AboAbonnieren

Vor 30 JahrenSilke Bischoff stirbt beim Geiseldrama von Gladbeck

Lesezeit 6 Minuten

Das Geiseldrama von Gladbeck 

Vor 30 Jahren wurden die Geiselnehmer von Gladbeck auf der Autobahn 3 gestellt, die Geisel Silke Bischoff starb durch eine Kugel. Fünf Mitarbeiter der Rhein-Sieg-Redaktion erinnern sich an den 18. August 1988

In Sichtweite

Es war die Zeit, als es noch keine Smartphones als Massenkommunikationsmittel gab. Und Tageszeitungen bestimmten Trends. Deshalb beschlossen die Geiselgangster, nach Köln zu fahren. Dort waren „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Express“ im Pressehaus an der Breite Straße, benachbart der WDR und leicht entfernt die „Kölnische Rundschau“. So konnten sie sichergehen, dass deutschlandweit über sie berichtet würde.

Stefan Villinger.

Ich war damals Nachrichtenredakteur beim „Express“. Man kannte sich in der Szene – dazu gehörten auch die Einsatzkräfte des SEK. Die traf man nach Feierabend im Kölner Treff in der Altstadt bei Wirt Hans und später bei Eugen. Am Tag der Entführung hatte ich Dienst. In der Redaktion war es hektisch, das Auto mit den Geiselgangstern parkte in Sichtweite. Viele Kollegen gingen dorthin, um zu schauen. Ein Fotograf hatte sogar seine Klappleiter mitgebracht, um aus der Höhe bessere Aufnahmen machen zu können. Es war erschütternd, zu sehen, wie Dieter Degowski seine Pistole an den Kopf der jungen Geisel hielt. Das Auto war umringt von Menschen.

Viele davon waren mir bekannt: Die Polizisten des SEK hatten sich als Zivilisten getarnt und in bester Schussposition ums Auto postiert. Für mich war klar, dass bald ein Zugriff stattfinden würde. Alles andere erschien unlogisch. Deshalb habe ich den Ort schnell verlassen.Stefan Villinger

Silke Bischoff ging zurück zum Auto. Bald darauf erfolgte der Zugriff auf der Autobahn.

Alle Türen verschlossen

Radios liefen ohne Unterbrechung, und auch der Flurfunk funktionierte. Als sich die Geiselnehmer von Gladbeck in der Kölner Ladenstadt mitten in der City festgefahren hatten und eine improvisierte Pressekonferenz gaben, war jeder betroffen, hätte die seit Tagen schon andauernde Horrorfahrt jedem gefährlich nahe kommen können.

Reinhard Bernardini.

Beim Genossenschaftsverband Rheinland in der Severinstraße, wo ich seinerzeit als Pressereferent arbeitete, agierte der Vorstand mit Weitblick. Als sich der Wagen mit Geiselnehmern und Geiseln wieder in Bewegung setzte, schien alles möglich, jede Straße auf der Fahrt raus aus der Innenstadt eine reale Option, auch die Severinstraße. Vom Vorstand kam deshalb die Direktive, alle Außentüren des Bürogebäudes und auch die Zufahrt zum Parkplatz der Mitarbeiter und Gäste auf der Rückseite zu schließen. Entwarnung wurde erst gegeben, als der Wagen den Weg auf die A3 gefunden hatte und in Richtung Siebengebirge davonfuhr. Zumindest für uns war die Gefahr damit gebannt.Reinhard Bernardini

Blick aus der Ferne

Die Geiselnehmer fuhren von Köln auf die A 3 – ich meine mich zu erinnern, dass sie eigentlich zur nächstgelegenen Autobahn-Tankstelle wollten, was allerdings Schloss Röttgen (A 59) gewesen wäre – in Richtung Süden, da schrillten in der Siegburger Lokalredaktion die Alarmglocken. Der Redaktionsleiter schickte alle seine Mannen los, auch die Praktikanten.

Klaus Heuschötter.

Ich fuhr mit einem von ihnen los und auf der A 3 schnell in den Stau, der sich nach der Sperrung der Autobahn dort gebildet hatte. Wir stiegen aus und konnten unter der Brücke am Logebach-Parkplatz, wo sich schon etliche Journalisten mit Film- und Fotokameras mit Riesenobjektiven versammelt hatten, aus der Ferne auf die Stelle des Polizeizugriffs blicken, der bei unserem Eintreffen allerdings längst vorbei war. Ein Mann, der auch ausgestiegen war, schimpfte auf die Medien.Klaus Heuschötter

„Ducken, ducken“

Linde und Gedenkstätte erinnern an das Todesopfer

Die Gedenkstätte für Silke Bischoff.

Bis zum Bau der ICE-Trasse durch das Siebengebirge erinnerte ein schlichtes Holzkreuz am Kilometer 38,0 der Autobahn 3 in Richtung Frankfurt in Höhe Aegidienberg an Silke Bischoff, die an dieser Stelle von dem Geiselgangster Hans-Jürgen Rösner erschossen wurde. Manche Autofahrer hielten sogar auf dem Seitenstreifen an, um Blumen niederzulegen.

Das Kreuz wurde 2002 entfernt, als die ICE-Strecke gebaut wurde. Der Landesbetrieb Straßenbau in Bonn pflanzte an der Stelle, direkt neben der Lärmschutzmauer, eine von der Autobahn gut sichtbare Linde. Neben der nahe gelegenen Autobahnbrücke wurde eine Gedenktafel an der Lärmschutzmauer der A3 angebracht. Seit August 2009 befindet sich neben der Linde eine durch einen Privatmann aus Bayern initiierte Gedenkstätte auf der Wiese; zu ihr führt ein abgemähter Pfad von der Kochenbacher Straße aus.

Die Skulptur aus Stahl schuf der Bildhauer Franz Hämmerle aus Windach, Silke Bischoffs Mutter Karin kam zur Einweihung. Die Stele, die sich nach oben teilt – in zwei Flügel oder zwei nach oben ausgestreckte Arme – hat 62 Einschusslöcher: Genauso viele wies der Fluchtwagen der Geiselnehmer nach dem Zugriff des Kölner SEK auf. (seb)

An der Raststätte Siegburg-West war kaum etwas anders als an anderen Tagen: Familien auf dem Weg in den Urlaub holten sich Erfrischungen, gingen zur Toilette, betankten ihre Autos. Wären da nicht Jürgen Rösner und Dieter Degowski mit ihren beiden Geiseln gewesen, die ebenfalls einen Zwischenstopp dort einlegten auf ihrer Flucht über die A 3. Die hatten ihre Knarren dabei, sonst war es aber ruhig.

Kein Geschrei, keine roten Köpfe, keine Polizei, keine Gaffer. Über die Seehofstraße hatte ich rechtzeitig mit dem stellvertretenden Redaktionsleiter und einem Praktikanten die Raststätte erreicht – wie auch ein anderer Foto-Journalist.

Natürlich bemerkten wir, dass irgendwann auf der A3 kein Verkehr mehr unterwegs war, vor der Raststätte war eine Sperre errichtet worden. Das konnte auch den Geiselnehmern nicht verborgen geblieben sein, die wieder aufbrachen in Richtung Süden. Wir folgten ihnen mit gehörigem Sicherheitsabstand.

Durch einen Buckel auf der Autobahn war für uns die Lage kurz unübersichtlich geworden. Rösner und Degowski, so sah ich Sekunden später, hatten auf dem Randstreifen angehalten. Drei oder vier schwere Limousinen überholten uns, wir mussten rechts parken. Der Zugriff erfolgte, als die Geiselnehmer gerade wieder losfahren wollten.

Ihr Fahrzeug wurde gerammt, es gab eine Schießerei, Rauch stieg auf. „Ducken, ducken“, rief mein Kollege. Wir verschanzten uns hinter den Autotüren meines Opel Kadetts. Hubschrauber kreisten über dem Areal, Krankenwagen rasten herbei.

Klaus Mischka.

Die nahe Autobahnüberführung zwischen Hövel und Efferoth (Stadt Bad Honnef) war von Schaulustigen und Journalisten in Besitz genommen worden. Ich blieb noch eine Weile aufgekratzt, holte dann alle Sinne zusammen.

Es war ein heißer Tag. 30 Grad zeigte anderthalb Stunden später in der Dunkelkammer der Entwickler für die Fotos an. Und ich habe mich gefragt, ob ich alles richtig gemacht habe.Klaus Mischka

Allein vor dem Krankenhaus

Als klar wurde, dass die Geiselgangster von Köln auf der A 3 Richtung Frankfurt fuhren, teilte der Redaktionsleiter für alle Eventualitäten seine Mitarbeiter ein. Ich sollte vor dem Siegburger Krankenhaus Position beziehen, falls auf dem Rhein-Sieg-Abschnitt der Autobahn etwas passieren und es Verletzte geben sollte. Dass tatsächlich am Siebengebirge der finale Zugriff erfolgte, konnte niemand ahnen.

Vor dem Zugriff hielten die Täter mit ihren Geiseln an der Raststätte Siegburg-West. Bald darauf erfolgte der Zugriff auf der Autobahn.

Und so stand ich in der Nähe der Ambulanz-Zufahrt an der Humperdinckstraße in der brütenden Mittagshitze und wartete und wartete. Nichts tat sich. Ohne jede Nachricht vom Geschehen war ich auf mich allein gestellt. Hatten die Gangster das Kreisgebiet längst verlassen? Und ich stand hier noch herum. Schließlich ging ich aus Pflichtbewusstsein zurück zur Redaktion.

Markus Caris.

Es musste ja auch die Zeitung für den nächsten Tag gemacht werden. Erst in der Redaktion erfuhr ich, dass der Zugriff erfolgt und misslungen war. Genau zu dem Zeitpunkt, als ich nicht mehr vor dem Krankenhaus stand, musste Rösner in Siegburg eingeliefert worden sein.

Diesen Teil des Dramas hatte ich also verpasst. Obwohl man als Journalist immer dabei sein will, haderte ich in diesem Fall nicht damit. Meine Gedanken und meine Trauer galten der zuvor erschossenen Geisel Silke Bischoff.Markus Caris