Rhein-Sieg-Kreis – Der Paukenschlag kam mit Ansage: Seit Jahren hatte der Bund der Steuerzahler moniert, dass die Methode, mit der Kommunen die Höhe ihrer Abwassergebühren berechnen, fehlerhaft sei. Diese Auffassung hat das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt. Und das wird auch Folgen für Siegburg haben.
Vereinfacht ausgedrückt: Um die Höhe der Gebühren festzulegen, berechnen Kommunen, was sie in den folgenden Jahren in die Abwasserentsorgung investieren müssen, und setzen dafür einen Zins an. Die Höhe dieses Zinses ist die Grundlage für die Gebührenberechnung.
Damit lassen Kommunen sich die Rücklagen für Investitionen teilweise über die Abwassergebühren vom Bürger zahlen. Und diese Zinsen waren in dem Fall, in dem es vor Gericht ging, zu hoch.
Geklagt hatte ein Grundstücksbesitzer in Oer-Erkenschwick, da sein Abwasserbescheid für 2017 um annähernd 600 Euro zu hoch ausgefallen sei, und er bekam Recht. Doch das Urteil hat grundsätzliche Folgen: Es besagt, dass viele Kommunen den Bürgern zu hohe Abwassergebühren abgeknöpft haben.
Wer Widerspruch eingelegt hat, kann mit einer Rückzahlung rechnen. An Rhein und Sieg sind die Unterschiede von Kommune zu Kommune erheblich.
Siegburg muss mit erheblich geringeren Gebühren rechnen
4,5 Millionen bis sieben Millionen Euro weniger an Gebühren, wird die Kreisstadt kassieren, entsprechend müsse bei den Stadtbetrieben kalkuliert werden, wie der stellvertretende Vorstand Andreas Roth erläutert. Zum Vergleich: Jahr für Jahr überweist die Stadt an ihre Anstalt öffentlichen Rechts einen Zuschuss, der maximal 3,2 Millionen Euro betragen darf und 2021 auch in voller Höhe in Anspruch genommen wurde.
Geld zurück nur nach Klage
Eigentümer wie Mieter betroffen
Wer hat zu viel Abwassergebühren bezahlt?Betroffen sind Eigentümer ebenso wie Mieter, die die Kosten für Abwasser in der Regel über die Nebenkostenabrechnung bezahlen.
Was sind die Konsequenzen?„Für die meisten Betroffenen sieht es schlecht aus“, sagt Markus Gelderblom, Hauptgeschäftsführer von Haus & Grund Bonn/ Rhein-Sieg. Man hätte klagen müssen, nun aber haben die Bescheide der vergangenen Jahre wohl überwiegend Bestandskraft. „Wer nicht geklagt hat, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Geld zurück.“ Vielfach seien auch die Bescheide für das laufende Jahr schon bestandskräftig, so dass ein Widerspruch zu spät kommt. Obwohl, wie Gelderblom beklagt, „das OVG-Verfahren noch in der Schwebe war, die Kommunen dies wussten und die Widerspruchsverfahren im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung hätten aussetzen können“. (dk)
Augen auf bei Eigentumswechsel 2022
Muss der Kunde das hinnehmen?„Wahrscheinlich ist an der Rechtmäßigkeit des Handelns nicht zu zweifeln“, betont Gelderblom. Bürgerfreundlich sei das aber nicht, und vielleicht sollten die Kommunen darüber nachdenken, wenigstens die Bescheide für 2021 und 2022 zu korrigieren und in Zukunft solche Verfahren „ruhend“ zu stellen, wenn derartige Klagen anhängig seien.
Worauf ist beim Blick auf künftige Bescheide zu achten?Nach Einschätzung von Markus Gelderblom werden die Kommunen „auf der Basis der alten Rechtslage keine neuen Bescheide ausstellen“. Wenn ein Haus oder eine Wohnung während des Jahres neue Besitzer bekommen, könne ein genauer Blick aber sinnvoll sein.
Aktuell wird ein „noch nie dagewesener Jahresverlust in Höhe von rund fünf Millionen Euro“ prognostiziert, wie es in einer Vorlage für den Verwaltungsbeirat der Stadtbetriebe heißt, der am kommenden Montag zusammentritt. Dem Ältestenrat des Stadtrats habe man bereits Vorschläge zur Kompensation der fehlenden Einnahmen gemacht, so Roth.
Zahl der Widersprüche niedrig
In Siegburg wird mit einem kalkulatorischen Zins von 5,24 gerechnet, Roth betont, dabei habe man sich stets an der Zinsreihe der vergangenen 50 Jahre orientiert und sich bei der Kommunalagentur über den jeweiligen Satz informiert. In der Vorlage heißt es weiter: „Das OVG hält es bei einer einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen Durchschnitt ohne einen Zuschlag zugrunde zu legen.“
Bestandskräftige Gebührenbescheide aus den Vorjahren müssten aber nicht aufgehoben werden. Roth berichtet von gerade mal 21 Widersprüchen, so dass die Rückzahlungen wohl überschaubar blieben.
Windeck und Much kalkulieren anders
Keine Auswirkungen hat der Teil des Urteils, der sich mit Abschreibungen befasst, auf Kommunen, die sich an den ursprünglichen Herstellungs- statt an zukünftigen Wiederbeschaffungskosten orientierten. Das ist zum Beispiel in Windeck und Much der Fall.
Heike Hamann, im Rosbacher Rathaus für die Gemeindewerke zuständig, sieht aber auch bei der Verzinsung des Eigenkapitals keinen Anpassungsbedarf. Sie hat für 2022 ein Prozent angesetzt. Allerdings seien höhere Ansätze zulässig gewesen, erklärt sie. Das habe sich erst durch das Urteil geändert.
„Mit Fingerspitzengefühl“ sei angesichts ohnehin schon hoher Gebühren auch in Much das Eigenkapital verzinst worden, berichtet Christof Siebert. Er hat fünf Prozent angesetzt. In der Gebührenkalkulation von 4,6 Millionen Euro mache das gerade einmal 170.000 Euro aus. Nach einer möglichen Senkung auf drei Prozent zum Beispiel blieben etwas mehr als 100.000 Euro. Entscheiden müsse am Ende die Politik.
Auch Hennef rechnet nicht mit großen Folgen
In den Flächengemeinden führen große Kanalnetze, die zudem erhebliche Höhen überwinden müssen, ohnehin schon zu ansehnlichen Gebühren, so in Much immerhin 5,50 Euro pro Kubikmeter. Diese über Zinsberechnungen weiter in die Höhe zu treiben haben die jeweiligen Gemeindewerke schon in der Vergangenheit vermieden.
In Hennef zum Beispiel ist der kalkulatorische Zins auf drei Prozent festgelegt. Das Gericht hatte einen Wert von 2,8 Prozent festgelegt. Die Stadtbetriebe rechneten deshalb nicht mit großen Folgen für die kommenden Jahre, wie Stadtpressesprecher Dominique Müller-Grote auf Anfrage dieser Zeitung sagte.