Der Angehörige kann nicht verstehen, warum er die Täter nicht im Internet öffentlich machen soll. „Täterschutz geht hier vor Opferschutz.“
ÜberfallSohn des Bergneustädter Opfers kritisiert die Polizei
André Wang schüttelt den Kopf. Er soll etwas Unrechtes getan haben? Es soll nicht in Ordnung sein, dass er die Aufnahmen von dem Überfall auf seine Mutter im Internet verbreitet hat, um die Täter aufzuspüren? Der Engelskirchener ist frustriert: „In Deutschland geht Täterschutz vor Opferschutz.“
Mitte Juni war seine Mutter in ihrer eigenen Bergneustädter Wohnung brutal überfallen worden. Noch am selben Tag verbreitete die Polizei einen Fahndungsaufruf mit Beschreibungen von vier Männern, die an dem Verbrechen beteiligt waren. André Wang reichte das nicht. Um einen Beitrag zur Festnahme der Täter zu leisten, ließ er ein Video bei Instagram hochladen, das die von ihm bei seiner Mutter installierte Haustürkamera von dem Überfall aufgenommen hat. Die Aufnahme verbreitete sich blitzschnell. Wang hat in dieser Woche mehr als zwei Millionen Aufrufe gezählt.
Doch in dieser Zeitung musste er lesen, dass die Polizei solche privaten Fahndungsaufrufe aus Gründen des Datenschutzes kritisch sieht. Nicht die Verbrecher, ärgert sich Wang, sondern der unbescholtene Bürger werde „an den Pranger gestellt“. Das hat seine Verärgerung über die Ermittler noch einmal verstärkt.
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Ohnehin kann er nicht begreifen, dass die Verletzungen seiner Mutter von der Polizei in ihrer Pressemeldung als „leicht“ beschrieben wurden. Immerhin habe die 86-Jährige eine Nacht im Krankenhaus verbracht. Die Täter hätten sie zu Boden gestoßen, so dass sie eine Platzwunde am Kopf erlitt. Wang: „Wir hatten hier eine große Blutlache auf dem Boden.“ Zum anderen habe die alte Dame wegen des Knebels und der Kabelbinderfesseln im Gesicht und an Armen und Beinen große Blutergüsse davongetragen. Ganz zu schweigen vom seelischen Schaden. Zum anderen ärgert er sich, dass die Polizei nicht schneller reagierte, sondern ihm an jenem Freitag mitteilte, dass die Ermittler sich erst nach dem Wochenende um das Video kümmern wollten. „Da waren die Täter natürlich längst über alle Berge.“ Er wünschte sich, dass die Experten der Polizei seinen Eindruck früher überprüft hätten, dass sich die Männer in einer osteuropäischen Sprache verständigten.
Bergneustädterin berichtet von dem Überfall
Wangs Mutter versucht, zwei Wochen nach dem morgendlichen Überfall in ihr normales Leben zu finden. Zunächst wollte sie gar nicht zurück in das Haus, dann entschied sie sich doch dafür, in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Mit erstaunlicher Gefasstheit berichtet die 86-Jährige von diesem traumatisierenden Freitagmorgen.
Als es an der Tür klingelt, liegt die Bewohnerin noch im Bett. Dann hört sie den Ruf „Polizei!“, öffnet aufgeregt die Tür und wird von den Eindringlingen brutal überwältigt. Todesangst habe sie nicht gehabt. „Die Männer hätten mich ja gleich am Anfang töten können.“
Stattdessen fesseln sie die wehrlose Frau, durchsuchen die Wohnung und finden Schmuck und Bargeld. Bevor sie verschwinden, nehmen sie der Bewohnerin den Knebel aus dem Mund und ziehen die Haustür zu — zu ihrem Glück. Denn als sie danach um Hilfe ruft, kommt einer der Männer zurück, wie ein weiteres Video dokumentiert.
Der Mann hat diesmal keine Maske mehr vor dem Mund, aber in der Hand Kabelbinder und Klebeband, offenbar, um sein Opfer wieder zu knebeln, dabei in Kauf nehmend, dass es erstickt. Als der bullige Mann aber vor der verschlossenen Tür steht, dreht er um.
Unklar ist Mutter und Sohn, warum die Täter das unscheinbare Haus an der Kölner Straße gezielt aufsuchten. Bekamen sie einen Tipp? Oder haben sie die alte Dame beim Geldabheben beobachtet?
André Wang hat inzwischen kaum noch Hoffnung, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. „Aber wenn doch, dann weil sich die Wahrscheinlichkeit durch das Video im Internet potenziert hat.“ Allemal glaubt er, mit der Veröffentlichung der Aufnahme das Richtige getan zu haben: Alleinlebende Menschen sollen wissen, dass sie sich schützen sollten. Er selbst bekommt die Bilder von der Haustür direkt aufs Handy. Nur leider hatte er die Benachrichtigung an diesem Morgen deaktiviert, weil die Kamera auch bei jeder vorbeistromernden Katze ansprang und ihn bei der Arbeit störte.
Wichtiger noch ist für André Wang: Potenzielle Täter sollen wissen, dass sie damit rechnen müssen, gefilmt zu werden. „Vielleicht haben die Aufnahmen ja eine Präventivwirkung.“
Das sagt die Polizei
Die Pressestelle der Polizei teilt auf Anfrage mit, dass sie Haustürkameras für sinnvoll hält. Diese könnten Täter abschrecken oder wie in diesem Fall bei den Ermittlungen helfen. Die Betreiber müssten sich aber an die datenschutzrechtlichen Bestimmungen halten. Nähere Informationen darüber bekomme man über die Landesbeauftragte für Datenschutz (lid.nrw.de).
Es gilt: „Sobald Fotos öffentlich gemacht werden, brauche ich in der Regel die Zustimmung der abgelichteten Person“, warnt die Polizei. Unter Umständen dürfen sonst auch Videos und Tonaufnahmen im Strafprozess nicht als Beweismittel zugelassen werden. Die Entscheidungshoheit liege dann beim Gericht. „Wir wollen niemanden an den Pranger stellen“, schreibt die Polizei, „sondern kommen lediglich unserer gesetzlichen Verpflichtung nach.“ Die Polizei habe die Aufgabe, Straftaten zu verhüten. Dazu gehöre auch die Aufklärung über Straftaten, die mit dem Veröffentlichen von Fotos und Videos in den Sozialen Medien verbunden sind.
Die Polizei selbst dürfe Videoaufzeichnungen bei einer Öffentlichkeitsfahndung in der Regel nur auf eine richterliche Anordnung hin einsetzen und nur, wenn andere, für den Betroffenen weniger beeinträchtigende Fahndungsmaßnahmen, voraussichtlich nicht zum Erfolg führen oder erfolglos waren.