„Lützerath wiederbeleben“Klimaschützer errichten neues Camp am Tagebau Garzweiler
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Erkelenz-Lützerath – Den Kohleausstieg vor 2045, vor 2038 oder am Ende gar schon 2030 vollziehen? Den Hambacher Wald vor der Rodung retten? Und dann auch noch Keyenberg und seine Nachbardörfer am Rand des Tagebaus erhalten, obwohl die Bagger fast schon vor der Tür stehen? Klimaschützerinnen und Klimaschützer, die so etwas lautstark einforderten, wurden vor nicht allzu langer Zeit zuweilen noch als weltfremd oder naiv belächelt.
Jetzt lächelt Indigo. „Dafür, dass RWE als unbezwingbar galt und unsere Ziele als völlig unrealistisch eingestuft wurden, hat die Klimagerechtigkeitsbewegung inzwischen schon eine ganze Menge erreicht.“ Prompt fällt ihr ihre Mitstreiterin Jojo ins Wort: „Aber längst noch nicht genug! Eigentlich müssten wir nicht erst 2030, sondern sofort aus der Kohle und der Verfeuerung aller fossilen Brennstoffe aussteigen. Und wir bräuchten endlich ein Weltwirtschaftssystem, das auf globaler Gerechtigkeit statt auf hemmungsloser Ausbeutung und grenzenlosem Profit basiert. Aber erstmal retten wir Lützerath.“
Indigo und Jojo – so nennen sich zwei junge Frauen, 26 und 24 Jahre alt, die eigentlich in Berlin beziehungsweise in Hessen zu Hause sind. Fürs Erste haben sie ihre Zelte allerdings in dem kleinen Weiler am Rand des Tagebaus Garzweiler aufgebaut. Und sie sind nicht allein: Laut Indigo und Jojo leisten rund 100 Klimabewegte, mal mehr, mal weniger, Eckardt Heukamp, dem standhaften letzten Landwirt von Lützerath, inzwischen Tag und Nacht Gesellschaft. Ein richtiges Dorf ist auf dessen Wiese am Ortsrand entstanden.
„Außer Eckardt, der sich ja immer noch juristisch gegen die Enteignung und die Vertreibung aus seiner Heimat wehrt, sind die früheren Dorfbewohner alle schon umgesiedelt worden. Wir sind hier, um Lützerath wiederzubeleben“, erklärt Jojo, „und wir von »Lützerath lebt« haben das Dorf zur zone à défendre, zur ZAD, zur Verteidigungszone erklärt. Momentan ist es ruhig. Aber wenn die Abrissbagger von RWE kommen sollten, werden wir uns ihnen mit unseren Körpern entgegenstellen. Dann werden wir viele sein, noch viel mehr, als hier jetzt schon die Stellung halten.“
Für den Fall der Fälle wird seit Wochen nicht gekleckert, sondern geklotzt: Auch an diesem verregneten und kalten Samstagnachmittag werkeln die Aktivistinnen und Aktivsten emsig an ihren teils mehrgeschossigen Holzhütten, die möglichst winterfest gemacht werden sollen.
Dass Lützerath zum Symbolort des Widerstands gegen die rheinischen Braunkohletagebaue werden würde, war vor anderthalb Jahren noch nicht abzusehen. Da standen eher der Nachbarort Keyenberg und der Hambacher Wald im Fokus. Am Ortseingang von Lützerath gab es seit dem Sommer 2020 lediglich eine kleine, seitdem aber permanent besetzte Mahnwache und eine Handvoll Wiesencamper.
Inzwischen ist dort in mühsamer Handarbeit ein richtiges Hüttendorf mit teils mehrgeschossigen Baracken, einem großen Veranstaltungszelt, veganer Gemeinschaftsküche und Infrastruktur von Solarpaneelen, Internet und Müllsammelstationen bis hin zu Komposttoiletten, einem Sanitäterhaus und einer Corona-Teststation entstanden. Auch zwei verlassene Wohnhäuser, wo es nun einige warme Schlafplätze gibt, wurden in Beschlag genommen. „Das ist eine ganz bunte Gemeinschaft hier. Einige Leute haben sich dauerhaft niedergelassen, andere kommen aus ganz Deutschland für ein paar Tage oder für ein Wochenende. Und alle packen irgendwo mit an; auch von den lokalen Initiativen wie „Alle Dörfer bleiben“ werden wir gut unterstützt“, erzählt Jojo, die im anderen Leben Politikwissenschaft studiert. Seit dem Sommer ist sie mal ein, zwei Wochen an der Uni, dann wieder längere Zeit im Dorf, wo sie ihr Studium online weiterführt.
Den Einstieg in die Szene hat die junge Frau über Fridays for Future gefunden. „Aber irgendwann hat es mir nicht mehr gereicht, nur bei Demos mitzumachen. Deshalb bin ich jetzt hier.“ Dass nach den Keyenberger Dörfern, die nach den jüngsten Verlautbarungen der Berliner Ampel gerettet werden sollen, auch Lützerath verschont bleiben muss, ist für die gesamte Kommune eine klare Sache. „Ob Deutschland das 1,5-Grad-Ziel noch packen kann, entscheidet sich auch hier in Lützerath“, sagt Indigo.
Auf Gerichte abgewälzt
Sie ist nicht damit zufrieden, dass die Politik die Verantwortung in diesem speziellen Fall auf die Gerichte abgewälzt habe. Noch in diesem Jahr soll es ein Urteil darüber geben, ob RWE den Grund und Boden von Eckardt Heukamp in Anspruch nehmen darf.
Während der Energiekonzern zugesagt hat, in Lützerath mindestens bis zum 7. Januar nichts zu unternehmen, seien die Aktivistinnen und Aktivisten zum Widerstand entschlossen – auch wenn die Richter nicht in ihrem Sinne entscheiden sollten, betont Jojo: „Unser Urteil steht schon fest: Lützerath muss leben dürfen.“