Waldbröl – Wenn Hinrich Schipper in den Ferien ein paar Mal durchgeschnauft hat und Mitte August erholt an den Arbeitsplatz zurückkehrt, dann sind seine Sorgen nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Seit vergangenem Dezember leitet der 49 Jahre alte Pädagoge in Waldbröl die Roseggerschule, eine Förderschule mit den Schwerpunkten Lernen sowie Emotionale und soziale Entwicklung. Und die platzt schon lange aus allen Nähten.
„Nach den Ferien rechnen wir mit 245 Schülern in 19 Klassen“, sagt Schipper. Im Schuljahr 2019/2020 waren es 226 Schüler in 16 Klassen, die an der Zuccalmagliostraße unterrichtet wurden. Zwei Klassen aber müssen diesen Standort verlassen, für sie gibt es dort nicht mehr genug Raum.Damit steckt die Schule tief in einem Dilemma. „Denn für unsere Schüler sind der persönliche Kontakt und ein fester Bezug das Wichtigste“, erklärt Sozialpädagoge Timo Roth.
Ein Viertel der Schüler lebt in Pflegefamilien
Die meisten kämen aus Elternhäusern mit vielschichtigen Problemen, sie seien entweder höchst introvertiert oder höchst impulsiv, beschreibt Roth die Extreme. „Bei vielen ist die Zündschnur sehr kurz, andere versuchen, durch negatives Verhalten Aufmerksamkeit zu bekommen.“ Ein Viertel der Schüler lebe heute in Pflegefamilien, in Heimen oder anderen Einrichtungen. 70 Prozent gelten als verhaltenausauffällig, der übrige Teil habe Schwierigkeiten mit dem Lernen.
Hinrich Schipper spricht lieber von „verhaltenskreativen“ Kindern und Jugendlichen, die nach umfangreicher Diagnostik ihren Platz an der Roseggerschule bekommen. Dort können sie die Abschlüsse einer Hauptschule nach den Klassen neun und zehn ebenso erwerben wie den einer Realschule mit Empfehlung für das Gymnasium oder auch den Abschluss einer Förderschule. Mit Stolz blickt er auf das, was die letzten Entlassungsjahrgänge erreicht haben – nicht nur auf dem letzten Zeugnis, sondern auch in der Zeit danach.
Kinder und Jugendliche müssen teilweise abgelehnt werden
War es in den vergangenen Jahren üblich, dass die Roseggerschule auch während eines laufenden Schuljahres Kinder und Jugendliche aufgenommen hat, so müssen diese diesmal abgelehnt werden, weil die Klassen bereits voll sind. Nur noch junge Leute, deren Eltern gerade umgezogen sind, könnten berücksichtigt werden, heißt es.
Dass die Zahl der Schüler mit einem Förderbedarf im Sozialen und Emotionalen wächst, verwundert Schipper übrigens nicht. „Jahrzehnte lang wurde viel zu wenig in die Bildung in diesem Bereich investiert, das fällt uns heute auf die Füße, zumal die gesellschaftlichen Probleme drastisch zunehmen“, betont der Kürtener. „Und Corona hat diese Entwicklung noch befeuert.“
Viele der betroffenen Schüler seien in der Inklusion lange nicht so gut aufgehoben wie an einer Förderschule. „Es geht es nicht anders: Wir müssen wachsen.“ Platz gäbe es auf dem Gelände, jedoch müssten auch die vor mehr als 40 Jahren errichteten Gebäude gründlich saniert und den Bedürfnissen ihrer Nutzer angepasst werden. „Vor Corona waren dafür rund 1,4 Millionen Euro kalkuliert – das dürfte jetzt nicht mehr hinkommen.“
Partner mit zusätzlichen Räumen ist gefunden
Doch damit ist es längst nicht getan: Für die Offene Ganztagsschule (OGS), deren Angebote der Internationale Bund organisiert, muss ebenfalls mehr Raum her. „Hier könnte angebaut werden“, sagt Hinrich Schipper auf dem oberen Gelände der Schule und am Spielplatz. Ansonsten müsste er einen Kunstraum zugunsten der OGS opfern. „Wir rechnen mit zweieinhalb OGS-Gruppen und elf Schülern pro Gruppe, haben aber schon 30 Anmeldungen.“ Er hofft, dass ab dem Schuljahr 2023/2024 Container auf dem Gelände stehen.Mit der Freien Evangelischen Gemeinde hat der Schulrektor in der Marktstadt bereits einen Partner gefunden, der mit Raum für jene zwei Klassen aufwarten kann – und das in fußläufiger Entfernung. Wie diese genau Kooperation aussehen soll, das wollen Schule und Kirchengemeinde am kommenden Dienstag vorstellen. Ebenso wie die Jakob-Moreno-Schule in Gummersbach steht die Roseggerschule in der Trägerschaft des oberbergischen Zweckverbandes Förderschulen.
Die Lage an den anderen Waldbröler Schulen
Nicht nur die Roseggerschule verzeichnet in Waldbröl wachsende Schülerzahlen. Ebenso freut sich die städtische Realschule über mehr Neuzugänge als zuvor, die Gesamtschule ist sogar ausgelastet. Ein Blick in die Schullandschaft der Stadt:
Hollenberg-Gymnasium: Von drei gut gefüllten Klassen spricht Leiter Frank Bohlscheid mit Blick auf die 83 Neugänge der Schule. Im Vorjahr zählte diese 94 neue Kinder. Als Grund für diesen Rückgang vermutet Bohlscheid, dass Eltern in der Zeit der Krise zögerten, ihr Kind auf ein Gymnasium zu schicken. „Außerdem wurden wohl weniger Empfehlungen für diese Schulform ausgesprochen“, ahnt er.
Städtische Realschule: Thomas Brockhöft, kommissarischer Konrektor, ist stolz auf die Zahl der neuen Anmeldungen: Der fünfte Jahrgang startet – trotz geburtenschwacher Jahrgänge – nach den Sommerferien in vier Klassen, 91 Kinder kommen. „Im vergangenen Jahr hatten wir nur 59 Anmeldungen.“ Grund dafür sei, dass die Realschule einen guten Distanzunterricht während der Pandemie angeboten habe. „Und das hat sich offenbar viel herumgesprochen.“
Städtische Gesamtschule: Maximal ausgelastet ist die Gesamtschule. „Wir könnten fast sechszügig sein in der Jahrgangsstufe 5“, sagt Sascha Stelzer, stellvertretender Schulleiter, und denkt an die 52 Ablehnungen, die seine Schule in diesem Jahr aussprechen musste (2020: 44). Dort beginnen nach den Ferien – wie im Vorjahr – 108 Kinder. Mit 36 Neuanmeldungen wächst laut Stelzer auch die Oberstufe, auf dann 112 Jugendliche.
Grundschulen: Bei den Gemeinschaftsgrundschulen sind die Zahlen nahezu konstant. In Hermesdorf werden nach den Sommerferien 44 Knirpse in zwei Klassen eingeschult (2020: 48), am Wiedenhof sind es 73 (76) in drei Klassen und in Isengarten zählt die Schulleitung 72 Kinder in drei Klassen (66). Alle Schulleitungen betonten auf Nachfrage, sie seien mit ihren Zahlen sehr zufrieden.