Köln – Corona-Sommer 2020 in Köln. Markus Gisdol nutzt einen der wenigen Momente, in denen er die Zeit hat, tun und lassen zu können, was er möchte. Der Trainer des 1. FC Köln sitzt in der Stadt und genießt einen Kaffee, als er ein bekanntes Gesicht vor sich sieht. „Hallo Max, wie geht’s?“ „Alles klar soweit.“ „Was hast Du eigentlich als nächstes vor?“, fragt Gisdol weiter. „Weiß ich noch nicht genau. Sie können sich ja mal melden“, antwortet Max Kruse und verabschiedet sich wieder. Nur ein kurzes, zufälliges Treffen, das sich so oder so ähnlich abgespielt hat. Aber auch eine Begegnung, die Gisdols Fantasie nährt. Es spricht doch vieles dafür, dass jemand wie Max Kruse perfekt zu einem Club wie dem 1. FC Köln passt. Ein Spieler mit dem gewissen Extra für den „spürbar anderen“ FC.
Gisdol setzte große Stücke auf Max Kruse
Der 1. FC Köln hat sich im Sommer tatsächlich mit der Personalie Max Kruse beschäftigt. Leihspieler Mark Uth, der die Geißböcke in der Rückrunde der Bundesliga-Saison 2019 mit seiner individuellen Klasse auf der Position zehn bereichert hatte, musste zurück zum FC Schalke 04. Die Gelsenkirchener blockierten alle Bemühungen des FC, Uth weiter zu verpflichten. Kölns Sportchef Horst Heldt musste nach einer Alternative Ausschau halten und Kruse war auf dem Markt. Der 32-Jährige hatte bereits im März seinen bis 2022 laufenden Dreijahresvertrag bei Fenerbahce Istanbul aufgelöst.
Ausstehende Gehaltszahlungen standen im Raum, Spieler und Club reichten Klagen sein. „Max Kruse ist ein klasse Spieler, der bei jeder Mannschaft den Unterschied machen kann“, lobt Markus Gisdol den 14-fachen Nationalspieler. 77 Tore und 73 Vorlagen in 257 Bundesligaspielen für Bremen, Wolfsburg, Freiburg und Mönchengladbach belegen diese These. Der FC-Trainer kann sich also lebhaft vorstellen, wie ein Max Kruse sein Team auf ein anderes Level heben würde. Die Unruhe, die ein solch unangepasster Spieler immer mitbringt, hätte Gisdol wohl gerne in Kauf genommen.
Kölner scheuten letztendlich das Risiko
Die ungeklärte Vertragssituation zwischen Kruse und dem türkischen Topclub verhinderte letztlich aber, dass es zu konkreten Verhandlungen zwischen FC und dem Spieler kam. Nach den Erfahrungen bei der Rückkehr von Anthony Modeste aus China und dessen fehlender Spielberechtigung scheuten die Kölner das Risiko, in eine vergleichbare Situation zu geraten.
Ob die Geißböcke erfolgreich um Kruse hätten werben können, bleibt Spekulation. Dem gebürtigen Reinbeker lag nämlich eine Reihe von Angeboten vor. Auf das große Geld war er dabei nicht aus. Sein Ex- und Heimatclub Werder Bremen etwa wollte ihn zurück. Kruses Heimkehr sollte die Schmerzen lindern, die der Fast-Abstieg nach seinem Abgang 2019 vergangene Saison verursacht hatte. Ohne den zentralen Akteur war die spielerische Not an der Weser groß gewesen.
Der "Zocker" zog nach Berlin
Kruse hatte aber andere Vorstellungen, als die alte Leier zu spielen: „Ich brauche einen neuen Input, etwas Außergewöhnliches. Ich hatte einfach Bock auf dieses Projekt“, erklärte er seine Entscheidung. Das unbeugsame Union Berlin zog das große Los mit automatischem Risiko. Eine Verbindung, die auf den ersten Blick sofort passt – wahrscheinlich sogar besser als Kruse zum FC.
Der „Zocker“, der immer für Skandale gut ist, die ihm und seinem Spiel am Ende nichts anhaben können, macht bei den „Eisernen“ schon nach sieben Spieltagen den Unterschied. „Lass die Leute quatschen, denen zeige ich es auf dem Platz“, lautet sein Leitspruch. Dank Kruse und einem veränderten Spielsystem steht Union auf Rang vier. Drei Tore und fünf Vorlagen hat die „schwimmende Neuneinhalb“ schon beigetragen. Von Spiel zu Spiel wird der Mann hinter den Spitzen wichtiger für die Köpenicker. „Gib ihm den Ball und du weißt: Bei ihm kommt immer etwas Gutes heraus. Er verbessert das Spiel“, beschreibt Union-Legende Torsten Mattuschka den Star.
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Unberechenbar ist Kruse, neben auf dem Platz. Er hat stets das ganze Spiel im Blick, trägt den Kopf immer oben. Jüngst beim 5:0 gegen Bielefeld hat er den Rekord des Bochumers Hans-Joachim Abel eingestellt: 16 Mal stand er am Elfmeterpunkt, 16 Mal hat er verwandelt. Ein Typ, der in keinem NLZ war, nicht aus dem Lehrbuch spielt, einen 450-PS Maserati in Tarnfarben fuhr und ein begnadeter Pokerspieler ist. Ein Typ, der auffällt in der Masse weichgespülter Profis und den der deutsche Fußball nötiger denn je hat. Am Sonntag (18 Uhr, Rheinenergiestadion) trifft Markus Gisdol Max Kruse wieder. Zu seinem Leidwesen aber als Gegner im Trikot von Union Berlin.