den in Richtung Frankfurter Tor fliegenden Pressschlag zwischen Teamkollege Ellyes Skhiri und dem nach Spielschluss mächtig von Glasner ins Achtung gestellten Daichi Kamada. Der Rest war Tempo, Konsequenz, Übersicht und Raffinesse. „Ich mache einfach meinen Job und das ist Tore schießen“, beschrieb Modeste sein schon siebtes 1:0 in dieser Saison. Nach einem energischen Antritt tunnelte er Eintracht-Keeper Kevin Trapp und versetzte die 10 000 zugelassenen Zuschauer in Ekstase.
„Der Trainer spielt auch eine Rolle“
„Man muss die Situation jetzt genießen. Im Fußball geht alles so schnell. In einem Moment ist man der King und dann wieder, na ja. Das Leben ist schön. Ich habe gerade Spaß“sprudelte es aus dem glücklichen Stürmer heraus, bevor er sich bei dem Mann bedankte, der ihn zunächst auf die Bank gesetzt hatte: „Ich hatte zwar eine gute Vorbereitung, aber der Trainer spielt auch eine Rolle“, herzte er Steffen Baumgart verbal.
Modeste stand natürlich im Mittelpunkt. Die Geschichte seines 15. Saisontreffers war ja auch irgendwie vorhersehbar, weil sie so gut zu dieser famosen Saison der Kölner passt. Es war aber vor allem ein Sieg der ganzen Mannschaft und des Plans, der hinter allem steckt. Der FC verteidigte mit dem starken Abwehrchef Timo Hübers und Salih Özcan sowie Ellyes Skhiri auf der kaum zu überwindenden Doppelsechs kompakt und zweikampfstark. In Baumgarts Team fiel niemand ab, alle 16 eingesetzten Spieler erledigten beflissen ihre Jobs. Mark Uth, den man selten so aufgekratzt wie nach diesem 1:0-Erfolg erlebt hat, fasste die Dinge passend zusammen: „Es ist Wahnsinn. Tony kommt rein und macht ihn eiskalt. Wir arbeiten hart und er haut das Ding rein.“
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Weil diese Arbeitsteilung bestens funktioniert, liegen die Kölner nach 23 Spieltagen nur zwei Zähler hinter Champions League-Platz vier. „Mitte Februar, der 1. FC Köln hat 35 Punkte. Wenn sie mir das im Sommer gesagt hätten, weiß ich nicht wie viel ich hätte gewinnen können“, zeigte sich selbst Steffen Baumgart überrascht. Das Thema Europa, das diese Punktzahl mit sich bringt und angesichts der konstant guten Leistungen auch gerechtfertigt ist, will der 50-Jährige gar nicht leugnen: „Das passiert durch Punkte und wir halten es nicht auf, wenn wir weiter punkten. Mir geht das nur zu schnell. Wenn wir von etwas reden und schaffen es dann nicht, wie im DFB-Pokal, habe ich das Gefühl, dass wir jemandem etwas wegnehmen. Wir denken Woche für Woche und stehen jetzt vor einem ganz schweren Spiel gegen Fürth“, ordnete Baumgart die Dinge ein.
Fakt ist, dass den Geißböcken noch ein Sieg fehlt, um nichts mehr mit dem Abstieg zu tun zu haben. „Träumen ist doch schön“, frohlockte deshalb Mark Uth. Wenn der FC-Traum im Mai in Erfüllung gegangen sein sollte, könnte Oliver Glasner tatsächlich mitansehen, wie Anthony Modeste wieder durch Köln getragen wird.