Marion Reinecke, Vorsitzende des Freundeskreises Nümbrecht-Mateh Yehuda, schildert im Interview eindringlich ihre jüngsten Israel-Erfahrungen.
InterviewNümbrechterin schildert eindrücklich ihre Erfahrungen aus Israel
Frau Reinecke, was war der Anlass dieser Reise?
Unser scheidender Landrat von Mateh Yehuda, Niv Wiesel, war kürzlich in Nümbrecht, um sich von den Menschen und den vielen Freunden hier zu verabschieden, und hat uns bei dieser Gelegenheit zum Gegenbesuch eingeladen. Sein Vater hat mit der Städtepartnerschaft begonnen. Seiner Bitte, noch in seiner Amtszeit zu kommen, sind wir gerne nachgekommen. Wie das in einer Beziehung so ist: Man möchte in guten und in schlechten Zeiten miteinander sein. Und wir haben so oft gehört, dass eine große Dankbarkeit da war, dass wir in dieser Situation aus Deutschland gekommen sind, um das Leid mit den Menschen zu teilen und einfach zuzuhören.
Welche Orte haben Sie besucht?
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Wir haben in Mateh Yehuda gewohnt und sind dort auch unterwegs gewesen, dafür waren wir ja da, wir waren in Schulen, im Rathaus, haben uns erzählen lassen, wie die Menschen diesen Morgen des 7. Oktober erlebt haben. Es wurde uns geschildert, wie es ist, wach zu werden und plötzlich im Krieg zu sein. Dann sind wir ins arabische Dorf gefahren, um auch dort Präsenz zu zeigen. Auch da kennen wir viele Menschen, für die es nicht einfach ist, dort zu leben. Dann waren wir in Tel Aviv auf dem Platz der Geiseln. Landrat Niv Wiesel hatte uns jeweils darauf vorbereitet, was uns wo erwarten könnte. Wir haben dort unglaublich starke Menschen kennengelernt, etwa die Mutter, die an den Geburtstag ihres Sohnes erinnert hat, der noch als Geisel in Gaza ist. Seine Freunde haben dort Musik gespielt, um ein Zeichen zu setzen, und die Mutter sagte: Ich bin sicher, er kann die Musik in Gaza hören.
Haben Sie auch das Gelände des Supernova-Musikfestivals besucht?
Ja, es war mit die härteste Erfahrung, an dem Platz zu stehen, wo das Friedens-Festival stattgefunden hat und wo ungefähr 1200 junge Leute von der Hamas überfallen und wirklich aufs Grausamste niedergemetzelt und getötet wurden, die jungen Frauen sind missbraucht worden. Dieser Platz sieht heute aus wie ein Friedhof, er ist übersät mit Fotos, Kerzen, Briefen, Steinen. Dort hat Prof. Epstein in einer Zeremonie gespielt, in der die Menschen Kerzen anzünden und ein Gebet sprechen.
Hatten Sie auch Gelegenheit, den Kibbuz in der Nähe zu sehen?
Ja. Es war hart, dort die Häuser zu sehen, die genau so belassen wurden, wie sie nach dem Massaker aussahen. Man hat nichts verändert, man hat nur alle Blutspuren gereinigt. Die Haustüren stehen offen, Sie können in jedes der kleinen Häuschen hineingehen. Sie sehen die Kinderkleidung im Schrank hängen. Sie sehen durchschossene Kühlschränke und Betten, Sie sehen den Kinderroller vor der Tür stehen, die persönlichen Dinge der Menschen, abgewaschenes Geschirr vom Vortag. Es sind dort sehr viele Kinder ums Leben gekommen. Das waren die schlimmsten Eindrücke. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass Menschen so etwas tun können. Es haben sich unvorstellbare Dramen abgespielt. Die Terroristen haben vorne in der Straße begonnen, in die Häuser einzudringen, und in den anderen Häusern haben die Menschen quasi darauf gewartet, bis sie dran sind, weil es kein Entkommen gab. Bis auf einige sehr wenige, die rausgekommen sind, aber Angehörige zurückgelassen haben. Es sind vielfach gebrochene Menschen. Sie sehen dieses Leid auf jedem Gesicht. Die Menschen sagen: Es ist nichts mehr, wie es war, und es wird auch nie wieder so sein.
Was hat sich Ihres Erachtens seit dem terroristischen Überfall in Israel verändert?
Es hat sich viel verändert. Unterschiedliche Menschen haben uns in Israel gesagt: Ein Punkt, der uns belastet, ist diese Ruhe. Israel ist eigentlich immer lebendig, Jerusalem ist ruhiger, aber Tel Aviv ist die Stadt, die nie schläft, sagt man. Jetzt ist es sehr ruhig geworden, man spürt eine tiefe Traurigkeit. Aber die Menschen sind sehr eng zusammengerückt. Jeder versucht, für jeden da zu sein.
Medikamente wurden den Geiseln vorenthalten
Sprechen die Menschen in Israel über die Geiseln und die Versuche, sie zu befreien?
Es wird darüber gesprochen, das Thema Geiseln ist allgegenwärtig. Jetzt am Wochenende sind beispielsweise zwei Geiseln zurückgekommen, die die israelische Armee befreit hat. Wir haben auch mit israelischen Soldaten gesprochen. Für die ist es ganz entsetzlich zu sehen, dass unter Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen Waffenlager sind und die Hamas ihre Kommandozentralen hatte. Im Nasser-Krankenhaus haben israelische Soldaten jetzt die Medikamente gefunden, die Angehörige der Geiseln, die auf diese Medikamente angewiesen sind, übergeben hatten. Jetzt weiß man, dass diese nicht an die Geiseln weitergeleitet wurden.
Man weiß generell wenig über die Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Hamas befinden, oder?
Man weiß, dass die weiblichen Geiseln auch jetzt noch weiter vergewaltigt werden. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, diese Frauen kommen zurück, sind schwanger, und man weiß, die Vergewaltiger waren vielleicht diejenigen, die vorher einen Teil Ihrer Familie ausgelöscht haben, die aber auf jeden Fall an diesem Massaker beteiligt waren. Wie geht man damit um? Wenn eine Mutter sagt: Ich wünsche mir, dass meine Tochter nicht mehr lebt, damit sie diese ganzen Quälereien nicht erleben muss . . .
Wie schätzten die Menschen in Israel ein, wie sich die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union nach dem Hamas-Überfall verhalten?
Deutschland und die EU, aber Deutschland ganz besonders, wurden immer herausgestellt, und es wurde extrem positiv dargestellt, wie Deutschland an der Seite Israels steht. Die deutschen Politiker sind die ersten gewesen, die sich gemeldet haben und die auch in beständigem Kontakt sind. Deutschland ist höchst angesehen, die EU auch. Es kommt natürlich auch Kritik an Israel, das wissen die Menschen auch, aber im Grundsatz fühlen sich die Menschen unterstützt. Sie wissen aber übrigens auch, was sie für die Zukunft wollen und was sie nicht wollen, und das zeigen sie auch. Es gibt große Demonstrationen gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu. Die gab es schon vor dem 7. Oktober, aber die werden auch jetzt beibehalten. Auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv verknüpft sich beides: Angehörige, die zum Teil dort in Zelten übernachten, erinnern daran, dass sie die Geiseln zurück haben wollen. Sie kämpfen für ein neues Israel, mit einer neuen Regierung und für eine Zukunft.