Die Cum-Ex-Affäre war der größte Steuerskandal der deutschen Geschichte. Ein aus Oberberg stammender Journalist hat darüber geschrieben.
InterviewMassimo Bognanni, Journalist aus Oberberg, informiert über die Cum-Ex-Affäre
Massimo Bognanni, geboren und aufgewachsen in Oberberg, ist ein vielfach ausgezeichneter Investigativ-Journalist. Sein Buch „Unter den Augen des Staates“ hat die sogenannte „Cum Ex“-Affäre aufgearbeitet. Stefan Corssen sprach mit ihm über den größten Steuerraub in der deutschen Geschichte.
Wann haben Sie zum ersten Mal von „Cum Ex“ gehört?
Massimo Bognani: Vor meiner Zeit beim WDR war ich beim Handelsblatt. Mein dortiger Chef, Sönke Iwersen, war einer der führenden Rechercheure in Sachen „Cum Ex“. Das heißt, ich habe das Thema zunächst von der Seitenlinie aus beobachtet. Als ich dann zum WDR gewechselt bin, habe ich nicht schlecht gestaunt, als man mir als Erstes „Cum Ex“ auf den Tisch legte.
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Was ist für Sie das Besondere an diesem Thema: Ist es der schiere Umfang mit einem Schaden von zehn bis zwölf Milliarden Euro, der dem deutschen Staat und damit den Steuerzahlern entstanden ist? Oder wollen Sie Licht werfen in dieses dunkle Geflecht aus Banken, Anwaltskanzleien und der Politik?
„Cum Ex“ ermöglicht uns, durch das Schlüsselloch einer sonst geheimen Branche zu schauen. Einer Branche, die seit vielen Jahrzehnten agiert und die eben dieses enge Geflecht aus Politik und Wirtschaft schafft und die uns alle viele, viele Milliarden Euro kostet. Gerade in diesen Tagen, in denen es Haushaltslöcher zu stopfen gilt, sieht man, wie dringend das Geld benötigt wird, das sich solche reichen Eliten unter den Nagel gerissen haben.
Es sind keine einzelnen Täter, das sind nicht zwei, drei Leute, die sich irgendwo verabreden, das sind ganze Etagen in Bankenhochhäusern. Das ist eine wirkliche Industrie von top ausgebildeten Menschen, die nichts anderes machen, als weltweit zu gucken: Wo gibt es angebliche Schlupflöcher?
Gleichzeitig sieht man auch, wie sie mit der Politik umgehen, das ist organisierte Kriminalität. Die ist dadurch gekennzeichnet, dass es ein enges Netzwerk gibt. So wie es bei der Mafia in Italien ein Netzwerk gibt oder gab, in die Politik und in die Polizei und überall hin, so ist auch diese „Cum Ex“-Industrie vernetzt bis in die Politik. Erst jetzt, durch die hartnäckigen „Cum Ex“-Ermittlungen, wird dieses Geflecht sichtbar.
Dass Wirtschaft Einfluss nimmt auf die Politik, das gibt es auf der ganzen Welt. Trotzdem haben andere Länder früher erkannt, dass man bei „Cum Ex“ gegensteuern muss, dass man schärfere Maßnahmen braucht. Warum hat Deutschland so lange geschlafen?
Das fing schon in den 1990er Jahren an, unter Finanzminister Theo Waigel. Es gab ganz klar immer wieder diese Warnungen, dass die Staatskasse geplündert werden könnte. Richtig aktiv geworden ist man aber erst sehr, sehr spät. Man sieht, dass in Ländern wie der Schweiz oder auch den USA, die das früher erkannt und rigoros gestoppt haben. Warum das in Deutschland so lange möglich war, dazu gibt es viele Theorien.
Es gibt Aussagen, dass man auch politisch den Finanzstandort Deutschland in gewisser Weise schützen wollte oder vielleicht auch die eine oder andere Bank. Indirekt hat man sie vielleicht sogar damit unterstützt, indem man die Banken nicht zu hart angegangen ist.
Bei der Privatbank Warburg haben die Hamburger Finanzbehörden wohl bewusst darauf verzichtet, Steuern nachzufordern, die dem Finanzamt zustanden. So lange, bis das Bundesfinanzministerium anders entschieden hat. Wollte man ein traditionelles Bankhaus nicht der Gefahr aussetzen, Pleite zu gehen?
Genau. Das war ein ganz wichtiges Argument der Hamburger Finanzbeamten, dass sie sagten, die Bank sei existenzgefährdet. Das stimmt im Nachhinein übrigens auch nicht, wie man heute sieht. Die Bank musste inzwischen das Geld aus den „Cum Ex“-Geschäften zurückzahlen, auch wenn das eine ganz schöne Summe war.
Rund 150 Millionen Euro?
Ja, aber das konnte die Bank aufbringen. Es gibt sie immer noch. Gravierender sind, glaube ich, die Reputationsschäden. Der ganze Vorgang ist ja schon ein bisschen absurd. Wir stellen uns vor, Sie hätten ein Steuerproblem und müssten Steuern zurückzahlen. An wen würden Sie sich wenden? Die Bank hat sich in dieser Situation an jemanden gewendet, der hier in NRW Hendrik Wüst wäre. Man wendet sich an den Ministerpräsidenten, um sein Steuerproblem zu besprechen, das klingt vollkommen absurd für jeden normalen Menschen.
Genau das ist in Hamburg aber passiert, als die Warburg-Bank 2016 die „Cum Ex“-Beute zurückzahlen sollte. Sie wendete sich an den Ersten Bürgermeister, der damals Olaf Scholz hieß und der danach auch noch eine gewisse Karriere hingelegt hat. Da sieht man, was diese Branche und diese Akteure für Zugänge haben.
Dass sie sich zwar auch mit ihren Finanzbeamten rumschlagen wie jeder andere auch, aber dass sie gleichzeitig in der Lage sind, die höchsten politischen Entscheider einzubeziehen, zu bearbeiten und ihnen ihre Sicht der Dinge darzustellen. In Hamburg gibt es einen Untersuchungsausschuss zu „Cum Ex“.
Aber die zentrale Frage, welchen Einfluss Politik genommen hat, ist bis heute unbeantwortet. Ist es nicht so, dass die SPD sagt „die Vorwürfe stimmen nicht, alles ist sauber gelaufen“, und die CDU sagt das Gegenteil? Ist Parteidisziplin wichtiger als Wahrheit?
Untersuchungsausschüsse sind immer auch ein politisches Schauspiel. Am Ende werden da parteipolitische Interessen durchgeboxt. Aber der Untersuchungsausschuss hat auch eine Faktenlage zutage gebracht. Wenn die SPD in Hamburg sagt, dass es keine Anzeichen für eine politische Einflussnahme gegeben hat, dann erinnert mich das an dieses Bild von diesen drei Affen: der eine, der sich die Ohren zuhält, der andere die Augen und der Dritte den Mund.
Es wurde nicht bewiesen, dass Olaf Scholz oder Peter Tschentscher, der damals Finanzsenator war, heute Erster Bürgermeister ist, in dieses Steuerverfahren eingegriffen haben. Aber der Untersuchungsausschuss hat in meinen Augen eine klare Indizienkette aufgezeigt, die belegt, dass die Politik sich diesen Fall sehr genau angeschaut und auch Zeichen in die Finanzverwaltung gesendet hat.
Olaf Scholz behauptet immer, dass er als Bürgermeister zwar mit ganz vielen Menschen gesprochen hat, dass er sich aber immer nur alles angehört und dann die Menschen freundlich wieder hinauskomplimentiert habe. Im Fall Warburg hat er aber nicht nur zugehört, sondern er hat zum Telefonhörer gegriffen und Christian Olearius, das ist der Bankchef, angerufen und hat ihm gesagt, Olearius solle eine Verteidigungsschrift, die er angefertigt hat, ohne Kommentare an Herrn Tschentscher, an den damaligen Finanzsenator, senden.
Minister schreiben mit grüner Tinte
Olearius hat das auch getan, per Kurier. Noch am gleichen Tag hat er sich auch artig bedankt. Herr Tschentscher, der Finanzsenator, hat mit seiner grünen Ministertinte drauf geschrieben, „bitte um Information zum Sachstand“. In diesem Schreiben waren Dinge noch markiert, zum Beispiel war „existenzgefährdet“ noch mal hervorgehoben. Und dieses Schreiben mit der Ministertinte ging letztendlich zu der einzelnen Finanzbeamtin, die das dann zu entscheiden hatte.
Ich habe mit vielen Ministern gesprochen. Unisono haben alle gesagt, wenn der Minister das so darauf schreibt, dann ist für die einzelnen Beamten unten ganz klar, dass das eine hohe Priorität hat und dass der Minister damit auch ein Zeichen setzt, dass man da doch mal genauer hingucken muss.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich glaube, die Indizien, dass es in Hamburg eine politische Einflussnahme gegeben hat, die sind da. Fraglich ist natürlich, ob es noch in irgendeiner Form Beweise geben wird. Ich glaube, mit schriftlichen Beweisen wird es schwierig, weil Herr Scholz und andere sehr, sehr viel gelöscht haben. Es findet sich – das ist den Ermittlern aufgefallen – erstaunlich wenig Korrespondenz zu „Cum Ex“. Und Herr Scholz sagt in der Sache ja stets aus, er könne sich an nichts erinnern.
Warburg-Chef Christian Olearius steht seit Oktober 2023 in Bonn vor Gericht. Bislang hat er Olaf Scholz nicht belastet, weil er sich damit selbst belasten würde. Aber er muss vielleicht für acht oder zehn Jahre ins Gefängnis. Falls man ihm signalisiert, „wenn Du uns entgegenkommst, dann können wir diese Strafe reduzieren“, wird er dann auskunftsfreudig?
Denkbar ist das. Es gibt nicht so viele Menschen auf der Welt, die sagen können, was da in diesem Hamburger Bürgermeisterzimmer gelaufen ist. Olearius ist einer von ihnen. Aber so, wie ich den Prozess momentan verfolge, ist meine These, dass Olearius sehr stark, auch aufgrund seines hohen Alters von 81 Jahren, auf Zeit spielen wird.
Ich glaube, er wird den Bonner Prozess durch seine Anwälte maximal in die Länge ziehen, zum Bundesgerichtshof gehen und dann vielleicht noch auf der europäischen Ebene dagegen vorgehen. Mein Eindruck ist eher, dass sein Kalkül ist, dass er nicht mehr ins Gefängnis muss. Dass ihn eine hohe Strafe erwartet, ist sehr wahrscheinlich. Ich bin da jetzt ein Ticken pessimistischer als zum Prozessauftakt, weil ich sehe, welche Anträge die Anwälte stellen.
In Ihrem Buch haben Sie die Hauptpersonen in die „Good Guys“ auf der einen und die „Bad Guys“ auf der anderen Seite aufgeteilt. Hanno Berger, der „Cum Ex“ als Modell quasi erfunden hat, gehört zu den „Bösen“, schon weil er sich persönlich bereichert hat. Die leitende Staatsanwältin Anne Brorhilker ist eine Gute. Wie ist das mit Peter Biesenbach, dem ehemaligen NRW-Justizminister, der wie Sie aus Hückeswagen stammt? Er kommt bei Ihnen auch sehr gut weg.
Wir kommen zwar beide aus Hückeswagen, aber es war tatsächlich eine journalistische Anfrage, die dazu geführt hat, dass ich irgendwann mit ihm zum ersten Mal geredet habe. Er kommt zugegebenermaßen gut weg, wobei man auch genau hingucken muss. Am Anfang saß er auch bei einer Pressekonferenz dabei, bei der erklärt wurde, dass es super ist, dass Frau Brorhilker alles alleine macht, und das alles ein Wollknäuel sei. Wenn verschiedene Leute daran ziehen würden, würde es ja nur Kuddelmuddel geben. Am Anfang war noch die Argumentation: „Kann die mal schön alleine machen“.
Aber dann hat Peter Biesenbach als Justizminister in meinen Augen eine positive Rolle gespielt und deswegen ist es auch so geschrieben. Herr Biesenbach hat „Cum Ex“ auf die Agenda gesetzt und das unterfüttert durch organisatorische Maßnahmen. In seiner Amtszeit wurde eine Hauptabteilung gegründet in der Staatsanwaltschaft Köln, und er hat Frau Brorhilker an die Spitze dieser Hauptabteilung gesetzt.
Das war mit Sicherheit nicht unumstritten, denn auch innerhalb der Staatsanwaltschaft gibt es oder gab es große Richtungsstreitigkeiten, wie man mit „Cum Ex“ umzugehen hat. Insofern kommt er gut weg – nicht, weil er aus Hückeswagen kommt, sondern weil er nachweislich Gutes im Sinne der Aufklärung getan hat.
Anne Brorhilker kommt auch nur so gut weg in dem Buch, weil sie wirklich alles nachweisen kann, das sagen selbst die Verteidiger der Beschuldigten. Sie ist der entscheidende Faktor, dass wir überhaupt über diese Dinge reden. Vor mehr als zehn Jahren hat sie das Thema auf den Schreibtisch bekommen, sie hat das mit einer Akribie verfolgt und hat sich auch nicht abspeisen lassen mit diesen ganzen juristischen Gutachten. Und sie hat das durchgezogen, bis heute. Wir würden auch über Herrn Scholz nicht reden, wenn sie zum Beispiel nicht die Tagebücher von Herrn Olearius beschlagnahmt hätte.
Lesung und Podiums-Diskussion mit Polit-Prominenz in Wipperfürth
Diese Veranstaltung verspricht spannend zu werden: Massimo Boganni, Investigativ-Journalist und Buchautor, stellt am Donnerstag, 11. Januar, 19 Uhr, in Wipperfürth die aktualisierte Neuauflage seines Bestsellers „Untern den Augen des Staates – Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik“ vor.
Bognanni, geboren in Hückeswagen, liest aus seinem Buch und gibt Einblicke in seine Arbeit als Teil des Recherchenetzwerks von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung. Im zweiten Teil moderiert Maja Weber (ZDF) eine Podiumsdiskussion zum Thema mit zwei bekannten ehemaligen Politikern: Peter Biesenbach, früherer NRW-Justizminister (CDU), und Norbert Walter-Borjans, früherer NRW-Finanzminister und ehemaliger Bundesvorsitzender der SPD.
Die Lesung in der Alten Drahtzieherei, Wupperstraße 8, findet statt auf Einladung der Buchhandlung Colibri und der Bürgerstiftung „Wir Wipperfürther“. Karten zum Preis von 15 Euro gibt es im Vorverkauf in der Buchhandlung Colibri an der Marktstraße 19 und der Alten Drahtzieherei.