Schulumzüge nach der FlutBei Eltern sitzen Schock und Verzweiflung tief
Lesezeit 4 Minuten
Leverkusen – Wäre Corona nicht gewesen – die meisten Schüler hätten es wohl als ein kleines Abenteuer gesehen, für ein halbes bis ganzes Jahr in eine andere Schule zu fahren. So aber sitzen Schock und Verzweiflung bei Betroffenen der drei vom Hochwasser geschädigten Schulen tief.
79 Tage Distanzunterricht
„Meine Tochter weiß überhaupt nicht, wie Schule funktioniert“, sagt Britta Rosinski-Bleeke. Ihre Tochter kommt nach den Ferien in die zweite Klasse der KGS Remigiusschule, die zumindest für ein halbes Jahr an die Gesamtschule Schlebusch verlegt wird. 79 Distanzunterrichtstage gab es im vergangenen Schuljahr, jene im Wechselunterricht noch nicht einmal mitgerechnet. Und nun muss ihre Siebenjährige in eine komplett fremde Umgebung, bevor sie ihre Schule überhaupt richtig kennengelernt hat. Sorge macht der Mutter neben der Transportfrage die Situation an der Gesamtschule. „Da sind ja vor allem Jugendliche, ich mache mir Sorgen, wie das auf dem Pausenhof abläuft“, sagt die Mutter. „Mir geht es nicht gut damit.“
„Warum Rheindorf?“ ist der Kommentar, den man von Eltern am Schlebuscher Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hört. Mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler müssen dann zehn Kilometer durch den Berufsverkehr zur Elbestraße. „Die Eltern wünschen sich vor allem mehr Informationen darüber, wie schwer die Schäden wirklich sind und wie das ganze organisatorisch ablaufen soll“, sagt Silke Ratte, die in der Schulpflegschaft aktiv ist.
Bislang haben sie nur Informationen aus der Presse. Dass die Stadt an Bustransporten arbeitet, findet Ratte gut. Für viele Eltern ist das in Zeiten von Corona für ungeimpfte Kinder aber keine Lösung. Also werden sie die Fahrt irgendwie selbst organisieren, eine Aufgabe, die einer Mutter von drei Kindern nach eineinhalb Jahren zwischen Heim- und Wechselunterricht die Tränen in die Augen treibt. „Ich bin traurig für meine Kinder und für unser Familienleben, das einfach nicht zur Ruhe kommt. Wir rennen von einem Orga-Stress in den nächsten.“ Natürlich kann niemand etwas für die Naturkatastrophe. Aber gibt es wirklich keine näherliegende Lösung?
Nein, versichert Carolin Maus, Leiterin des Fachbereichs Schulen. „Wir haben abgewogen, was es unbedingt braucht und das ist ein umbauter Raum, der groß genug ist für alle. Und der auch die zwingend notwendigen Fachräume bietet.“ Sie habe sämtliche in Frage kommenden Gebäude durchforstet. „Wir sind hier in einer absoluten Katastrophensituation. Aber wir haben eine qualitativ gute Lösung gefunden.“ Sie habe Verständnis für die Sorgen der Eltern. Aber dafür, dass hier regulärer Unterricht stattfinden kann, müsse nun eben der Fahrtweg in Kauf genommen werden. „Es handelt sich um sieben Wochen bis zu den Herbstferien und dann noch mal ein paar bis Weihnachten“, sagt Maus.
Tatsächlich ist bei der Notlösung viel Fahrerei im Spiel: Während die Schlebuscher zehn Kilometer nach Rheindorf fahren, fährt die Opladener Theodor-Heuss-Realschule acht Kilometer nach Steinbüchel.
Container sind frei
Zur Elbestraße hätten sie nur fünf Kilometer gehabt – eine Strecke, die gerade ältere Schüler gut mit dem Fahrrad hätten bewältigen können. Auch für die Grundschüler der KGS Remigiusschule sind die sechs Kilometer von Opladen an die Gesamtschule Schlebusch kaum mit dem Rad zu überwinden, zumal im dunklen Winter. Die Freiherr-Schülerinnen hätten es dagegen gut an beide andere Ausweichstandorte schaffen können. Der neue Trakt, den die Gesamtschule Schlebusch den Flut-Flüchtlingen zur Verfügung stellt, hat zehn Klassenzimmer. Da passen schon die 18 Klassen der Grundschule nicht komplett rein, die 40 Klassen des Freiherr-vom-Stein aber schon gar nicht, von den fehlenden Fachräumen ganz abgesehen. Die Lösung wäre nahe liegender, aber sie passt nicht.
Der Gesamtschule waren zum Ausgleich die Containerbauten im Bühl zugesprochen worden, Schulleiter Bruno Bermes hat aber dankend abgewunken. Er will das Platzproblem am Standort lösen. Nun könnte das Freiherr-vom-Stein über diese verfügen. Auch die Container auf dem eigenen Schulgelände scheinen weiterhin nutzbar und würden zumindest für einige Klassen reichen.
Und über allem schwebt Corona. Während ein Teil der Eltern froh ist, dass eine schnelle Lösung für Präsenzunterricht gefunden wurde, sagen die anderen: „Lieber Homeschooling, als Rheindorf.“ Britta Rosinski-Bleeke ist unentschlossen: „Wenn ich wählen könnte, würde ich wohl eher das Homeschooling nehmen. Aber das bringt uns auch an unsere Grenzen.“ Sie wünscht sich nur, dass ihre Tochter irgendwann lernt, was ein normaler Schulalltag ist.