Offenbar inspiriert von der sich in England gerade entwickelnden Idee der Gartenstadt, startete das Fabrikanten-Ehepaar Anna und Richard Zanders mit dem Erwerb von 30 Hektar Land in Gronau ein Modellprojekt, das auch heute noch durch seine für die damalige Zeit unerhört fortschrittlichen Details in Erstaunen versetzt.
Eigenheime nahe Papierfabrik erbaut
Auf dem Gelände in unmittelbarer Nähe zur Papierfabrik an der Gohrsmühle, entstanden ab 1897 erschwingliche Eigenheime für Arbeiter, mit großzügigen Nutzgärten zur Selbstversorgung. „Den prekären Wohnverhältnissen in den lichtarmen Mietskasernen der Großstädte wollten Anna und Richard Zanders eine Riegel vorschieben“, erklärt Frank Grobolschek vom Freundeskreis Gartensiedlung Gronauer Wald.
Anders aber als in reinen Arbeitersiedlungen wurden in Gladbach in direkter Nachbarschaft auch Häuser für die sozial besser gestellten Angestellten des Papierunternehmens errichtet. „Es wurde von Anfang an eine soziale Durchmischung von Arbeitern und Angestellten angestrebt“, so Grobolschek zum Konzept. Wenn auch die Entwürfe für die Häuser der Angestellten wesentlich repräsentativer ausfielen, als die für die Arbeiter.
Bergischer Geschichtsverein blickt zurück
„Zanders hatte immer hohe Ansprüche an die Architekten“, sagt Thomas Klostermann vom Bergischen Geschichtsverein, über die teils aufwendig gestalteten Häuser. Hier baute Ludwig Bopp, Architekt des Gladbacher Rathauses ebenso wie Oskar Lindemann, Peter Will oder Clemens Klotz, der in Gronau Doppelhäuser mit Bezügen zu lokalen Bautechniken entwarf, während er Jahre später im Auftrag der NSDAP Monumentalbauten wie etwa die Ordensburg Vogelsang in der Eifel aus dem Boden stampfen ließ.
Das 125-jährige Bestehen der Siedlung wird mit etlichen Veranstaltungen begangen. Doch die Jubilarin hat auch Probleme. Immer mehr Vorgärten werden zugunsten von Parkplätzen aufgegeben, Hecken durch Kunststoffzäune ersetzt, entstehen durch Schotter Gärten des Grauens, verändern Um- und Anbauten das Gesamtbild des Viertels.
Zur Stadtentwicklung
Gartenstadt-Bewegung
Der Begriff der Gartenstadt geht auf ein Modell der planmäßigen Stadtentwicklung zurück, das der Brite Ebenezer Howard Ende des 19. Jahrhunderts entwarf. Die Bewegung war eine Reaktion auf die sich im Zuge der Industrialisierung verschlechternden Wohn- und Lebensverhältnisse der Arbeiter und auf steigenden Grundstückspreise in den Großstädten, insbesondere in London. Die Gartenstädte sollten im Umland der Großstädte auf bisherigem Agrarland neu gegründet werden.
Auch in Deutschland fand die Gartenstadt-Idee viele Anhänger, wo schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts ähnliche Vorstellungen bei der Gründung großer Villenkolonien für das Bürgertum entwickelt worden waren. 1902 wurde in Berlin die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft gegründet.
Die sozialen Ziele: „Eine Gartenstadt ist eine planmäßig gestaltete Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd in Obereigentum der Gemeinschaft gehalten wird, derart dass jede Spekulation mit dem Grund und Boden unmöglich ist.“
In der Folgezeit entstanden an einigen Orten in Deutschland Kolonien, die dem Prinzip der Gartenstadt wenigstens in Teilen verpflichtet waren. (spe)
Architekturhistoriker macht Vorschläge
Diese Entwicklung wird offensichtlich auch von der Gestaltungsfibel nicht aufgehalten, die es seit mehr als zehn Jahren gibt. Im Auftrag der Stadt machte der Architekturhistoriker Prof. Michael Werling darin Haus für Haus Vorschläge zur Verbesserung des Zustands im Kontext der ursprünglichen Gebäude- und Gartengestaltung.
„Gerade in einer Gartensiedlung ist es wichtig, dass ein Gartenumfeld vorhanden ist und man nicht in einer Betonwüste lebt“, appelliert Grobolschek an die Eigentümer der Immobilien, die Eigenart des Wohnquartiers nicht aus den Augen zu verlieren. Auch von der Stadt wünscht er sich mehr Schutz für das ursprüngliche Konzept. Diese habe häufig von einem städtebaulichen Kleinod gesprochen, tue aber zu wenig, um es zu erhalten, meint Grobolschek.
Steigende Bodenpreise erfordern Bebauungsplan
„Wir brauchen einen Bebauungsplan, um die Siedlung im Bestand zu sichern“ meint er mit Blick auf steigende Bodenpreise, Immobiliendruck und verdichtete Bebauung. Einen Antrag habe man bereits 2009 gestellt. Bisher ohne Erfolg. Statt dessen existiere außerhalb des unter Denkmalschutz stehenden Kernbereichs an der Eiche nur eine Erhaltungssatzung. „Die ist aber ein zahnloser Tiger“, ärgert sich der Gladbacher.
Veranstaltungen und Aktionen
Aktivitäten zum Jubiläum
Mit etlichen Veranstaltungen und Aktionen will der Freundeskreis Gartensiedlung Gronauer Wald das 125-jährige Bestehen der Siedlung feiern.
Am 27. August soll es rund um den Platz an der Eiche ein großes Jubiläums-Sommerfest geben. Der touristische Flyer, den die Stadt vor rund zehn Jahren über die Siedlung Gronauer Wald herausgebracht hat, bekommt zum Jubiläum eine Neuauflage. Ausführlicher soll ein Buch Geschichte und Gegenwart des ungewähnlichen Quartiers behandeln, das der Freundeskreis herausgibt.
Seit 2020 ist die Gronauer Gartensiedlung auch dem Netzwerk europäischer Gartenstädte angeschlossen, von dem man sich Austausch und Unterstützung bei den Herausforderungen wirtschaftlicher, sozialer, baulicher und demografischer Art verspricht.
Schließlich sollen im Jubiläumsjahr auch die Gründer der Gronauer Gartensiedlung zu Wort kommen. Mit Unterstützung der Stadt soll ein sogenannter Zwitscherkasten aufgestellt werden. Wer an der Kurbel dreht, kann dann den Ansichten von Anna und Richard Zanders lauschen, die 1897 zu ihrem sozialreformerischen Modellprojekt der Gartensiedlung in Gronau geführt haben. (spe)
Die Dynamik der städtebaulichen Entwicklung in Gronau mache es schwer, „einen historisch »richtigen« Zustand der Siedlung zu bestimmen, den es zu schützen und zu verteidigen gilt“, machte Martin Rölen die Sicht der Stadt deutlich. Daher habe die Stadt städtebauliche Instrumente gesucht, die eine „gestaltete Weiterentwicklung“ der Siedlung ermöglichten. „Ein Bebauungsplan war hier nicht das geeignete Instrument“, widerspricht der Stadtsprecher fer Forderung Grobolscheks. Denn ein B-Plan helfe nicht, eine bestehende Bebauung zu schützen, sondern diene dazu, eine zukünftige Bebauung zu lenken. „Er ist kein Instrument des Denkmalschutzes und keine Gestaltungssatzung.“
Bereich um Eiche geschützt
Daher habe sich die Stadt für ein Bündel anderer Maßnahmen zum Schutz entschieden: Der zentrale historische Bereich um die Eiche sei seit 2009 mit einer Denkmalbereichssatzung geschützt, seit 2014 existierten zudem eine Erhaltungs- und eine Baum- und Heckenschutzsatzung. Auch sei die Gronauer Waldsiedlung in die „Gebietskulisse des Gestaltungsbeirats“ aufgenommen worden. Dies alles helfe, den Charakter der Siedlung zu wahren, meint die Stadt.
„Es fehlt der politische Wille“, kritisiert hingegen Grobolschek, hofft aber weiter auf die Erstellung eines Bebauungsplans mit rechtsverbindlichen Festsetzungen für das Areal.
Ein aufwendiges planungsrechtliches Verfahren, das die Gladbacher Stadtverwaltung schon aus Gründen der Arbeitsauslastung nicht favorisiert. Auf der langen Liste der abzuarbeitenden neuen B-Pläne der Stadt stehe die Gronauer Waldsiedlung daher nur auf Platz 29, bedauert Grobolschek. Das Thema müsste deshalb dringend wieder auf die Tagesordnung, findet er. „Das wäre ein wunderbares Geschenk zum Geburtstag der Siedlung.“