Leverkusen – Gerardo Seoane ließ es nicht an Deutlichkeit vermissen. Er mache sich „Sorgen, was da auf dem Platz passiert ist“, gab Leverkusens Trainer also nach der 2:3-Hinspielniederlage in Bergamo zu Protokoll. Und umschrieb damit selbstkritisch, dass dieses Achtelfinal-Duell in der Europa League deutlich eindeutiger ausgefallen war, als es das Ergebnis final ausdrückte. Doch was für eine Mannschaft zerpflückte Bayer 04 da – zumindest zuweilen – in ihre defensiven Einzelteile? Und wie brach Atalanta ein in den internationalen Kreis der Erlauchten?
In den Jahren bevor Trainer Gian Piero Gasperini in Diensten Bergamos an die Seitenlinie trat, galt Atalanta zwar als recht sympathischer Club an einem zudem malerischem Standort, keine 50 Kilometer nordöstlich von Mailand in der Lombardei gelegen. Doch nicht die Fußballelite war in Bergamo regelmäßig zu Gast, sondern Groundhopper. Und eher durchschnittliche Profis. Atalanta stellte eine mittelmäßig begabte Auswahl und gewann mit der Coppa Italia 1963 nur einen nationalen Titel.
Der SC Freiburg Italiens
Nun ist es gewiss falsch, die nachfolgende Erfolgsgeschichte allein mit einem Namen zu verknüpfen. Im Großkonstrukt Fußballverein gehören schließlich mehrere Personen dazu, zudem Fortune im Spiel und in der Rekrutierung des Personals. Doch niemand kommt umhin, den Fußballlehrer Gasperini prominent hervorzuheben, wenn es gilt, den Aufstieg Bergamos nachzuzeichnen. Der 64-Jährige nämlich startete im Sommer 2016 und fügte all die Rädchen endlich so zusammen, wie es sich der Geschäftsmann und frühere Atalanta-Profi Antonio Percassi in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.
Aus für Frimpong
Nächster schwerer Schlag für Bayer 04 Leverkusen. Nach Jungstar Florian Wirtz (Kreuzbandriss) fällt auch Jeremie Frimpong (21) für den Rest der Bundesliga-Saison 2021/22 aus. Wie Wirtz verletzte sich der niederländische Rechtsverteidiger am vergangenen Sonntag im Derby gegen den 1. FC Köln (0:1) und zog sich einen Syndesmose-Riss im rechten Sprunggelenk zu. Frimpong muss operiert werden. (sam)
2010 war es, als Percassi den damaligen Zweitligisten für kolportierte 14 Millionen Euro übernahm – im Fußballsport wahrlich keine Großinvestition – und Bergamo wieder nach oben führen wollte. Was zunächst leidlich gelang, erreichte mit der Ankunft Gasperinis eine neue Qualität. La Dea („Die Göttin“), wie Atalanta Bergamo auch genannt wird, mäanderte nicht mehr durch die Serie A, sondern erreichte prompt Rang vier. Nunmehr sind es schon fünf Spielzeiten, in denen der Verein international vertreten ist – in den vergangenen drei Serien startete Atalanta dabei immer in der Champions League. Eine beachtliche Leistung, die nicht mit wahnwitzig viel Geld erkauft, sondern mit guter Jugendarbeit, intelligenter Transferpolitik und einem Trainer erspielt wurde, der es versteht, das schöne mit dem effektiven Spiel zu verknüpfen.
Keine großen Stars, sondern echte Geheimwaffen
Und seine Spieler zu fördern.„Ich glaube nicht an gemanagten, sondern an gecoachten Fußball“, hat Gasperini mal gesagt. Soll heißen: Er will nicht verwalten, sondern entwickeln. Und half unter anderem Nationalspieler Robin Gosens empor. 2017 kam der deutsche Linksverteidiger vom kleinen Heracles Almelo in den Niederlanden und kickt mittlerweile bei Inter Mailand. An Gosens lässt sich Atalantas Erfolgszug bestens illustrieren. Nicht die großen, fertigen Starts verpflichtet dieser Club, sondern Akteure, die bei der Konkurrenz unterm Radar fliegen – und bestens zu Gasperinis Idee passen.
Charakteristisch für diesen Italiener ist die 3-4-1-2- oder 3-4-2-1-Anordnung und der aggressive Stil: Der Gegner soll permanent genervt und Bälle erpresst werden – meist in Manndeckung, um den Druck stets auf hohem Level zu halten. In Ballbesitz ist Atalanta flexibel, probiert sich im Aufbau meistens über die Außenbahn und kann es sowohl geduldig mit Seitenverlagerungen als auch schnell vertikal. Bayer 04 hatte mit diesem Spiel große Probleme, ließ einige Großchancen zu.
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In das Rückspiel am Donnersag (18.45 Uhr, BayArena) geht die Werkself darum als Außenseiter und mit viel Respekt. Ein Verdienst, das sich dieses Bergamo, das ein wenig so wirkt wie der SC Freiburg Italiens, mit ehrlicher Plackerei erarbeitet hat.