Sportchef Christian Keller spricht vor dem Derby am Sonntag gegen Gladbach mit Tobias Carspecken und Martin Sauerborn über die aktuelle Krise des 1. FC Köln und Trainer Steffen Baumgart.
FC-Sportchef Christian Keller im Interview„Die Spielidee wird nicht hinterfragt“
Geschäftsführer Christian Keller (44) und der 1. FC Köln befinden sich in der ersten großen sportlichen Krise, seit Steffen Baumgart im Sommer 2021 das Traineramt bei dem Fußball-Bundesligisten übernommen hat. Im ersten Teil des großen Rundschau-Interviews äußerst sich der Sportchef gegenüber Tobias Carspecken und Martin Sauerborn zur aktuellen Situation und zur Position des Cheftrainers.
Herr Keller, während der Länderspielpause sind Sie zum Ehrenvorsitzenden Ihres langjährigen Clubs SSV Jahn Regensburg ernannt worden. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Ich habe mich sehr darüber gefreut, weil es zum einen nicht selbstverständlich ist, überhaupt so eine Auszeichnung zu erhalten. Zum anderen hat der Jahn die Auszeichnung durch eine Satzungsänderung extra für mich geschaffen. Es war eine Abrundung der achteinhalb Jahre. Gleichwohl wäre es nicht notwendig gewesen, weil ich bei meinem damaligen Abschied schon mehr als reich beschenkt worden bin. Das hätte bei weitem ausgereicht. Es war natürlich trotzdem schön und emotional. Als der Aufsichtsratsvorsitzende bei seiner Laudatio die achteinhalb Jahre Revue passieren ließ, war mein Kopf voller Bilder. Die Danksagung ist mir dann schwerer gefallen, als ich es gedacht hätte.
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Sie haben in Regensburg auch schwierige Zeiten erlebt, sogar mit persönlichen Anfeindungen. Was haben Sie für sich persönlich aus dieser Phase mitgenommen?
Ich blicke ausschließlich positiv auf die achteinhalb Jahre zurück. In der Zeit, in der es schwer war, konnte ich die Kritik inhaltlich größtenteils nachvollziehen, weil der Fan selten hinter die Kulissen blicken kann und nur sieht, was auf dem Platz passiert. Das war am Anfang nicht ausreichend. Auch, weil ich ein paar Fehler gemacht habe. In Summe überwogen dann aber die richtigen Entscheidungen. Wichtig war damals, dass wir im Innenverhältnis die absolute Überzeugung hatten, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass die Stellhebel, die wir neu eingestellt haben, perspektivisch zum Erfolg führen werden. Das war erfreulicherweise auch so. Mitgenommen habe ich also: Wenn man von etwas überzeugt ist, dann sollte man es durchziehen und sich nicht beirren lassen – ohne dabei Scheuklappen aufzuhaben. Mit der Gefahr, dass man auch mal auf die Nase fällt.
Helfen Ihnen diese Erfahrungen in der aktuellen Krise des FC?
Die beiden Situationen möchte ich ungern miteinander vergleichen. Wir wussten, dass wir vor einer herausfordernden Saison stehen. Nicht umsonst haben wir formuliert, so schnell wie möglich 40 Punkte erreichen zu wollen. Das ist letztendlich nichts anderes als die Formulierung für das Ziel Klassenerhalt. Auch aufgrund von Abgängen in der Spitze mit Jonas Hector und Ellyes Skhiri, die wir so nicht kompensieren konnten. Was wir nicht wussten: Dass sich die Einschätzung nach sieben Spieltagen so massiv bestätigen würde. Weil keiner von uns gedacht hätte, dass wir nur einen Punkt auf dem Konto haben würden.
Was ist in Krisenzeiten besonders wichtig für einen Manager?
Vertrauen in die handelnden Akteure – nicht nur verbal, sondern auch gelebt. Sachlichkeit. Fokussierung. Und Ruhe im Innenverhältnis. Das sind aus meiner Sicht vier elementare Dinge.
Lassen Sie so eine Situation persönlich an sich heran?
Kritik kann ich nachvollziehen. Sie richtet sich im Fußball immer auf Köpfe. Und ich bin eben der Verantwortliche. Dann ist es okay, wenn ich kritisiert werde. Das ist Teil meines Jobs. Andererseits ist es wichtig, zwischen Funktion und Person zu trennen. Ich werde in meiner Funktion kritisiert. Ich glaube nicht – und so habe ich die Kritik bis dato wahrgenommen –, dass ich als Person kritisiert werde. Die meisten kennen mich ja auch nicht. Aber auch die, die mich kennen, sind in der Sache kritisch, aber nicht auf einer persönlichen Ebene.
Wie erleben Sie die derzeitige Atmosphäre rund um den FC?
Im Innenverhältnis sehe ich, dass die Mitarbeiter dem eingeschlagenen Weg folgen. Dass alle davon überzeugt sind und der Mannschaft das Vertrauen schenken. Wohlwissend, dass auch Talsohlen dazugehören. Und: Dass wir uns einerseits kritisch reflektieren, aber nicht unsere Grundsätze in Frage stellen.
Was zählt zu den Grundsätzen?
Ein Grundsatz ist die Spielidee, bei der für mich klar ist: Die wird nicht hinterfragt. Sie wird so durchgezogen, weil wir davon überzeugt sind, dass sie zu uns passt und für uns die richtige ist. Eher muss hinterfragt werden: Sind wir in der Umsetzung konsequent genug? Da können wir sicherlich Verbesserungsfelder finden. Wir dürfen aber nicht an Grundfesten rütteln. Das zahlt sich nicht auf Vertrauen und Überzeugung aus.
Befürchten Sie, dass die Stimmung im Umfeld im Falle einer Derby-Niederlage gegen Gladbach umschlägt?
Wir haben ein Spiel vor uns, das per se emotional sehr aufgeladen ist und für unsere Fans eine Riesenbedeutung hat – so dass an diesem Spiel schon viel dranhängt. Drei Punkte wären für uns in mehrfacher Hinsicht Goldwert. Ich kann nicht versprechen, dass uns das gelingen wird. Ich kann aber sagen, dass die Überzeugung groß ist, dass wir eine gute Leistung auf den Platz bringen und die Punkte holen.
Steht der FC vor richtungsweisenden Wochen?
Wir haben eine Reihe von Spielen gegen Gegner auf Augenhöhe vor uns. Wir müssen jetzt auch mal punkten, weil der Abstand ansonsten immer größer wird. Und wenn dann der Kopf dazu kommt, der anfängt zu rattern, werden die Beine schwer. In so ein Fahrwasser dürfen wir gar nicht kommen.
Wie erleben Sie Steffen Baumgart in seiner bislang größten Krise als FC-Trainer?
Er ist sehr fokussiert, sehr sachlich und positiv und er hat die Situation angenommen. Wir reden über einen ehrgeizigen Trainer, der immer mehr will. Auch in dem Wissen, dass es eine herausfordernde Saison wird. Steffen wäre nicht der Steffen, wenn er nicht sagen würde: „Ich hole trotzdem das Maximale heraus.“ Das ist uns bislang nicht gelungen. Und das musste er erst einmal für sich neu justieren. Das hat er gemacht und wird weiterhin vorneweg marschieren.
Wie fest sitzt Baumgart trotz des Fehlstarts im Sattel?
Wir bewerten Leistung, nicht Ergebnis. Ich bin felsenfest davon überzeugt: Wenn die Leistung anhaltend stimmt, dann stimmt irgendwann auch das Ergebnis. Wir müssen jedoch klar konstatieren, dass die Leistung unserer Mannschaft in dieser Saison nicht konstant gestimmt hat. Schönreden dürfen wir das nicht. Insofern haben wir teilweise zurecht keine Punkte geholt. Auf der anderen Seite kann ich nicht erwarten, dass der Trainer permanent eine Überperformance mit dem Kader hinlegt. Hinter die Leistung des Trainerteams würde ich dennoch ein „sehr gut“ setzen. Was nicht heißt, dass auch in diesem Bereich ab und an Fehler passieren. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Die Summe der richtigen Entscheidungen ist bis dato aber deutlich größer als die der falschen.
Was stimmt Sie zuversichtlich, dass Baumgart wieder die Kurve bekommt?
Zum einen, dass die Qualität des Kaders hinreichend ist, um in der Liga zu bleiben. Wohlwissend, dass es nach diesem Start, den wir erstmal wieder aufholen müssen, lange sehr herausfordernd bleiben wird. Es geht darum, fleißig zu bleiben und weiterzuarbeiten. Ich sehe, dass das vorgelebt wird. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich das in Punkten niederschlagen wird.
Steffen Baumgart genießt im Umfeld Kultstatus. Ist er für Sie unantastbar?
Unantastbar ist niemand. Meine Person nicht, der Trainer nicht, niemand. Wenn aber die Leistung gut ist – und der Trainer macht einen guten Job –, er sich dann noch den Clubwerten entsprechend verhält und sich einbringt, stellt sich für mich nicht die Frage, ob jemand unantastbar ist. Dann bin ich sehr froh, dass er hier ist und mitgestaltet.
Wie kommt Baumgart damit klar, dass eine Entwicklung auch mal nicht vorangeht?
Steffen musste die Situation erst annehmen. Das muss einem Trainer zugestanden werden. Er ist keine Maschine.
Gibt es für Sie eine Grenze, bis wann die Wende gelingen muss?
Wie gesagt mein Credo ist: Wenn die Leistung anhaltend stimmt, werden auch die Ergebnisse kommen. Ich bin allerdings nicht naiv und weiß, dass wir Punkte holen müssen.
Im zweiten Teil des großen Rundschau-Interviews äußert sich Christian Keller zur Kaderplanung für die laufende Saison, der drohenden Transfersperre durch das laufende CAS-Verfahren sowie über die Nachwuchstalente Jaka Cuber Potocnik und Justin Diehl.