Köln – Christian Keller (43) hat viel zu tun. Der Sportchef des 1. FC Köln hat während des Trainingslagers in Donaueschingen selbst die morgendliche Laufgruppe zum Austausch genutzt. Während der Woche im Öschberghof blieb aber auch Zeit für ein Essen in Gutmadingen bei seiner Mutter mit Kartoffelpüree, Blumenkohlschnitzel und Pudding mit Himbeeren – und ein Gespräch mit Martin Sauerborn.
Herr Keller, Sie waren am 9. Juli im Trainingslager in Donaueschingen 100 Tage als Geschäftsführer Sport des 1. FC Köln im Amt. Verstehen Sie den Club schon etwas besser?
Inhaltlich verstehe ich den FC immer besser, entdecke aber auch jeden Tag noch etwas Neues. Die 100 Tage waren, wie sollte es auch anders sein, nicht ausreichend, um alle Facetten des FC kennenzulernen.
Was fehlt denn noch alles?
Ich gebe Ihnen mal ein profanes Beispiel: Mit meinem Geschäftsführerkollegen Philipp Türoff habe ich mich drei Tage lang eingeschlossen und die Finanzplanung von oben bis unten angeschaut. Das heißt aber nicht, dass wir jeden der kleinen Steine, die unter den umgedrehten großen Steinen liegen, schon anschauen konnten. Wie zum Beispiel die vielen Dienstleisterverträge. Dafür hat die Zeit noch nicht gereicht.
Die BWL-Lehre sagt eigentlich, dass die ersten 100 Tage die Zeit des Beobachtens sind. Sie mussten dagegen schon einige Entscheidungen treffen.
Nur beobachten ging nicht. Wir haben in den ersten 100 Tagen den Vertrag mit unserem Trainer Steffen Baumgart verlängert, sechs Neuzugänge verpflichtet und es gab die ersten Abgänge bzw. Leihen. Parallel dazu habe ich versucht, möglichst viel vom FC kennenzulernen.
Christian Keller will die Stärken und Schwächen des FCs kennen
Sie haben sich die Zeit genommen, um mit allen Spielern und den relevantesten Mitarbeitern zu sprechen.
Das finde ich brutal wichtig. Niemand als die Mitarbeiter weiß besser, wie die Organisation funktioniert. Wenn ich die Organisation mit ihren Stärken und Schwächen möglichst schnell verstehen will, brauche ich dafür auch das Wissen der Mitarbeiter.
Sie haben angekündigt, auf der Geschäftsstelle Dinge verändern zu wollen. Konnten Sie die entsprechenden Felder schon identifizieren?
Wir werden die erforderlichen Veränderungen zu gegebenem Zeitpunkt zunächst intern besprechen. Grundsätzlich sollten Organisationsaufbau, Abläufe und Strukturen aber so sein, dass sich unsere sehr vielen guten Mitarbeiter bestmöglich entfalten können. Dafür müssen zum Beispiel die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar sein.
Sie haben den Vertrag mit Steffen Baumgart um ein Jahr bis 2024 verlängert und die Option jeweils ein Jahr dranzuhängen. Wie sind die Verhandlungen aus Ihrer Sicht gelaufen?
Wir haben uns zum Essen getroffen und den groben Rahmen abgesteckt, haben aber auch über andere Themen abseits des Fußballs gesprochen. Nach der Feinjustierung mit den Beratern gab es ein weiteres Gespräch mit Steffen. Am Ende entscheidet natürlich Steffen selbst und nicht seine Berater.
Wer hatte die Idee, nach 2024 jeweils um ein Jahr verlängern zu können?
Das Modell hat sich im Gespräch so ergeben. Die Option ist vertrauensvoll und eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit.
Keller will Neuzugänge mit Bundesliga-Potenzial
Das klingt, als seien Sie sehr zufrieden. Trifft das auch auf die Neuzugänge zu?
Alle Neuzugänge haben das Potenzial, Bundesliga zu spielen. Wenn die Pflichtspiele starten, werden wir sehen, ob und wie schnell sie dieses Potenzial auf den Platz bringen werden. Grundsätzlich muss man ihre Leistungsentwicklung aber auch über einen längeren Zeitraum betrachten, um eine abschließend Bewertung treffen zu können. Klar war, dass wir unserer Offensive neue Leistungskomponenten geben wollten. Sargis Adamyan kann den Unterschied machen und Steffen Tigges gehört zu den wenigen Stoßstürmern in Deutschland. Wir können sagen, dass wir alle Spieler, die wir haben wollten, auch bekommen haben. Zudem sind wir bei den ablösepflichtigen Spielern im Rahmen unserer Handlungsfähigkeit geblieben und haben alle recht früh holen können. Steffen Baumgart kann nahezu die komplette Vorbereitung mit dem ganzen Kader bestreiten. Das ist ein Vorteil.
Hat der frühe Zeitpunkt der Verpflichtungen auch finanzielle Auswirkungen?
Wir hatten die Überzeugung, dass es wichtig ist, antizyklisch vorzugehen. Also nicht erst Spieler abgeben, damit wir mehr wirtschaftliche Sicherheit haben. Dann wäre es am Ende deutlich teuer geworden und wir hätten die Spieler, die wir haben wollten, nicht alle bekommen. Bei den meisten gab auch anderweitig eine gewisse Nachfrage. Wir waren schnell und inhaltlich überzeugend. Der FC ist derzeit nicht mehr der Club, der das meiste Geld bezahlt. Bei einigen Spielern war es sogar mit Abstand weniger als die Angebote der Konkurrenz. Es spricht für unsere Neuzugänge, dass sie sich für den inhaltlichen Weg entschieden haben.
Wird der 1. FC Köln bei Spielern nach dem ersten Jahr unter Steffen Baumgart anders wahrgenommen?
Das kann ich nur schwer beurteilen, weil ich nicht weiß, wie der FC vorher wahrgenommen worden ist. Ich kann aber sagen, wie wir jetzt vorgehen: Wir geben den Spielern ein umfassendes Bild vom Club. Das betrifft Historie, Ausrichtung und Werte genau wie das gesamte Umfeld, also Medien, Fans und wie die Stadt den Club lebt. Zudem informieren wir über unsere Spielidee, wie wir den Spieler in dieser Idee sehen und warum er dazu passt. Es gehört auch dazu, ihnen ihre Entwicklungsfelder aufzuzeigen. Denn bisher hat keiner unsere Neuen nachhaltig und konstant gezeigt, dass er Bundesliganiveau hat.
Das sagen Sie den Spielern?
Wir sprechen das klar an und zeigen ihnen eine Perspektive auf, wie wir mit ihnen an ihrer Entwicklung arbeiten wollen. Es geht um ehrliches Feedback. Ohne, dass ich uns mit anderen Clubs vergleichen will, kann man sich mit seinem Vorgehen bei der Spielerrekrutierung maßgeblich unterschieden. Meiner Erfahrung nach ist es besser mit einer klaren Agenda in die Gespräche zu gehen und dem Spieler zu zeigen, dass wir uns intensiv mit ihm beschäftigt haben. Spieler, die sich entwickeln wollen, kann man so überzeugen.
Keller: FC-Spieler beeinflussen ihr Gehalt durch Leistung
Die Gehälter müssten demnach an die Möglichkeiten des FC angepasst sein?
Wir starten mit moderaten Gehältern, für frühere FC-Verhältnisse sogar äußerst moderat. Dazu kommt eine Variable, die der Spieler positiv beeinflussen kann, indem er Leistung bringt.
Sie haben auch bei den Ablösen hart verhandelt und können diese, so hört man, in Raten zahlen
Bei der aktuellen finanziellen Situation des FC versuchen wir die Zahlung von Ablösesummen natürlich zu strecken. Das hilft uns im Hinblick auf unsere Liquidität. Aus Ergebnissicht verteilen sich die Ablösesummen über die Abschreibung ohnehin linear über die jeweiligen Vertragslaufzeiten.
Mit Salih Özcan haben Sie einen Spieler abgegeben, für den der FC eine Ablöse generieren konnte. Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Der Transfer muss in seinem situativen Kontext gesehen werden. Bewerte ich ihn aus jetziger Sicht, ist die Ablöse nicht gut. Wenn wir jetzt frei verhandeln hätten können, hätten wir ein Vielfaches mehr generieren können. Blickt man aber auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit Salih vor einem Jahr zurück, dann haben die damaligen Verantwortlichen dem FC durch ihr Handeln eine Ablöse beschert. Aus Null wurde ein siebenstelliger Transfererlös gemacht. Das war deshalb zweifelsfrei ein guter Deal.
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Was tut sich sonst auf der Abgabeseite?
Es sind ein paar Anfragen eingegangen. Neben dem Club muss sich aber auch der Spieler damit beschäftigen und eine Entscheidung treffen.
Wie gehen Sie damit um?
Wir schicken niemanden weg, solange er sich korrekt verhält und alles reinwirft. Bei Steffen und mir wird es keine Trainingsgruppe zwei geben. Was wir den Spielern allerdings klar mitteilen, ist, wie es um ihre Chancen auf Einsatzzeit steht.
Im Sommer 2023 laufen 14 Verträge aus. Welche Chancen liegen darin für den FC und gibt es Spieler, mit denen Sie verlängern wollen?
Die Priorität lag und liegt zunächst auf dem aktuellen Transferfenster, ab Herbst beschäftigen wir uns dann mit den auslaufenden Verträgen. Der Sommer 2023 bietet aus finanzwirtschaftlicher Sicht aber die Chance, den Sanierungsfall 1. FC Köln zu drehen. Ein Grund ist, dass wir ab 2023 keine Sponsoringerlöse mehr verfrühstückt haben, nachdem wir aus 2022/23 elf Millionen Euro in die abgelaufene Saison 2021/22 stecken mussten. Und der Kader bietet die große Chance, das Gehaltsgefüge stimmig zu gestalten.
Einige der Verträge, die 2023 auslaufen, sind nicht mehr zeitgemäß, weil sie dem aktuellen Leistungsniveau des 1. FC Köln nicht mehr entsprechen. Das heißt aber nicht zwingend, dass ein Spieler nicht da bleibt. Die Frage ist: Gibt es einen anderen Club, der dem jeweiligen Spieler sein aktuelles Vergütungsniveau anbietet. Da müssen wir dann offen drüber sprechen. Viele unserer Spieler wissen die Atmosphäre beim FC, die nahbar und familiär ist, sehr zu schätzen. Am Ende ist es doch das höchste Gut, wenn man sagen kann, dass man jeden Morgen gerne zur Arbeit geht.
Dann frage ich Sie mal zum Abschluss. Gehen Sie beim FC gerne zu Arbeit?
Bis dato kann ich mich nicht beklagen.