Entwarnung, aber viel KritikWerden die Blessemer je wieder ruhig schlafen können?
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Erftstadt – Manche fragen sich, wo sie nächste Woche übernachten sollen, wie sie neue Personalausweise bekommen oder wann sie endlich in ihre teilweise immer noch gesperrten Gebäude dürfen. Andere suchen händeringend nach Handwerkern, brauchen Hilfsgelder für Neuanschaffungen oder warten bangend auf Kunde, ob auch ihr Haus zu jenen gehört, die vielleicht noch abgerissen werden müssen. Wieder andere plagt die Angst vor Plünderungen.
Es werden aber auch kritische Stimmen laut, die nach der Hochwasserkatastrophe nun eine genaue und neutrale Ursachenforschung einfordern. Nicht alle Blessemer sind überzeugt, dass bei der Genehmigung, beim Betrieb und beim Hochwasserschutz der so nah am Ort gelegenen Kiesgrube alle Risiken bedacht worden sind. Und werden die Blessemer je wieder ruhig schlafen können?
Hochwasser in Erftstadt: Feuerwehrchef dementiert Gerüchte
Rund 70 Menschen aus Blessem kamen am Donnerstagabend zu der zweiten großen städtischen Infoveranstaltung im Lechenicher Wirtschaft. Bürgermeisterin Carolin Weitzel und sieben Fachleute für Geologie, Hochwasser- und Katastrophenschutz, Wasser- und Kieswirtschaft standen fast drei Stunden lang Rede und Antwort und gaben ihr Bestes, um die Leute umfassend zu informieren und ihnen Hoffnung zu geben. Das gelang zumindest ansatzweise, aber die Ängste der Betroffenen sind weiterhin groß.
Immerhin konnten der städtische Feuerwehrchef Alexander Kern und Polizeisprecher Ralf Laurs in Reaktion auf anders lautende Gerüchte bekräftigen, dass es in Blessem keine Toten gegeben habe und dass auch niemand mehr vermisst werde. Laurs: „Wir bleiben auch nachts in Blessem, und wir halten den Ort sicher.“
Blessem: So geht es nach der Flut mit den Häusern weiter
„Wir sind auf einem guten Weg“, betonte Professor Dr. Roland Strauß vom Geologischen Dienst NRW und stellte die baldige Freigabe von weiteren Häusern in Aussicht, die derzeit nur kurzzeitig betreten werden dürfen. Laut den jüngsten Datenauswertungen habe es außer im unmittelbaren Abbruchbereich keinerlei Senkungen, Setzungen oder Bodenverformungen mehr gegeben.
Leider habe man in der gesperrten roten Zone an der Radmacherstraße aus Sicherheitsgründen mehrere schwer beschädigte Häuser abreißen müssen. Wie viele noch folgen, konnten die Experten noch nicht exakt sagen. Immerhin könne die Burg wohl bis auf einen kleinen Gebäudeteil gerettet werden, ebenso große Teile der Reithalle sowie die Häuser Radmacherstraße 1 bis 5 und 2 bis 10, „aller Voraussicht nach“ auch die Nummern 20 und 22. Definitiv verloren sei die Hausnummer 18. Anfang nächster Woche werde man Genaueres über jedes einzelne bedrohte Haus sagen können.
„Darf nicht sein, dass so gewaltige Wasserwalzen durch den Ort rollen“
Den Blessemerinnen und Blessemern, die im Ort bleiben konnten oder noch zurückkehren werden, versprach Professor Dr. Strauß, dass sie dort nach Abschluss der Standsicherungsarbeiten langfristig gefahrlos leben können: „Wir werden einen Zustand herstellen, der die Böschungskanten dauerhaft standsicher gestaltet. Wir werden dabei sogar schon berücksichtigen, dass das abgesenkte Grundwasser nach dem Ende des Braunkohletagebaus bis zum Jahr 2080 nach und nach wieder auf sein ursprüngliches Level ansteigen wird. Ich persönlich hätte keine Angst, nach Abschluss der geplanten Maßnahmen hier zu wohnen.“
Auch werde es eine genaue Analyse der Überschwemmungsursachen geben. Man müsse den gesamte Hochwasserschutz an den Talsperren und Flüssen auf den Prüfstand stellen. „Ich denke, jedem Experten ist klar, dass der Hochwasserschutz in Blessem nicht so bleiben kann, wie er ist. Es darf nicht sein, dass noch solch gewaltige Wasserwalzen durch den Ort rollen“, ergänzte Professor Dr. Christian Forkel von der RWE-Wasserwirtschaft.
Erftstadt-Blessem: Betreiber lässt Zukunft der Kiesgrube offen
Geschäftsführer Wolfgang Müller vom Kiesgrubenbetreiber Rheinische Baustoffwerke betonte, dass man sich stets streng an alle Vorschriften gehalten habe und dass der Schutz der Blessemer Grube ebenso wie der der Steinbachtalsperre auf ein tausendjähriges Hochwasser ausgerichtet gewesen sei: „Aber selbst das hat nicht gereicht. Es war einfach zu viel Wasser.“ Die Zukunft der Grube ließ Müller offen, schloss aber auch eine Schließung nicht aus, falls sich Sicherheitsbedenken ergeben würden.
Bürgermeisterin Weitzel erklärte, die Kämmerei arbeite mit Hochdruck an einem transparenten Konzept für die Verteilung von Spenden- und Hilfsgeldern; man hoffe inständig auf weitere Unterstützung von Land und Bund. Zwar seien schon 1300 von 1600 Soforthilfeanträgen bearbeitet worden und 3,3 Millionen Euro ausgezahlt worden, so Weitzel. „Wir wissen aber alle, dass die Soforthilfe des Landes nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Ich erwarte, dass da weitere Hilfen kommen.“