Köln – Edinburgh, Rostock und Portugal hat der Cheftrainer des 1. FC Köln bereist. Im Trainingslager in Donaueschingen sprüht Baumgart vor Tatendrang und Vorfreude auf die Bundesliga-Saison 2022/23. Martin Sauerborn hat sich mit ihm unterhalten.
Herr Baumgart, sind Sie eigentlich ein Trainer, der im Urlaub mal von dem ganzen Fußball-Zirkus abschalten muss und es auch kann?
Ehrlich gesagt, fühle ich mich nicht gestresst. Im Urlaub über Telefon greifbar zu sein, strengt mich nicht an und stört meinen Tagesablauf nicht. Ich konnte mich erholen und viel Zeit mit meiner Frau verbringen. Und es interessiert mich einfach, was im Fußball los ist – und zwar unabhängig davon, dass ich Trainer des 1. FC Köln bin.
Müssen Sie sich nicht mal in Ruhe Gedanken über das ein oder andere Thema machen?
Die Gedanken, die ich mir mache, die drücke ich sofort aus. Ich diskutiere die Dinge lieber gleich aus, das hilft mir mehr. Ich muss nicht in Ruhe über etwas nachdenken, weil ich bei dem, was ich mache, sehr klar bin. Ein Beispiel: Bei meiner Vertragsverlängerung ging es nur darum, dass es für beide Seiten funktioniert. Es hat überhaupt nicht lange gedauert.
Sie haben um ein Jahr bis 2024 verlängert mit der Möglichkeit jeweils ein weiteres Jahr dranzuhängen. Warum?
Weil die Vertragslaufzeit einfach keine große Rolle spielt. Da wird von der Öffentlichkeit viel zu viel reininterpretiert. Bei diesem Vertrag haben alle genügend Sicherheit. Es geht wie in Freiburg um die Philosophie des Vereins und die Frage, ob sich ein Verein mit einem Trainer weiterentwickelt.
Steffen Baumgart: „Der FC muss sich hinterfragen und verändern"
Von wem ging die Initiative für dieses Modell aus, von Sportchef Christian Keller oder Ihnen?
Von keiner Seite. Wir haben darüber geredet und uns darauf verständigt. Das ist eine sehr gute, charmante Lösung. Wir sind immer in der Lage zu handeln. Wir wissen, was wir wollen. Wenn es gut läuft, kann man verlängern und wenn nicht, wissen alle, wie lange es noch geht. Das Hauptziel ist und bleibt es, den Verein zu stabilisieren.
Ist der FC aktuell auf einem guten Weg sich zu stabilisieren?
Auf einem sehr guten Weg.
Warum?
Weil alle, die für den Club arbeiten – und nicht nur Mannschaft und Trainerteam – alles dafür tun, den Club auf gesunde Beine zu stellen. Es geht darum, die Dinge, die gut laufen so weiterzumachen und Dinge, die nicht so gut oder die Folge von Corona sind, neu zu regulieren. Der FC muss sich hinterfragen und verändern, um sich zu entwickeln. Der Verein macht im Moment auch nach außen einen sehr positiven Eindruck. Wir stehen für etwas und wollen den FC weiter auf einem guten Weg führen. Und dafür ist der Sport das Wichtigste. Viel wird davon abhängen, wie die Leistung der Mannschaft aussieht.
Eine Mannschaft, die Stand jetzt im Wesentlichen zusammengeblieben ist und sechs Spieler hinzubekommen hat. Worin sehen Sie die Perspektive dieses Teams?
Wir wissen, wo wir uns verstärken und verändern wollen und haben Potenzial, uns weiterentwickeln zu können. Wir haben eine gute Mischung aus Kontinuität mit Spielern, die schon lange im Verein sind und jungen Leuten, die wir heranführen. Im Moment spricht vieles für den FC. Wir sind hier noch nicht fertig. Klar ist aber auch: Was uns letztes Jahr erfolgreich gemacht hat, wird dieses Jahr nicht mehr reichen. Wir müssen uns verbessern. Das werden wir, denn wir sind weiter als vor einem Jahr. Den Jungs muss keiner mehr erklären, wie sie erfolgreich sein können. Sie wissen es, auch wenn es anstrengend für sie ist.
Ihr Spieler Benno Schmitz hat es so ausgedrückt: „Vor dem Spaß kommt die Arbeit.“
Und die Jungs haben sogar noch Spaß an der Arbeit.
„Wir brauchen mehr Ballsicherheit und Geschwindigkeit"
Wie muss sich die Mannschaft dann weiter entwickeln?
Wir brauchen mehr Klarheit, mehr Ballsicherheit und mehr Geschwindigkeit mit Ball. Den ersten großen Schritt zu machen, ist relativ einfach, aber die vielen kleinen, die folgen und kaum auffallen sind schwierig. Wir hatten eine kontinuierliche Entwicklung. Jeder weiß, wie wir spielen. Niemand wird sich mehr überraschen lassen. Auch, wenn uns in Ballbesitz vielleicht etwas die Qualität fehlt, wollen wir gegen jeden Gegner agieren, ins Risiko gehen und den Mut haben, mit Fehlern zu leben. Vor dem Erfolg kommt die Spielidee, bei der Spaß ein großer Faktor ist. Unser Fußball macht Spaß.
Nach Platz sieben und 52 Punkten sind die Erwartungen im Umfeld sicher hoch. Wie gehen Sie diese Herausforderung an?
Ich weiß nicht, wo wir am Ende landen, aber wir wollen unabhängig von den Ergebnissen leistungsmäßig nicht schlechter werden. Dann werden Erfolge wahrscheinlicher. Mit den Erwartungen müssen wir umgehen. Auf jeden Fall werden unsere Leistungen mit denen der letzten Saison verglichen. Dem Vergleich müssen wir standhalten. Das ist aber auch unsere eigene Erwartung.
Wird das funktionieren?
Davon bin ich überzeugt, kann aber noch nicht abschätzen, was die möglichen vielen Englischen Wochen mit der Energie der Mannschaft machen. Oder die Reisestrapazen, wenn wir uns für die Conference League qualifizieren. Es geht aber nicht darum, was nicht geht, sondern dass wir es einfach machen. Wir können uns verbessern, mehr Tore erzielen, besser verteidigen, Marktwerte schaffen. Wir können ins DFB-Pokalfinale kommen, gute Tabellenplätze erreichen und die Idee von Fußball in Köln weiterentwickeln. Die Frage, warum wir nicht erfolgreich sein können, stellt sich für mich gar nicht.
Welche Rolle werden die Neuzugänge dabei spielen?
Nach dieser Saison laufen viele Verträge aus. Die Neuen werden auf lange Sicht für uns wichtig werden. Wir müssen ihnen dafür die Zeit in einer sehr gut funktionierenden Mannschaft geben. Wir müssen in der Breite gut aufgestellt sein und den Erfolg des Vereins in den Mittelpunkt stellen. Das müssen sie lernen und verstehen. Steffen Tigges und Linton Maina sind große Talente. Eric Martel hat sich während seiner Zeit in Österreich sehr gut entwickelt. Und Denis Huseinbasic hat das Potenzial, Bundesliga zu spielen und wird in den nächsten ein, zwei Jahren an diese Tür klopfen. Wir haben unsere Hausaufgaben gut gemacht. Ich bin mehr als zufrieden.
Was erwarten Sie von Sargis Adamyan, der ein gestandener Profi ist und Qualität mitbringt?
Ich erwarte, dass er Spaß hat. Ich kenne ihn aus Rostocker Zeiten und aus Neustrelitz. Er ist nicht nur ein guter Fußballer, sondern auch ein Mannschaftsspieler und sehr ehrgeizig. Wir können ihn flexibel einsetzen als Achter, zweiter Stürmer oder Mittelstürmer. Mit ihm, Tony Modeste und Sebastian Andersson haben wir drei erfahrene Stürmer, die uns in der Bundesliga helfen werden. Dazu kommt Steffen Tigges.
Noch nie so viele mögliche Englische Wochen
Ihre Spieler machen hier im Trainingslager alle einen extrem motivierten, fitten Eindruck?
Ja, die Jungs haben richtig Bock auf die Saison. Ich laufe hier wirklich jeden Tag mit einem breiten Grinsen rum, wenn ich Spieler wie Mark Uth, Tony Modeste, Timo Horn oder Florian Kainz bei der Arbeit sehe.
Worin haben Sie sich in Ihrem ersten Jahr als FC-Trainer weiterentwickelt?
Trainer bist du nicht, sondern wirst Du. Ich entwickle mich mit jeder Niederlage, jeder missglückten Situation. So haben wir nach dem 1:1 in Bielefeld unser Aufbauspiel verändert oder beim 1:3 in Leipzig viel mehr Ballbesitz gehabt als ein Champions League-Teilnehmer. Als Trainer geht es darum, schneller auf bestimmte Spielsituationen reagieren zu können. Das ist ein stetiger Lernprozess. Ich hatte zum Beispiel noch nie eine Saison mit so vielen möglichen Englischen Wochen vor mir.
Wie gehen Sie dieses Thema an? Zum Beispiel im Hinblick auf die Trainingssteuerung?
Noch weiß ich nicht, was das mit uns macht und auch nicht, wie die Trainingssteuerung am besten gelingt. Wir gehen es an und werden uns ständig hinterfragen, ob alles richtig war. Ich kann es nicht einschätzen und will es auch gar nicht, weil ich es ja erleben will. Für mich persönlich wird es wichtig sein, klar zu bleiben. Ich habe gehört, dass einem bei diesem Pensum schnell mal der Kopf brennen kann. Das zu meistern, finde ich interessant und ich freue mich drauf.
Der Fokus des FC liegt aber ganz klar auf der Bundesliga, wie Sie häufig betonen.
Es geht darum, den Verein in seiner der Existenz zu halten. Wir sind ein Bundesligist und das wollen wir bleiben. Die Bundesliga ist unser tägliches Brot und es wird schwerer, wenn man sieht, dass mit Bremen und Schalke zwei Hochkaräter mit Tradition wieder da sind. Ich freue mich sehr auf diese Liga – auch wegen der vielen tollen Transfers.
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Wo sehen Sie Ihre Mannschaft im Ligavergleich?
Bayern, Dortmund, Leverkusen und Leipzig spielen um den Titel. Und es gibt sicher acht Clubs, die mit dem Abstieg zu tun haben können. Dazu gehören wir auch.
Welchen Stellenwert hat dann eigentlich die Conference League für den FC?
Wir freuen uns dabei zu ein. Der Wettbewerb hat an Strahlkraft gewonnen, ist interessant und spannend. Ich sehe nur Positives darin und bin auch ein Freund von drei europäischen Wettbewerben.
Und es ist neben dem DFB-Pokal eine weitere Möglichkeit Erfolg zu haben?
Ja und das in Köln mit seinem besonderen Lebensgefühl und seiner hohen Lebensqualität. Wenn Du in dieser Stadt Erfolg hast, musst Du nicht mal mehr gehen, Du wirst getragen.