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100. Geburtstag Heinrich BöllWanderung auf dem Böllweg in Much

Lesezeit 4 Minuten

So verläuft die Wanderroute durch Heinrich Bölls Heimatstadt Much.

Much – Die Stimme von Heinrich Böll ertönt an der Weggabelung oberhalb von Berzbach. Jedenfalls dann, wenn der Wanderer die Kurbel bedient an dem kleinen Kasten, der dort angebracht ist, um den nötigen Strom zu erzeugen. Der Schriftsteller, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, erzählt dann vom Bauern Peters und der lebensrettenden Milch, die der Berzbacher den aus dem zerbombten Köln Geflüchteten regelmäßig zukommen ließ.

Bauer Peters versorgte die Bölls mit Milch.

Heinrich Böll spricht: „Hier muß des Bauern Johann Peters aus Berzbach bei Much gedacht werden, der uns nicht nur täglich um zwei wertlose Nazikriegsmark zwei Liter Milch gab, der auch (...) zwei deutsche Deserteure an seinem Ofen beherbergte.“

Acht gekennzeichnete Stationen

Die Kühe auf der nahen Wiese nehmen die Rede gelassen wiederkäuend hin. Noch heute wird in dem Mucher Dorf viel Milch erzeugt, mittlerweile in Bio-Qualität, wie das Schild auf dem großen Stall verheißt. Der gut ausgeschilderte Themenwanderweg führt derzeit durch blühende Landschaften, über die Höhen zwischen Marienfeld und dem Hauptort, durch sanfte Wiesentäler. Zwölf Kilometer misst die Runde. Acht Stationen, gekennzeichnet von A (Startpunkt am Fit-Hotel) bis H, bieten informative Tafeln zum Leben der Bölls in Much 1944 bis 1946, mit Fotos, Dokumenten und Texten. Nur an der Station B gibt es den Kurbelkasten.

Wer die Stimme Bölls hören möchte, muss an der Kurbel drehen.

Radfahrweg für Böll

Durchaus wäre auch ein Böll-Radwanderweg passend zu dem Thema gewesen, denn der Wehrmachtssoldat war in den letzten Kriegsjahren immer wieder mit Drahteseln unterwegs, um zu seiner Frau Annemarie nach Marienfeld oder nach Neßhoven zu kommen. So heißt der Böll-Text, in dem er all dies beschreibt und aus dem auf den Infotafeln häufig zitiert wird, auch „Brief an meine Söhne oder: Vier Fahrräder“ (zuerst erschienen in „Die Zeit“ am 15. März 1985).

Und dabei gab es damals keine Mountainbikes, die man heute bräuchte für die Tour. Damals hieß es „Zucker für Marienfeld“: 25 Pfund hatte der junge Heinrich Böll per Zufall in Birk ergattert Ende März 1945. „Wie die nach Marienfeld bringen, spät abends? Nun, ich war verrückt, das junge Mädchen lieh mir ihr Fahrrad, ich klemmte den Zuckersack auf den Gepäckträger und fuhr los.“ Über Nebenwege entfernte der Soldat Böll sich wieder einmal von der Truppe, um zu seiner Annemarie zu kommen.

Arzt als Namensgeber für Hauptstraße in Much

Er war oft in dieser Zeit in Gefahr, als Deserteur erwischt und erschossen zu werden. Er fälschte seine Urlaubsscheine und Krankheitsatteste, und der Mucher Arzt Dr. Wilhelm Wirtz verlängerte solche Fälschungen, so dass sie wieder legal wirkten – der Arzt tat damit selbst etwas Verbotenes. Dieser Lebensretter ist jener Dr. Wirtz, nach dem die Straße im Mucher Ortskern benannt ist.

Dort, im damaligen Sankt-Josef-Krankenhaus, wurde am 20. Juli 1945 das erste Kind der Bölls geboren, Christoph, der im Oktober bereits an Brechdurchfall starb und auf dem Marienfelder Friedhof begraben liegt. Marienfeld war der Zufluchtsort der in Köln ausgebombten Familie Böll im Herbst 1944. Vater und Geschwister waren bereits da, als Heinrich und Annemarie sich im November im Behelfsheim mit einquartierten. Es war damals das „Pfarrsälchen“, heute ist das Gebäude im Schwedenlook saniert, und eine Wandtafel erinnert an den Aufenthalt des später berühmten Mannes. Die Not war groß, außer Nahrung mangelte es im kalten Winter immer an Heizmaterial. Auf dem Dachboden lagerte die Kirchengemeinde die Holzpfähle für die Transparente der Fronleichnamsprozession, genannt „Seelenhirten“ – die Bölls Vater, Schreinermeister, für den Ofen fachgerecht zersägte.

Zuflucht am Homburger Bröltal

Im Dorf Marienfeld und weiter nach Neßhoven geht der Wanderweg hauptsächlich über Asphalt, der anstrengendste Teil der Tour. Im Straßendorf am Hang des Homburger Bröltals steht die nächste Zuflucht, das Fachwerkhaus, in dem damals die Bauernfamilie Franken Annemarie Böll aufgenommen hatte, während ihr Mann in amerikanische Gefangenschaft geraten war.

Dort sehen sie sich im Oktober 1945 wieder; wie üblich mit einem geliehenen Fahrrad kam Heinrich Böll wenige Tage, bevor das Kind starb. Das Fachwerkhaus ist heute ein schön renoviertes Denkmal, und auch hier gibt es an der Straße Texte und Bilder zu der abenteuerlichen Geschichte des Mannes, der nach dem glücklichen Überleben ein großer Schriftsteller werden sollte.

Heinrich Böll 1972 bei der Verleihung des Nobelpreises

Roman in Verbindung mit „40 Jahre RAF-Terror“

Und wie wirkt das Werk des Literaturnobelpreisträgers heute fort außer auf den schönen Tafeln im Mucher Land? Der Roman „Fürsorgliche Belagerung“ beispielsweise kann aktuell in Bezug gesetzt werden zu „40 Jahre RAF-Terror“ – und diese „Rezeptverlängerung“ wäre nicht mal geschwindelt.