Bremen/Köln – Die Spanne zwischen Wunsch und Wirklichkeit kann unerträglich groß sein. Eine Erfahrung, die Markus Gisdol am Freitag kurz vor Mitternacht nach dem 1:1 (0:0) bei Werder Bremen mit auf die Heimfahrt nach Köln nehmen musste. Der Trainer des 1. FC Köln hatte sich im Vorfeld des Fußball-Bundesligaspiels sehnlichst gewünscht, dass seine Mannschaft in Führung geht.
Zum ersten Mal in der Saison 2020/21 und zum ersten Mal seit dem 1:1 gegen Eintracht Frankfurt am 20. Juni. Als sich Gisdols Wunsch nach 67 Minuten durch das Eigentor von Werder-Kapitän Niklas Moisander tatsächlich erfüllt hatte, kehrte sich die erhoffte Wirkung aber ins Gegenteil um. Das schwer erarbeitete 1:0 ließ die FC-Brust nicht etwa schwellen, sondern schrumpfen. „Wir hatten Angst zu gewinnen. Hört sich komisch an, ist aber manchmal so. Ich kenne das aus eigener Erfahrung“, erklärte FC-Sportchef und Ex-Profi Horst Heldt am Samstag die Abwesenheit des Selbstbewusstseins.
Keine Siege, kein Selbstbewusstsein
Selbstbewusstsein hat etwas mit Erfolgserlebnissen zu tun hat. Ein Kind das Fahrradfahren lernt, wird erst dann mutig Tempo aufnehmen, wenn es eine gewisse Strecke ein paar Mal sicher zurückgelegt hat. Der 1. FC Köln hat aber in dieser Saison noch kein Spiel gewonnen und ist saisonübergreifend sogar seit acht Monaten in 17 Partien ohne Dreier geblieben. Die Unentschieden gegen Frankfurt und Stuttgart und das achtbare 1:2 gegen Meister Bayern München vermittelten den Geißböcken zwar etwas mehr Glauben an sich selbst, den fehlenden Sieg konnten sie aber nicht ersetzen. „Man sieht, dass wir kein Selbstvertrauen haben. Wir haben das Spiel nach der Führung völlig aus der Hand gegeben und den Ball nur noch hinten rausgeschlagen“, beschrieb Torjäger Sebastian Andersson. Markus Gisdol pflichtete dem Schweden bei: „Wir waren zu passiv, hatten zu wenig Ballbesitz und Ruhe.“
Es ist wohl nicht allzu weit hergeholt, wenn das mangelhaft ausgeprägte Kölner Selbstbewusstsein auch Auslöser für das mittlerweile dramatische Elfmeter-Problem ist, das die Kölner in der dieser Spielzeit ausgeprägt haben. Das in seiner Ausführung tragisch-komische und völlig unnötige Handspiel von Innenverteidiger Sebastiaan Bournauw verursachte am siebten Spieltag schon den fünften Strafstoß gegen den FC. Der Ex-Kölner Leonardo Bittencourt nahm das Geschenk an und verwandelte zum 1:1 (82.). „Das lässt sich nicht erklären. Das habe ich so auch noch nicht erlebt“, ließen Art und Weise der Szene Markus Gisdol ratlos zurück. Der Trainer berichtete, dass Bournauw nach dem Spiel niedergeschlagen und mit hängendem Kopf in der Kabine gesessen habe. „Es ist sehr bitter und tut mir leid für ihn. Aber es wird uns nicht umbringen“, tröstete Rafael Czichos den Innenverteidiger-Kollegen.
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Das Abwehr-Duo hatte zuvor maßgeblichen Anteil daran, dass der Matchplan des FC bis zum Elfmeter aufgegangen war. Auf Kosten jeglicher Attraktivität gab Gisdol seiner Elf den Auftrag, sich weit zurückzuziehen, in einem 4:1:4:1-System kompakt die Räume zu verdichten und Werder den Ball zu überlassen: „In unserer Analyse haben wir festgestellt, dass Bremen damit Schwierigkeiten hat“, erklärte der FC-Trainer. Sein unansehnlicher Ansatz erzielte Wirkung. „Das kam überraschend für uns. Es war nicht schön, ist aber legitim und clever“, räumte Florian Kohfeldt ein. Der Werder-Coach bekam ein eigenes Team zu sehen, dass mit der ungewöhnlich hohe Ballbesitzquote von 67 Prozent (Durchschnitt vorher 41 Prozent) nichts anzufangen wusste. „Wir hatten mit Ball sicher schon bessere Spiele. Wenn der Elfmeter nicht kommt, passiert aber nichts mehr und wir fahren einen Dreckssieg ein. Und alle sehnen sich nach einem Sieg“, erklärte Markus Gisdol, dass der Zweck die Mittel heiligen sollte.
Dem weiter fest im Sattel sitzenden Trainer bleiben nun in der Länderspielpause 14 Tage Trainingsarbeit und das Testspiel gegen Zweitligist VfL Bochum (12. November), um den Knoten zu lösen und die Sehnsucht nach einem Sieg und mehr Selbstbewusstsein im Heimspiel gegen Union Berlin zu stillen. Ansonsten ist er am Abend des 22. November Mitinhaber der längsten Negativserie in der FC-Historie. Vom 30. Spieltag 1990/91 bis zum 13. Spieltag 1991/92 und in der Saison 2005/06 (6. bis 23. Spieltag) waren die Kölner schon jeweils 18 Mal hintereinander sieglos geblieben.