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BoxenVor 90 Jahren wurde Max Schmeling in New York Weltmeister

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Max Schmeling und die Schau­spie­le­rin Anny Ondra. Sie hei­ra­te­ten 1933.

  1. Die Geschichte seines Lebens, seiner Siege, seiner Niederlagen, ist über die Jahre hinweg fest im öffentlichen Bewusstsein verankert.
  2. Wenn man von ihm spricht, fallen Begriffe wie Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft.
  3. Das vor allem mag den Legenden-Status erklären.

New York/Köln – Gegen Ende des Jahres 1999 ließ das ZDF die Deutschen ihren „Jahrhundertsportler“ wählen. Das Ergebnis war einigermaßen vorhersehbar: An der Spitze lag Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher, unter den Top Ten platzierten sich zudem Franz Beckenbauer, Steffi Graf, Boris Becker, Birgit Fischer, Jan Ullrich, Franziska van Almsick, Gerd Müller, Oliver Kahn – und, auf dem sechsten Rang, der Boxer Max Schmeling.

Von den Gewählten war keiner älter als 55 Jahre – bis auf Max Schmeling. Der hatte gerade seinen 95. Geburtstag gefeiert und hätte sozusagen Vater oder gar Großvater aller anderen sein können. Die Zeit ist schnelllebig und das historische Gedächtnis kurz. Das müssen nicht zuletzt auch Sportler immer wieder erfahren, die nach ihrer grell beleuchteten Karriere rasch der medialen Vergesslichkeit anheimfallen.

Seine Geschichte ist im öffentlichen Bewusstsein

Bei Max Schmeling war das ein bisschen anders. Die Geschichte seines Lebens, seiner Siege, seiner Niederlagen, ist über die Jahre hinweg fest im öffentlichen Bewusstsein verankert.

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Schmeling, geboren 1905, gestorben 2005 mit 99 Jahren, steht schon mit seinen Lebensdaten für ein ganzes Jahrhundert, für Kaiserreich, Weimarer Republik, Faschismus, Krieg, Wiederaufbau. Er ist einer, der sich durchgeboxt hat. Wenn man von ihm spricht, fallen Begriffe wie Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft. Das vor allem mag den Legenden-Status erklären.

Schmelings Kampfstil zeichnet sich früh ab

Der Seemannssohn aus der Uckermark wird schon mit 21 Jahren deutscher Meister im Halbschwergewicht. Das Fachmagazin „Boxsport“ versucht sich an Hellseherei: „Der deutsche Boxsport hat einen neuen Meister, auf den er wieder bauen kann, vielleicht einen Stern am Boxhimmel, der die Kräfte besitzt, alle Einstigen und Vorhandenen zu übertreffen.“

Schmelings Kampfstil zeichnet sich bereits ab: meist abwartend, methodisch, den Gegner analysierend. Dazu kommt seine rechte Hand, „die berühmte, ruhmreiche Rechte“, wie der Schriftsteller Wolf Wondratschek schreibt: „Die kurz angesetzte und gerade geschlagene Rechte hat die Sterne vom Himmel gerissen.“

Der Sport ist Teil einer riesigen Unterhaltungsindustrie

Bevor diese Rechte Sportgeschichte schreibt, taucht der junge Boxer erst einmal ein ins Berlin der goldenen 20er Jahre. Der Sport ist Teil einer riesigen Unterhaltungsindustrie, in der speziell das Boxen die Intellektuellen fasziniert.

Der Filmregisseur Fritz Lang hat einen Boxring in seiner Wohnung stehen, die Schriftstellerin Vicki Baum trainiert mit Boxhandschuhen. Schmeling lernt sie alle kennen, von Heinrich Mann bis Marlene Dietrich. Er steht dem Maler George Grosz Modell.

Er singt sogar einige Rührverse

Im Film „Liebe im Ring“ wird Schmeling zum Hauptdarsteller: ein junger Boxer zwischen zwei schönen Frauen, zwischen Olga Tschechowa und Renate Müller. Er darf dabei sogar einige Rührverse singen: „Das Herz eines Boxers / kennt nur eine Liebe: / den Kampf um den Sieg ganz allein. / Das Herz eines Boxers / kennt nur eine Sorge: Im Ring der Erste zu sein.“

Um Erster zu werden, geht Schmeling in die USA. New York gilt als die Welthauptstadt des Boxens. Der jüdische Manager Joe Jacobs nimmt die Karriere des jungen Deutschen in die Hand. Vor 90 Jahren, am 12. Juni 1930, wird Max Schmeling im New Yorker Yankee-Stadion Weltmeister im Schwergewicht.

Der Amerikaner wird zu Recht disqualifiziert

Es ist kein schöner, kein triumphaler Sieg. Gegen Jack Sharkey, einen Amerikaner litauischer Herkunft, findet Schmeling nicht in den Kampf, er liegt nach Punkten zurück, als ihn Sharkey in der vierten Runde mit einem Tiefschlag von den Beinen holt. Der Amerikaner wird zu Recht disqualifiziert, aber Schmeling schreibt in seinen Erinnerungen: „Meine Krone war ohne Glanz.“

Jahrzehnte später noch wird Eckhardt Dagge, deutscher Weltmeister im Halbmittelgewicht, spotten: „Schmeling hat seinen Titel im Liegen gewonnen. Ich im Stehen.“ Schmeling bleibt, mit einer Titelverteidigung, für zwei Jahre Champion; den Rückkampf gegen Sharkey verliert er umstritten nach Punkten. Die amerikanische Presse schreibt von einem der skandalösesten Urteile in der Geschichte des Boxsports.

Privat sieht es gut aus

Schmeling kämpft sich mühsam ins ganz große Boxgeschäft zurück. Privat sieht es gut aus: 1933 heiratet er die tschechische Filmschauspielerin Anny Ondra, die beiden bleiben bis zu Ondras Tod 1987 ein Paar, skandalfrei ein Leben lang. Zur Hochzeit schenkt Hitler dem Traumpaar einen japanischen Ahorn.

Die Nazis haben längst erkannt, wie nützlich prominente Sportler fürs Regime sein können, Schmeling soll in den USA gute Stimmung machen für die vom Boykott bedrohten Olympischen Spiele von Berlin 1936. Es beginnt der Drahtseilakt für den Sportler, das permanente Austarieren von Nähe und Distanz. Schmeling wird kein Parteimitglied, aber er ist auch kein Widerstandskämpfer.

Der Mythos Schmeling wird begründet

Dem Ansinnen, sich von seinem jüdischen Manager zu trennen, widersetzt er sich. Er sucht sich seinen Platz sozusagen in der neutralen Ecke des Rings, glaubt, die Nazis benutzen zu können, während sie in Wirklichkeit ihn benutzen.

Es muss den Nationalsozialisten und dem vom Erziehungswert des Boxens schwadronierenden Hitler wie ein Geschenk vorgekommen sein, als Schmeling völlig unerwartet wenige Wochen vor Eröffnung der Olympischen Spiele jenen Kampf gewinnt, der in die Geschichte des Boxsports einging und den Mythos Schmeling begründete.

Hitler schaut sich den Film des Kampfes später zusammen mit Schmeling an

In New York zermürbt der Deutsche den als unbesiegbar geltenden „braunen Bomber“ Joe Louis mit einer strategischen Meisterleistung, seine berühmte gerade Rechte sorgt in der zwölften Runde für den Knockout. Hitler schaut sich den Film des Kampfes später zusammen mit Schmeling an, bei jedem Treffer Schmelings klopft er sich vor Vergnügen auf die Oberschenkel.

Der Film kommt mit dem Titel „Schmelings Sieg – Ein deutscher Sieg“ in die Kinos. Der Rückkampf zwei Jahre später dauert kaum mehr als zwei Minuten, dann hat Joe Louis den deutschen Gegner kampfunfähig am Boden. In der Rückschau sieht Schmeling das Positive an der Niederlage: Die Nazis haben das Interesse an ihm verloren. Als einer von wenigen Spitzensportlern wird er eingezogen und als Fallschirmjäger eingesetzt.

Das Paar kauft sich in Hollenstedt am Rand der Lüneburger Heide ein Stück Land

Nach dem Krieg steht Schmeling wie Millionen andere mittellos da. Er geht noch einmal in den Ring, sein letzter Kampf, den er 1948 kurz nach der Währungsreform gegen Richard Vogt verliert, bringt ihm 40 000 DM ein. Das Paar Schmeling/Ondra kauft sich in Hollenstedt am Rand der Lüneburger Heide ein Stück Land und versucht es mit Hühnerfarm, Tabak-Anbau und Nerzzucht.

Schließlich machen sich die alten Verbindungen nach Amerika bezahlt: Coca-Cola sucht ein prominentes Gesicht in Deutschland und findet es in Schmeling. Der Boxer wird mit Coca-Cola-Lizenz und seiner Getränkefirma zum wohlhabenden Geschäftsmann. Man sieht ihn auf Galas, immer höflich, immer bescheiden, ein Mann mit Bodenhaftung, frei von Allüren, der in der Dorfkneipe Skat spielt und viel Gutes tut. Die Liste der Projekte, die er mit seiner Max-Schmeling-Stiftung unterstützt, ist lang.

Erst viele Jahre nach Kriegsende wird bekannt, dass Schmeling während der Novemberpogrome 1938 zwei jüdische Kinder, Söhne eines alten Freundes, in seiner Suite im Berliner Hotel Excelsior versteckte und ihnen half, das Land zu verlassen. Er hat darüber nie viele Worte gemacht. „Man soll“, sagt er 1993 in seinem letzten Interview, „mir nicht nachsagen, als Sportler taugte er so viel, als Mensch aber taugte er nichts. Ich könnte das wirklich nicht ertragen.“ Schmeling stirbt am 2. Februar 2005. In der Tageszeitung „USA Today“ ist zu lesen: „Er wollte ein Schwergewichts-Champ sein, nicht ein Symbol der Nazi-Herrschaft. Aufgrund seiner Generosität und seiner Fairness blieb er auch nach Ende seiner Karriere ein Idol.“ Der italienische „Corriere della Sera“ schreibt: „Er war ein guter Boxer und ein anständiger Mensch.“