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DiskussionDarüber streiten die Bundestagskandidaten für Leverkusen und Rhein-Berg

Lesezeit 4 Minuten
Nyke Slawik, Tomás Santillán, Karl Lauterbach, Rolf Albach, Caroline Bosbach und Harald Weyel stehen an Tischen in der Opladener IHK

Nyke Slawik, Tomás Santillán, Karl Lauterbach, Rolf Albach, Caroline Bosbach und Harald Weyel (von links) hatten bei der IHK viele Themen zu bearbeiten.

„Wer rettet die Wirtschaft?“ Auf diese Frage gab es bei der Industrie- und Handelskammer sehr unterschiedliche Antworten.

Das Podium hat eine blaue Hintergrundbeleuchtung. Aber das gereichte dem Mann, dessen Partei diese Farbe für sich reklamiert, nicht zum Vorteil. Dazu kamen von Harald Weyel, der seit 2017 für den Wahlkreis 100 im Bundestag sitzt, zu viele abseitige Sprüche. Der AfD-Mann sprach vom „Weltsozialamt Deutschland“, als es um den Fachkräftemangel ging und wie man ihn beheben könnte. Gemeint war: Es kommen die Falschen.

Es wurde allerdings nicht nur Erwartbares gesagt am Montagabend in der Opladener Zweigstelle der Kölner Industrie- und Handelskammer. Weil sie Unternehmen in Leverkusen und Rhein-Berg betreut, wurden auch zwei Bundestagswahlkreise abgedeckt; die mit den Nummern 100 und 101. So gab sich eine durchaus illustre Schar von Kandidatinnen und Kandidaten ein Stelldichein: der amtierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die Bergisch Gladbacher Bewerberin Caroline Bosbach (CDU), die 2021 zum ersten Mal aus Leverkusen nach Berlin entsandte Nyke Slawik (Grüne). Dazu kamen der Freidemokrat Rolf Albach, der in der Forschung von Covestro arbeitet, der für die Linke antretende IT-Unternehmer Tomás Santillán aus Refrath und eben der frühere Hochschullehrer Weyel, der in der AfD erheblichen Einfluss hat.

Die Fragestellung des Abends mag sich auch aus der jüngsten Konjunkturumfrage der Kammer ergeben haben: Man habe „gespürt, dass die Luft doch merklich dünner geworden ist“, sagte die soeben wiedergewählte IHK-Präsidentin Nicole Grünewald zu Beginn. Das könnte zusammenhängen mit der Politik der Ampel-Regierung, die von den Unternehmen als „nicht so besonders wirtschaftsfreundlich“ wahrgenommen wurde, ergänzte Grünewald.

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Schnell ist in Leverkusen von Deindustrialisierung die Rede

Damit war der Ton gesetzt, die Repräsentanten der gewesenen Mehrheit Lauterbach und Slawik mehr unter Druck als Albach, dessen FDP weithin als nicht mehr haftbar zu machen gilt. Ein Eindruck, den die Grüne und der Sozialdemokrat zu zerstreuen versuchten. Immer wieder stellten sie die Rolle der FDP in der zerbrochenen Berliner Ampel-Koalition heraus. Indes hatte Albach in dieser Podiumsdiskussion gleich zwei Trümpfe im Ärmel: Am Wochenende hatte sein Chef, Covestros Vorstandsvorsitzender Markus Steilemann, die Szene mit der Ankündigung aufgeschreckt, in Deutschland keine neuen Anlagen mehr bauen zu wollen, die viel Energie brauchen: Das Gespenst der Deindustrialisierung war im Raum. Außerdem gab es einen Filmbeitrag, in dem Covestros neuer Chef der Niederrhein-Standorte, Philip Bahke, die immer noch hohen Energiekosten beklagte: Im Vergleich zu 2019 seien sie doppelt so hoch.

Lauterbach und Slawik konnten sich indes mit ihrer Forderung nach niedrigeren Netz-Abgaben und einem Industrie-Strompreis aus der Affäre ziehen, den die FDP ablehnt. Albachs Argument: Die Unternehmen hätten zu wenig Einfluss auf dessen Höhe. Und das ganze Konstrukt bedeute noch mehr Bürokratie. Unter der alle litten, die etwas produzieren. Inzwischen werde „erwartet, dass ich jeden Handgriff im Labor dokumentiere. So etwas muss viel früher gestoppt werden“, so Albachs Beispiel aus seinem Arbeitsalltag.

Im Gesundheitssektor gab es Wachstum

Wie überzeugend das gut 80-köpfige Publikum in Opladen Lauterbachs Darstellung fand, er habe in seinem Einflussbereich, dem Gesundheitssektor, viel Wirtschaftswachstum angestoßen, war nicht zu ermitteln. Dass die Mehrheit der Haltung des Linken-Unternehmers Santillán zuneigt, der sich für mehr staatliche Eingriffe einsetzt, kann man aber ausschließen. Einen Punkt hatte der Refrather trotzdem: Der große Hacker-Angriff auf die Südwestfalen-IT verhindere noch immer, dass die Stadt Bergisch Gladbach seine Gewerbesteuer exakt berechne. Die Attacke ist mittlerweile 15 Monate her. Santilláns Folgerung: „Die Kommunen müssen in der Lage sein, die Digitalisierung auch umzusetzen.“ Da sei der Staat gefragt.

Auch die Vertreter der gewesenen Regierung versuchten immer wieder, den Blick auf die marode Infrastruktur zu richten. „Wir haben die Digitalisierungsversäumnisse der letzten 20 Jahre aufgeholt“, fand Karl Lauterbach. Aber es müsse noch viel mehr geschehen – und das sei nicht mit einer Schuldenbremse zu machen. Er und Slawik redeten daraufhin dem „Deutschlandfonds“ das Wort, der vom Staat und Firmen gespeist werden soll. Albach nannte das „Sozialhilfe für Unternehmen“.

Klare Gegensätze traten nicht nur bei der Schuldenbremse zutage. Caroline Bosbach verteidigte sie mit der Aussage: „Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.“ Harald Weyel behauptete, „der Staat kann nicht zwischen Investition und Konsumption unterscheiden“. Alles müsse zurückgefahren werden.

Bei der Frage, wie der Mangel an Fachkräften in Deutschland zu beheben sei, prallten die Meinungen erwartbar heftig aufeinander, aber an einer anderen Bruchlinie: Während AfD-Mann Weyel „den Migrantenbereich ausdünnen“ will, nannte die Grüne Slawik Arbeitsverbote für Asylsuchende „absurd“. Santillán forderte, das Bildungssystem besser auf Migranten auszurichten. Lauterbach pries das von der Ampel verabschiedete Fachkräfte-Einwanderungsgesetz als „eines der modernsten der Welt“, während sich Albach fragte, warum „ein Bürokrat die Qualifikation eines Zuwanderers“ beurteilen müsse. Das könne man genauso gut den Unternehmen überlassen. Bosbach schließlich beklagte, dass „wir viel zu wenig Einwanderung in den Arbeitsmarkt haben“.

Fazit nach gut zwei Stunden: Es gibt viele Baustellen in Deutschland. Mit welchem Werkzeug man sie am besten anpackt, ist umstritten.