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THW-Präsidentin Sabine Lackner im Interview"Die Erzählungen der Flut-Betroffenen haben mich sehr bewegt"

Lesezeit 8 Minuten
Präsidentin des THW, Sabine Lackner.

Seit dem 1. Juli neue Präsidentin des Technischen Hilfswerks (THW), Sabine Lackner.

Über ihre neue Aufgabe und ihre Erlebnisse während der Flutkatastrophe im Ahrtal und in der Eifel sprach Sabine Lackner mit Dierk Himstedt.

Frau Lackner, Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt.

Vielen Dank.

Wie haben Sie Ihren ersten Tag erlebt?

Alles zum Thema Technisches Hilfswerk

Das war sehr schön. Ich war eingeladen in Ummendorf in Baden-Württemberg zu unserer „Blauen Matinee“, ein Fest für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, an dem auch Innenministerin Nancy Faeser teilnahm. So habe ich in einem schönen Rahmen von Frau Faeser meine Ernennungsurkunde überreicht bekommen.

Sie sind die erste Frau, die dieses Amt beim THW innehat. Ihre Anmerkung dazu.

Für mich ist dieses Gefühl, die erste Frau zu sein, nicht neu. Das war bei den anderen Aufgaben beim THW auch schon so. Daher habe ich mir über Bedeutung und Reaktionen eigentlich keine Gedanken gemacht.

Ich möchte mit Ihnen zunächst über die Flutkatastrophe in unserem Lesergebiet vor genau zwei Jahren sprechen. Wo waren Sie am Abend des 14. Julis 2021 und wie hat Sie die Nachricht erreicht?

Ich war im Urlaub in Südfrankreich und habe von der Katastrophe in den Abendnachrichten im französischen Fernsehen erfahren. Danach habe ich zu meinem Mann gesagt: Lass uns packen! Das ist einer dieser Momente – ähnlich wie bei 9/11 –, da wird man immer wissen, wo man war.

Zurück in Bonn. Was waren die ersten Eindrücke von der Katastrophe vor Ort?

Ich bin gleich am ersten Tag im Ahrtal gewesen, habe die Helferinnen und Helfer im Ortsverband Ahrweiler besucht. Was die erzählt und erlebt haben, hat mich sehr bewegt. Die waren ja im Grunde fast alle selbst betroffen, weil der Standort des Ortsverbandes abgesoffen war und die Geräte nicht einsatzfähig waren. Sieben Einsatzkräfte in dem Ortsverband hatten durch das Wasser alles verloren. Trotzdem wollten sie weitermachen und bei den Hilfseinsätzen dabei sein. Unser psychologisches Betreuungsteam war selbstverständlich vor Ort und stand vor allem den hart Getroffenen zur Seite.

Die Standorte Prüm und Ahrweiler wurden überflutet. Waren Sie in den ersten Stunden überhaupt einsatzfähig?

Da hat das Netzwerkkonzept des THW gegriffen: Umliegende Ortsverbände haben Einsatzfahrzeuge schnell zur Verfügung gestellt. Und da alle ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die gleichen Fahrzeuge und Maschinen bedienen können, funktioniert dann eine solche Übergabe reibungslos. Mit zusätzlichen Teams aus dem ganzen Bundesgebiet wurden dann Schichtwechsel organisiert. Weil ja anfangs auch die Navis ausfielen, haben wir immer auch ortskundige Helferinnen und Helfer in den jeweiligen Teams eingesetzt, um mögliche Irrfahrten zu vermeiden.

Wie bewerten Sie die ersten Hilfseinsätze heute rückblickend?

Zu Beginn, nach so einer großen Katastrophe, ist sehr viel Chaos. Im Mittelpunkt stand zuerst, Menschen aus den Wassermaßen zu retten. Wir waren dann in der nächsten Phase an vielen Stellen parallel mit unserer technischen Ausstattung im Einsatz. Ich erinnere mich an die Fähre „THW-Ahrida“, mit der wir Lebensmittel, Getränke und kleinere Hilfsgegenstände von einer zu anderen Uferseite transportieren konnten. Es gab dort auch eine Stelle, die ich besucht habe, wo die Kolleginnen und Kollegen sich mal hinsetzen konnten, um sich auszuruhen, etwas Wasser zu trinken oder sich zu verpflegen. Da fingen viele einfach an zu reden und mussten loswerden, was sie gerade erlebt hatten. Ganz großartig fand ich, dass viele Bürgerinnen und Bürger spontan mit angepackt hatten.

Wie wichtig waren diese Bürgerhilfen?

Für die betroffenen Menschen sehr wichtig. Die Spontanhelfenden haben die Arbeiten übernommen wie Schlamm aus den Kellern holen oder kaputte Möbel raustragen, für die das THW bei so einer Katastrophe gar nicht die Leute hat. Unsere fachlichen Kernaufgaben liegen ja ganz woanders: zum Beispiel in der Wasseraufbereitung oder wie in Sinzig die Kläranlage wieder in Betrieb zu bekommen. Wir haben im Ahrtal über 30 Brücken errichtet – Fußgängerbrücken, aber auch belastbare für Verkehr und Gütertransporte. Es gab sehr viele Superlative für das THW, die ich mit diesem Einsatz im Sommer und Herbst 2021 verbinde: 2,7 Millionen Einsatzstunden, rund 17000 Einsatzkräfte – zum Teil bis zu sechsmal von ihren Arbeitgebern freigestellt. Da ist man eben auch auf das große Verständnis bei den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern angewiesen. Das hat dankenswerterweise funktioniert.

Wie wurde die große Aufgabe der Logistik bei der Flutkatastrophe gemeistert?

Am Nürburgring wurde ein großer sogenannter Bereitstellungsraum aufgebaut für alle Einsatzkräfte –auch für die Bundeswehr und weitere Organisationen. Da waren in der Spitze rund 5000 Menschen untergebracht. Im Grunde war das ein Hotelbetrieb mit Reinigung, Verpflegung etc. Es gab eine große Werkstatt, wo Geräte repariert wurden.

Was war die größte Herausforderung für das THW?

Sicher das Ausmaß der Katastrophe. In der ersten Chaosphase eines solch verheerenden Ereignisses ist die Koordination, wo welches Gerät gebraucht wird, die größte Herausforderung. Wir wussten ja zu Beginn von manchen Orten gar nicht, dass sie in Not waren, weil es keine Handy-Kommunikation gab. Bis das alles lief und wir einen ersten guten Überblick über die Lage hatten, war das eine Riesenaufgabe. Geholfen haben uns da auch unsere Satelliten-Telefone aus Altbeständen und unser THW-eigener Messengerdienst, der auch bei überlasteten Netzen oft noch funktionierte.

Muss man eigentlich so ehrlich sein, dass es Katastrophen gibt, die man gar nicht zufriedenstellend bewältigen kann?

Das gilt sicher für die bereits erwähnte Chaosphase. Jeder Einsatz ist anders. Und die Aufgabe ist, diese Phase so kurz wie möglich zu gestalten.

Was hat das THW aus dieser großen Katastrophe gelernt?

Wenn wir es wieder mit einer solchen Größenordnung wie im Sommer 2021 zu tun haben, wollen wir dem jeweiligen Krisenstab vorschlagen: Teilt uns einen Einsatzabschnitt zu, den wir dann mit unseren Kräften in Eigenregie bewältigen und danach über den Einsatzstand informieren. Das heißt, in Ausnahmefällen wie der Flutkatastrophe von 2021 weichen wir dann ab von der herkömmlichen Struktur, sprich jeweils in Absprache mit den einzelnen Behörden der Gefahrenabwehr zu agieren.

Sie haben bereits geäußert, dass Sie für zukünftige Einsätze auch verstärkt neue Technologien einsetzen und weiter fördern wollen. Können Sie uns das näher erläutern?

Wir haben ja bereits Drohnen oder wie wir sagen „unbemannte Luftfahrtsyystem (ULF) im Einsatz. Das verschafft uns einen besseren Lageüberblick über die Schadensgebiete. Im Bereich Robotik sind wir mit Forschungsvorhaben unterwegs. Beispiel: Wenn wir in ein Erdbebengebiet reingehen, in dem noch Nachbeben zu erwarten sind, und das zu Beginn mit Hilfe von Robotern bewerkstelligen können, schützt das unsere Helferinnen und Helfer. Die KI hilft uns, die Ergebnisse der Messungen viel schneller auszuwerten. Aber wir sind da noch am Anfang. Alles dient dazu, die Arbeit unserer Helferinnen und Helfer sicherer zu machen und ihnen eine bessere Lagebestimmung für ihre Arbeit zu geben. Sich für neue Technologien einzusetzen, das ist die DNA des THW. Dennoch werde ich da einen besonderen Schwerpunkt meiner Arbeit setzen.

Gibt es da eine enge Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, die ja ähnliche Technologien im Auge hat oder schon einsetzt?

Wir kooperieren immer eng mit der Bundeswehr und tauschen uns aus – allein schon, weil man häufiger im Katastropheneinsatz zusammen arbeitet. Aber wir haben je nach Einsatzgebiet andere Technologien als die Bundeswehr im Blick, die sich auch in unserem Budgetrahmen bewegen.

Es gibt ja verschiedene Facharbeitsgemeinschaften, die sich mit unterschiedlichen Themen und Technologien beschäftigen. Können Sie diese an einem Beispiel näher erläutern?

Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mit diesen Themen häufig auch beruflich zu tun. Sie bringen ihr Wissen dann in diesen Arbeitsgruppen ein. Dort werden neue Ideen entwickelt für unsere Arbeit. Zum Beispiel unser Virtual Operation Support Team (VOST) beschäftigt sich mit Social Media-Themen, also sucht nach Leuten im Internet, die den Einsatzkräften das Leben schwer machen mit ihren Aussagen oder bewussten Falschmeldungen, die sie verbreiten. Da sind wir auch seit Längerem schon im Austausch mit den Sicherheitsbehörden.

Das heißt, THW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter müssen mit Übergriffen bei ihren Einsätzen regelmäßig rechnen?

Das ist leider seit einigen Jahren schon so. Unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer werden beworfen, tätlich angegangen, verbal beschimpft, bekommen anonyme Anzeigen oder unangenehme Briefe. Daher raten wir jetzt auch hin und wieder, bei Einsätzen die Namensschilder abzunehmen und anonym zu bleiben. Zum Glück ist das aber nicht die Regel.

Eine traurige Entwicklung. Zum Abschluss möchte ich Sie fragen, wo Sie für Ihre kommenden Aufgaben als THW-Präsidentin Ihre Stärken sehen?

Ich denke, dass Kommunikation meine Stärke ist, auf Menschen zuzugehen und zuzuhören. Die Menschen ernst zu nehmen und auch wenn ich die Antwort nicht direkt weiß, ihnen zu sagen, dass ich mich darum kümmern und melden werde. Ich werde zudem einen regelmäßigen Online-Chat einrichten, in dem ich mich mit Helfenden und Mitarbeitenden austausche werde, wo ich Fragen beantworten und Probleme aufnehmen kann. Das interne Videoformat meines Vorgängers Gerd Friedsam werde ich nicht weiterführen. So gut das von meinem Vorgänger gemacht war, ich möchte das nicht kopieren, sondern eigene Ideen einbringen.


Daten zur Person und dem THW

Sabine Lackner (56), ist geboren in Iserlohn, Wohnsitz in Bonn, verheiratet, keine Kinder und seit 22 Jahren beim THW. Studium in Sprachen und internationalem Recht. Zunächst viele Jahre in Auslandseinsätzen des THW tätig, übernahm sie 2014 interimsmäßig den Posten der Landesbeauftragten für Sachsen und Thüringen und wechselte 2016 dann als neue Landesbeauftragte für den Landesverband Bremen/Niedersachsen nach Hannover. Im April 2020 wurde sie Vizepräsidentin des THW an der Seite von Gerd Friedsam, den sie am 1. Juli 2023 als Präsidentin ablöste.

Das Technische Hilfswerk (THW) ist eine nichtselbstständige obere Bundesbehörde im Bereich des Bundesministeriums des Innern und für Heimat. Das THW steht als Einsatzorganisation des Bundes im Bevölkerungsschutz und im Katastrophenschutz der Bevölkerung in Deutschland und auch weltweit bei Katastrophen und Unglücken zur Seite.