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Vor Einbrufung verstecktWie das Kriegsende am 10. April 1945 nach Lohmar kam

Lesezeit 5 Minuten
Zwei betagte Männer stehen auf einer Anhöhe über einer Stadt. Der Ältere hält ein gerahmtes Dokument vor sich.

Am 10. April 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Lohmar Mit seinem Einberufungsbefehl in Händen der heute 95-jährige Ferdinand Eich in seinem Hausgarten am Hang über Lohmar, (links) Gerd Streichardt.

Ein Zeitzeuge erinnert sich an das Ende des Krieges.

Plötzlich kamen in der Poststraße ein SA-Mann und ein Wehrmachtsoffizier auf das Haus der Sägewerks-Familie Eich zu. Auf die Schnelle konnte sich der 15-jährige Ferdinand, der zum „Volkssturm“ einberufen war, nur zwischen der geöffneten Wohnzimmertür und der Wand verstecken.

Sein Vater geriet in lautstarken Streit mit den zwei Eindringlingen. Sie durchkämmten die obere Etage auf der Suche nach dem Jungen. Dieser flüchtete sich in den Keller und floh aus einem Kellerfenster.

In einem Buch kommen 56 Zeitzeugen aus Lohmar, Siegburg, Troisdorf und Seelscheid zu Wort

Als wäre es gestern gewesen, erzählt der heute 95-Jährige geistig und körperlich rüstige Ferdinand Eich in seinem Haus am Hang oberhalb Lohmar-Ort dem Reporter diese dramatische Situation kurz vor Kriegsende. Neben ihm sitzt Gerd Streichhardt (81). Der Ex-Vorsitzende des Heimatvereins Lohmar hat vor neun Jahren ein Buch zum Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht. Dazu hatte er 56 betagte Zeitzeugen vor allem aus Lohmar sowie aus Siegburg, Troisdorf und Seelscheid nach ihren Erinnerungen befragt.

Davon leben heute nur noch zwölf: ein stetes Problem der Zeitgeschichte, weil mit zunehmendem Abstand immer weniger Menschen von den damaligen Geschehnissen aus persönlichem Erleben berichten können.

15-Jähriger sollte sich nach der Einberufung in Much einfinden

Ferdinand Eich hatte zum 24. März 1945 den Einberufungsbefehl erhalten, heute würde man sagen als Kindersoldat. Er sollte sich an jenem Tag in der Mittelschule Much als „Gestellungsort“ einfinden. Ihm drohte der Tod an der Front oder die Erschießung als Deserteur. Wer sich weigerte, dem Befehl Folge zu leisten, lief nämlich Gefahr, von den Nazis erschossen zu werden.

Das Dokument hebt der Senior bis heute auf, gerahmt unter Glas. Fast drei Wochen versteckte sich der 15-Jährige mit zwei anderen Jungs in einem Erdloch im Wald über Lohmar, in steter Angst entdeckt zu werden.

Die Amerikaner haben mich von meinen schlimmen Ängsten befreit.
Ferdinand Eich, Zeitzeuge

Dann kamen am 10. April nachmittags US-Streitkräfte von dem zuvor eingenommenen Siegburg mit schweren Panzern über die Hauptstraße nach Lohmar. Ferdinand Eich hörte es im Wald und lief hinunter zur Hauptstraße, wo Lohmarer Bürger mit weißen Tüchern winkten. 80 Jahre nach diesem Ereignis sagt Eich in seinem Sessel im Wohnzimmer: „Die Amerikaner haben mich von meinen schlimmen Ängsten befreit.“

Zehn bis zwölf US-Panzer, so erinnern sich Zeitzeugen, rollten in Richtung Donrath, rechts und links davon Soldaten zu Fuß. Von diesem ersten Tag sind keine großen Kampfhandlungen überliefert. Ohnehin ist die Quellenlage dürftig, man kennt auch keine Fotos aus dieser Zeit in Lohmar – aus Siegburg allerdings schon.

Ein Schwarz-Weiß-Foto von Soldaten in einer Straße mit zerstörten Gebäuden, sie bedienen ein Maschinengewehr.

US-Soldaten nahmen am 9. April 1945 die Stadt Siegburg ein, hier in der Wilhelmstraße am Bahnhof, hinten das Hotel Felder mit dem Eckturm.

Am nächsten Tag änderte sich die Lage schlagartig. Von den Höhen über Lohmar schossen Deutsche ins Tal. „Die Amerikaner antworteten mit Brandbomben, sodass an diesem Tag der gesamte Wald links der Agger brannte“, so berichtete der inzwischen verstorben Willi Schwamborn, einst bekannt vom Jägerhof, dem Hotel am Rathaus, vor neun Jahren bei Streichardts Recherchen.

Ein Panzer sei an der Jabachbrücke abgeschossen worden, ungefähr in Höhe des heutigen Feuerwehrhauses, erzählte im selben Buch Josef Breuch, der damals 13 Jahre alt war und später als Werkzeugmacher bei Walterscheid arbeitete. Auch Breuch lebt heute nicht mehr. Streichardt, zum Kriegsende ein Jahr alt, hat noch „sechs bis acht Jahre später“ als Kind in einem auf dem Kopf liegenden Panzer gespielt, den niemand weggeräumt hatte.

An jenem 11. April wurden die verletzten Soldaten zunächst im Hof von Streichardts Oma Maria Rörig an der Hauptstraße nahe dem heutigen Stadthaus erstversorgt.

Ausgewanderte Lohmarerin dolmetschte zwischen Deutschen und Amerikanern

Noch schlimmer kam es in Höhe der heutigen Kreissparkasse, früher Villa Waldesruh gegenüber Villa Therese. Eine Granate traf einen US-Jeep. Vier Soldaten waren auf der Stelle tot. Schwamborn sagte: „Dass nicht noch mehr Unheil bei der Einnahme von Lohmar passierte, ist wahrscheinlich Lilo Ulrich zu verdanken.“ Die Lohmarerin war mit Familie in den 1920er Jahren nach Amerika ausgewandert und vor dem Krieg zurückgekehrt. Sie habe zwischen Lohmarern und Amerikanern gedolmetscht.

Es ist davon auszugehen, dass auch andere versuchten, ein gutes Klima zu den US-Soldaten herzustellen. Breuch berichtete von dem französischen Zwangsarbeiter Joseph Lecoux, eingesetzt in der Firma Fischer. Er lief mit ihm zu den US-Soldaten. Lecoux habe sich als Gefangener zu erkennen gegeben. Ein französisch sprechender GI habe ihn gefragt, wo man eine Kantine einrichten könne. Der Franzose empfahl die Firma Fischer.

Hungernde standen Schlange für Maisbrot

Der 1930 geborene und mittlerweile verstorbene Karl Weingarten erlebte den Beschuss Lohmars mit. Am 11. April 1945 stand er in einer hungrigen Menschenschlange vor der Bäckerei Halberg in der Hauptstraße. Es gab Maisbrot. Panzer und Soldaten hätten ebenfalls auf der Hauptstraße gestanden, zwischen Königsberger- und Raiffeisenstraße.

„Plötzlich gab es einen lauten Schlag.“ Die Amerikaner seien in ihre Panzer gesprungen, hätten sich unter andere Fahrzeuge oder in Hecken geflüchtet. Weingarten: „Nur die Menschen in der Schlange standen unberührt und warteten auf das ersehnte Brot. Abgestumpft von den zuvor wochenlangen Einschlägen in Lohmar regte sich keiner der Einwohner mehr auf.“

Auch Weingarten berichtete von den Toten im Jeep. Als 15-Jähriger arbeitete er damals bei einem Dachdecker. So war er auch mit Reparaturarbeiten am Dach der Villa Therese beauftragt. Er warf Reste von Ziegeln und Schutt nach unten. „Plötzlich hatte ich eine abgerissene menschliche Hand gepackt. Vermutlich war es die Hand eines beim Granatbeschuss getöteten Soldaten aus dem Jeep.“