Christian Schubert befürchtet keine Spaltung seiner Partei. Vor allem auf lokaler Ebene stellt er „eine große Geschlossenheit“ fest.
Rücktritt von Lang/NouripourGrünen-Chef in Rhein-Erft: „Entscheiden, ob wir mehr nach links rücken“
Der Rücktritt der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour hat ein politisches Beben ausgelöst. In Berlin, aber auch auf lokaler Ebene. Jörn Tüffers sprach mit dem Vorsitzenden der Grünen im Rhein-Erft-Kreis, Christian Schubert, über die Reaktionen an der Basis und die Auswirkungen auf die Kreistags- und Kommunalwahl 2025.
Herr Schubert, waren Sie überrascht von dem Schritt von Lang und Nouripour?
Christian Schubert: Spätestens seit der Europawahl im Juni gab es interne Rücktrittsforderungen, weshalb es mich inhaltlich nicht überrascht. Vom Zeitpunkt – auch ich habe es ohne Vorankündigung aus der Presse erfahren – war ich überrascht.
Alles zum Thema Bundestagswahl
- K-Frage Euskirchener Landrat Ramers und SPD-Kandidatin: Kein klares Bekenntnis zu Scholz
- Mehr als 90 Prozent der Stimmen Oberbergs CDU schickt Brodesser ins Rennen
- Helfer gesucht Wie Burscheid die Wahlen wuppen will
- „Im Sturm das Ruder rumreißen“ Robert Habeck zum Kanzlerkandidat der Grünen gewählt
- Bundestagswahl Liberale aus Much und Bad Honnef gehen als FDP-Kandidaten ins Rennen
- Fast 94 Prozent Rückhalt SPD-Kandidat in Rhein-Erft fände es „unsäglich, Scholz abzusäbeln“
- Bundesparteitag Brantner und Banaszak sind die neue Grünen-Chefs
Ist damit verknüpft, was Sie nach den zuletzt verlorenen Wahlen gefordert hatten: dass Ihre Partei sich hinterfragen und inhaltlich neu sortieren muss?
Ja. Nach solchen Wahlergebnissen halte ich Selbstkritik für geboten. Der Bundesvorstand hat nach der Europawahl angekündigt, analysiert und verstanden zu haben. Eine Änderung habe ich bis zur Landtagswahl in Brandenburg nicht gesehen. Wir Grünen stehen nun vor der grundsätzlichen Frage, ob wir mehr nach links rücken oder Wählerinnen und Wählern der politischen Mitte ein glaubwürdiges Angebot machen.
Es gibt Stimmen der Erleichterung bei den Grünen – teilen Sie diese Gemütslage?
Erleichterung ist nicht das treffende Wort. Vor der Entscheidung des Rücktritts habe ich großen Respekt, bin dankbar für den Einsatz und diesen Schritt. Ich habe die Hoffnung, dass wir uns inhaltlich-strategisch und personell neu ausrichten, uns als Partei dahinter versammeln und geschlossen in das kommende Jahr gehen. So entsteht ein Weg, den Abwärtstrend umzukehren.
Aber von personellen Konsequenzen hatten Sie seinerzeit nicht gesprochen?
Nicht direkt, doch ich habe Kritik an „Floskeln, allgemeinen Antworten und keinem inhaltlichen Tiefgang“ seitens der Bundespartei geübt. Hier erwarte ich mir mehr – auch eine klare Vision – von einem neuen Bundesvorstand.
Ist der Anfang vom Ende der Koalition damit eingeleitet?
Die Koalition hat einen „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie aus Verantwortung gegenüber dem Land, bei den Fragen des Haushaltes, der Migration, des Wirtschaftswachstums und der Rente Entscheidungen trifft. Wenn dafür nicht die Bereitschaft besteht, ist Ihre Frage mit „Ja“ zu beantworten. Klar ist: Wir machen 2025 einen Wahlkampf für Bündnis 90/Die Grünen, nicht für eine Ampel-Koalition.
Sie hatten auch gefordert, die Grünen müssten die jungen Wähler zurückgewinnen. Wie soll das gelingen, wenn die Jungen Grünen auf Bundesebene der Partei den Rücken kehren und eine eigene linke Jugendorganisation gründen wollen?
Dies kann und wird gelingen, wenn wir uns nicht in abstrakten, theoretischen Diskussionen verlieren, sondern die Sorgen junger Menschen ansprechen, Lösungen anbieten und die Kompetenz herausstellen, diese umsetzen zu können.
Wie bewerten Sie deren Schritt?
Ich respektive den Schritt des Bundesvorstandes der Grünen Jugend sehr. Wenn man merkt, dass man in der falschen Partei ist, ist dieser Schritt der einzig richtige. Dennoch: Aus den Positionen und Strukturen des Grünen Jugendverbandes für ein zum Scheitern verurteiltes, konkurrierendes Projekt zu werben, halte ich für inakzeptabel. Auch bei der Grünen Jugend sehe ich aber die Hoffnung, dass wir zu einer inhaltlichen und strategischen Neuausrichtung kommen können. Eine generationsgerechte Rente, sozialer Wohnungsbau, das Klimageld, Umsetzung der europäischen Mindestlohnrichtlinie, Verbesserung von Bundesfreiwilligendiensten – all diese Themen brauchen starke junge Stimmen in die Partei hinein und in die Öffentlichkeit. Das kann eine Grüne Jugend, die sich konstruktiv mit ihrer „Mutterpartei“ auseinandersetzt, leisten.
Wie wirken sich diese Ergebnisse auf kommunaler Ebene aus? Ein Jahr vor der Kommunalwahl könnte man zu der Einschätzung gelangen, dass sich die Grünen gerade selbst zerlegen.
Ein Zerlegen nehme ich nicht wahr. Ich sehe die Chance zur Geschlossenheit auf Bundesebene. Kommunal im Rhein-Erft-Kreis haben wir diese Geschlossenheit bereits. Mit dieser Geschlossenheit gehen wir in unseren Wahlprogrammprozess, werden unsere Erfolge der letzten Jahre hervorheben und den Wählerinnen und Wählern ein überzeugendes Angebot machen.
Wie wollen Sie das Thema Zuwanderung angehen? Es gibt Stimmen, auch aus Ihren eigenen Reihen, dass Sie einer Diskussion konsequent aus dem Weg gehen.
Ich gehe keiner Diskussion aus dem Weg und möchte dazu nochmal betonen, dass meine erste Rede auf einem Bundesparteitag zum Thema Migration war. Es braucht die Kraft und den Mut zur Differenzierung. Die Themen Zuwanderung, Migration und Innere Sicherheit müssen wir besser differenzieren, um zielgerichtete Maßnahmen herauszuarbeiten. Qualifizierte Zuwanderung ist für unsere Volkswirtschaft unabdingbar.
Was muss dafür jetzt geschehen?
Die Fragen der Migration müssen wir von hinten aufrollen. Dazu gehört die Realität, dass viele Kommunen mit der Zahl an Migrantinnen und Migranten überlastet sind. Die Kommunen müssen stets in der Lage sein, Geflüchtete unterzubringen und die Integration hinzubekommen. Dafür braucht es auch eine bessere Finanzierung der Kommunen sowie den Abbau von Hürden bei der Integration über den Arbeitsmarkt. Selbstverständlich müssen aber jene, die kein Bleiberecht haben, rechtsstaatlich zurückgeführt werden. Dafür braucht es Migrationsabkommen mit Herkunftsländern und Drittstaaten sowie das Beheben von Zuständigkeitsproblemen zwischen Land und Bund, beispielsweise bei den Dublin-Überstellungen. Gegenüber Gefährdern braucht es ein hartes Durchgreifen.
Wie stehen Sie zur Abschiebung von Kriminellen?
Wer Straftaten begeht oder unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung untergräbt, verwirkt jeden Anspruch auf unseren Schutz. Wir bleiben aber weiterhin ein rechtsstaatliches Land, in dem die Personen Schutz finden, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Eine pauschale Unterstellung, dass diejenigen, die vor Islamismus in ihren Herkunftsländern fliehen, alle selbst Islamisten wären, ist brandgefährlich. Der Ansatz des gemeinsamen europäischen Asylsystems, an den Außengrenzen festzustellen, wie hoch die Chancen auf ein Bleiberecht sind, um diejenigen mit hohen Chancen fair zu verteilen, ist sinnvoll. Unser Grundsatz muss es sein, legale, geordnete Migration zu stärken und irreguläre, ungeordnete Migration einzudämmen.
Was muss dafür geschehen?
In der Sicherheitspolitik bin ich der Landesregierung dankbar, dass sie sehr schnell Maßnahmen geeint hat. Unsere Sicherheitsbehörden müssen personell und finanziell besser ausgestattet werden. Befugnisse, insbesondere zur Terrorismusbekämpfung, müssen ausgeweitet werden. Dazu müssen die Sicherheitsbehörden in Befugnissen und Technologien so ausgestattet sein, dass sie im digitalen Raum sichtbar und handlungsfähig sind. Sie müssen auf den modernsten Stand gebracht werden.
Wann werden Sie personelle Entscheidungen treffen? Ist es nicht wichtiger denn je, den Wählern mitzuteilen, welches Personal antritt – bei der Bundestagswahl, als Landrat/Landrätin und für Bürgermeisterposten?
Die Wahlversammlungen für die beiden Wahlkreise für die Bundestagswahl werden im November stattfinden. Nominiert für die Bürgermeister-Wahlen sind bereits Anke Lundborg in Pulheim sowie Thommy Mewes in Erftstadt. Die zehn Ortsverbände legen ihre Zeitschienen selbst fest. Die Frage der Landratskandidatur werden wir spätestens im Frühling klären, ebenso die Liste für die Kreistagswahl.
Zur Person
Christian Schubert wurde 2002 in Köln geboren und lebt seitdem mit seiner Familie in Erftstadt. Im Juni 2023 ist er an der Seite von Birgit Vonester aus Frechen zum Kreisvorsitzenden der Grünen gewählt worden. Er ist auch Vorsitzender der Grünen in Erftstadt.