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Rastafari mit BombenkofferWie sich Konstanze ihren Vorurteilen stellte

Lesezeit 3 Minuten

Auf dem Flug in die Highlands hatte Konstanze Heinrich Angst vor einem anderen Fluggast. Danach war ihr klar, nie wieder Vorurteile gegen Menschen wegen deren Aufmachung oder gar Hautfarbe haben zu wollen.

  1. Bei unserem Sommerwettbewerb „Mein schönstes Ferienerlebnis“ stellen wir gemeinsam mit der Volksbank Oberberg Menschen mit einem besonderen Ferienerlebnis vor.
  2. Heute geht es um eine Flugreise mit großen Sorgen.

Denklingen – Der dunkelhäutige Mann mit Rauschebart und Rastazöpfen war ihr nicht geheuer. Seine schrill bunte Bekleidung hatte sie dabei weniger irritiert, als dieser silbrig glänzende Metallkoffer, den der Unbekannte noch im Flugzeug mit sich führte. Eine Bombe? Ganz sicher eine Bombe! Als wenn Konstanze Heinrichs Flugangst nicht schon zur Genüge strapaziert worden wäre.

Nine Eleven war 2002 gerade ein Jahr her und jetzt hatten sie einen Terroristen, zumindest einen mutmaßlichen, an Bord des Fliegers nach Schottland gelassen, einen Rastafari mit Bombenkoffer. Und der Kerl setzte sich auch noch direkt neben sie, schob den Koffer unter den Sitz.

Die Angst wächst

Konstanze Heinrich presste ihren Körper in den Sitz . . . Wann würde er zünden, gleich nach dem Start in Weeze oder gar über dem Ärmelkanal? Von ihr würde ohnehin kaum etwas übrig bleiben, sie saß ja quasi mit auf der Bombe.

Doch die explodierte nicht, und gleich nach der Landung in Edinburgh sprach der Terrorist sie auch noch an. Er habe ihre Angst bemerkt, ihren Argwohn gegenüber dem Koffer, sagte der Mann, der sich freundlich als Ben vorstellte – formvollendet, aber in breitem Ruhrpottslang. Ben aus Bochum mit Wurzeln in Jamaika, wie Konstanze erfuhr, war sogar dienstlich nach Schottland unterwegs, als Mitarbeiter der Telekom. Im metallenen Koffer hatte er sein Werkzeug . . .

Eine erlösend-herzliche Begegnung

Spätestens seit dieser nun schon 17 Jahre zurückliegenden Begebenheit war Konstanze Heinrich klar, nie wieder Vorurteile gegen Menschen wegen deren Aufmachung oder gar Hautfarbe haben zu wollen. Heute ist der mittlerweile 57-Jährigen diese zunächst für sie peinliche, aber schließlich erlösend-herzliche Begegnung ein „schönstes Ferienerlebnis“. Noch lange hatten sie und ihr Mann Michael Kontakt zu Ben, der aber letztlich der Liebe wegen Bochum verließ und mit seiner Frau in die karibische Heimat zog.

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Die Flugangst freilich ist Konstanze Heinrich erhalten geblieben, auch wenn sie mindestens einmal im Jahr nach Schottland reist – in Kürze wieder. „Ich liebe dieses Land und seine Menschen“, schwärmt sie, erzählt von engen, herzlichen Freunden, die sie dort hat.

Mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert

In Denklingen ist sie vielfach engagiert, seit vier Jahren im Rat, ehrenamtlich in der Grundschule oder für Greenpeace. Dass sie und ihr Mann, der bei der Bundeswehr in Köln arbeitet, elf Kinder haben, sieben Jungs und vier Mädchen zwischen 31 und 14 Jahren, lässt sie mitunter selbst zur Angriffsfläche für Vorurteile werden. Doch als gebürtige Norddeutsche aus Mölln, der Stadt des Till Eulenspiegel, liebt sie die direkte Ansprache: „Es gibt Leute, die halten es für asozial, elf Kinder zu haben. Aber wir haben so viele Kinder, weil ich es wollte und auch konnte.“

Wie furchtbar es ist, von einem auf den anderen Tag mit der gesamten Familie vor dem Nichts zu stehen, das mussten die Heinrichs im April 2015 erfahren. Kinder hatten in der Nachbarschaft am Denkmalweg gezündelt, als plötzlich trockene Tannen in Flammen aufgingen und das Feuer im Nu und nicht mehr zu stoppen auf das große Haus der Familie Heinrich übergriff. „Was blieb, das war die Bodenplatte“, erinnert sich Konstanze Heinrich. Als Großfamilie eine vorübergehende Bleibe zu finden, war dann gar nicht so einfach. Heute ist das Haus an Ort und Stelle wieder aufgebaut, ähnlich wie vorher und vermutlich auch so gemütlich eingerichtet, wie es damals sicherlich war. Vieles Persönliche ist mit dem Feuer verloren gegangen, auch Fotos oder Briefe von Ben. Die Erinnerung aber kann kein Feuer auslöschen – die Erinnerung an eine so unverhoffte Konfrontation mit den eigenen Vorurteilen.