- Textilhersteller, Automechaniker, Fußballtrainer. Martin Schmidt (53) ist vielseitig.
- Nun erfindet sich der Schweizer als Sportdirektor des 1. FSV Mainz 05 wieder einmal neu.
- Vor dem Bundesliga-Kellerduell am Sonntag beim 1. FC Köln stellte er sich den Fragen von Tobias Carspecken und Martin Sauerborn.
Herr Schmidt, der 1. FSV Mainz 05 hat die sportliche Führungsetage zu Jahresbeginn mit der Installation von Bo Svensson als Trainer, Christian Heidel als Sportvorstand und Ihnen als Sportdirektor komplett neu aufgestellt. Warum war dieser Totalumbruch bei laufendem Spielbetrieb notwendig?Nach nur sechs Punkten zum Jahresschluss und dem Rücktritt von Rouven Schröder als Sportvorstand bestand Handlungsbedarf. Im Fußball muss man zuweilen auch mal mitten in der Saison tiefgreifende Entscheidungen treffen. Ein entspanntes Weihnachtsfest hatten wir zwar nicht (lacht). Aber ich habe mich sehr gefreut, als der Anruf von Christian Heidel kam.
Inwiefern haben Ihre Kenntnisse als früherer Mainzer Trainer geholfen, um ein Gefühl für die Probleme des Clubs und die erforderlichen Maßnahmen zu entwickeln?
Es hilft sicherlich, wenn man Verein und Umfeld in- und auswendig kennt, und das traf auf mich, wie auch auf Christian Heidel und Bo Svensson zu. Wichtig war uns, kurzfristig neue Impulse zu setzen, die bestenfalls direkt weiterhelfen, und eine Strategie zu entwickeln, um Mainz 05 langfristig zu stärken. Deshalb hieß es für uns vorwärts zu den Wurzeln – und zurück auf den Mainzer Weg. Dies spiegelt sich auch in den Transfers und der Verpflichtung des Trainers, der für die sportliche DNA von Mainz 05 steht, wider.
Zur Person
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Spiele hat Martin Schmidt zwischen 2014 und 2017 als Cheftrainer beim 1. FSV Mainz 05 an der Seitenlinie gestanden. Zuvor war der in Naters geborene Schweizer in seinem Heimatland Coach beim FC Raron und der U21 des FC Thun. 2010 wechselte er zur zweiten Mannschaft von Mainz 05. Im September 2017 löste Schmidt Andries Jonker als Cheftrainer beim VfL Wolfsburg ab. Nach 22 Spielen und einem Punkteschnitt von 1,18 trat er im Februar 2018 zurück. Im April 2019 übernahm Schmidt dann als Nachfolger von Manuel Baum den FC Augsburg und führte die Fuggerstädter zum Klassenerhalt. Die Augsburger stellten ihn nach dem 25. Spieltag und einem Schnitt von 1,06 Punkten im März 2019 frei. Schmidt, der am kommenden Montag 54 Jahre alt wird, ist seit dem 28. Dezember Sportdirektor in Mainz. Sein Vertrag läuft bis 30. Juni 2022. (sam)
Die erfolglose Hinrunde wurde von einem Spielerstreik und Diskussionen um Gehaltsverzicht in Zeiten von Corona begleitet. Welche Lehren haben Sie aus diesen für Mainz 05 völlig untypischen Vorfällen gezogen?
Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht hier und kann entsprechend nichts dazu sagen, was in der Vergangenheit war oder auch nicht. Ich kann nur über das sprechen, was ich seit meiner Rückkehr für Eindrücke gewonnen habe, und ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass wir eine intakte Truppe haben, ein funktionierendes Team, das bereit ist, den Kampf um die Klasse gemeinsam anzunehmen. Diesen Eindruck hat die Mannschaft seither täglich bestätigt und bewiesen, dass Mentalität und Charakter in ihr steckt.
War es im Zuge des Umbruchs unvermeidlich, sich von dem in Ungnade gefallenen Sturm-Publikumsliebling Jean-Philippe Mateta zu trennen?
Jean-Philippe hatte bereits zuvor den Wunsch geäußert, in der Premier League spielen zu können. Im Winter gab es dann auch ein attraktives Angebot für eine Leihe, das sportlich für Jean-Philippe und wirtschaftlich für uns gepasst hat.
Wie nehmen Sie Ihren neuen Blickwinkel als Sportdirektor wahr?
Es gibt viele Aspekte, die sich natürlich von dem des Trainers unterscheiden. So zum Beispiel bei den Transfers – hier kommt für mich nun zur sportlichen Bewertung auch die wirtschaftliche hinzu. Man hat als Trainer mehr Phasen, in denen man sich komplett auf die sportlichen Tagesaufgaben fokussieren muss. Aber es macht mir Spaß, die Facetten neben dem Trainings- und Spielbetrieb zu beackern und vermehrt auf strategischer Ebene tätig zu sein.
Was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe besonders?
Ich hatte bereits als Trainer großes Interesse daran, auch die Dinge abseits des Platzes mitzugestalten. Ich habe mich immer dafür interessiert, was beispielsweise die Merchandising-, Marketing- oder die Scouting-Abteilung macht. Ich bin grundsätzlich jemand, der gerne neue Herausforderungen annimmt, wie jeder in meinem Lebenslauf ja auch gut ablesen kann (lacht). Wenn es dann auch noch bei einem Verein und in einer Stadt ist, die mir am Herzen liegt, und mit Personen wie Christian Heidel, die ich sehr schätze, macht es Spaß, jeden Tag aufzustehen und für die neue Aufgabe zu brennen.
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Mit welcher Philosophie möchten Sie den Club sportlich führen?
Mit der Philosophie, die den 1. FSV Mainz 05 ausmacht – der Mainzer Weg aus verantwortungsvollem Wirtschaften, Fokus auf Spieleraus- und -weiterbildung sowie einer sportlichen Philosophie aus mutigem, frühem Forechecking, hoher Verteidigung, Lauf- und Zweikampfintensität. Wir möchten, dass unsere Fans das Gefühl haben, dass die Jungs ihr Herz auf dem Platz liegen lassen.
Können Sie sich eine Rückkehr an die Seitenlinie vorstellen?
Ich habe immer gesagt, dass ich im Moment nicht mehr als Trainer arbeiten will, schließe eine Rückkehr in diesen Job aber nicht kategorisch aus.
Aus acht Punkten Rückstand auf den 1. FC Köln ist binnen zwei Monaten ein Zwei-Punkte-Vorsprung geworden. Worin liegen die Gründe für die Mainzer Aufholjagd?
Die Grundlage hierfür war ein starkes und intaktes Team, bei dem wir an einigen kaderpersonellen und Bo Svensson an sportlichen Stellschrauben im Training und in der Kabine gedreht haben. Die Einheiten sind intensiv. Bo fordert von jedem Spieler zu jedem Zeitpunkt 110 Prozent ein, ist sehr kommunikativ im Umgang mit dem Team und legt großen Wert auf Gemeinschaftlichkeit auch abseits des Platzes. Die Mannschaft hat das angenommen, folgt dem klaren Plan des Trainers und belohnt sich dafür aktuell selbst.
Wie ist Ihr Gefühl vor dem richtungsweisenden Kellerduell in Köln?
Wir gehen voller Selbstvertrauen in diese Partie. Für uns ist es schon ein Teilerfolg, dass wir uns eine realistische Chance im Kampf um den Klassenerhalt erarbeitet haben – zu Beginn des Jahres konnten wir davon nur träumen. Aber wir sind erst bei Kilometer 30 und wir wissen: Ein Marathon fordert bis zum letzten Meter alles von uns ab. Vor uns liegen noch sieben wichtige Spiele im Kampf um den Klassenerhalt, das erste davon ist am Sonntag in Köln.