Nach Rock am Ring und Formel 1So positioniert sich der Nürburgring neu
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Nürburg – Noch dämmert sie im Dornröschenschlaf, doch es regt sich neues Leben: Die Nürburg soll künftig stärker ins touristische Geschehen der Eifel eingebunden werden. Aber auch im Dorf Nürburg und am Nürburgring herrscht Aufbruchstimmung.
Willkommen im "höchsten Restaurant von Rheinland-Pfalz". Paul und Jeremy, zwei Besucher aus Manchester, sitzen in einem Lokal zwischen Nürburg und Nürburgring, lassen den Blick über das Dorf Nürburg schweifen - und bestaunen die perlende Pracht eines frisch gezapften Eifelbieres, das ihnen der Kellner des 648 Meter hoch gelegenen Restaurants Zur Nürburg gerade auf die Sonnenterrasse herbeibalanciert hat. Und auf dem Tisch liegt der zweisprachige Flyer, der den internationalen Freunden des Motorsports in Rot auf Beige das topographische Alleinstellungsmerkmal verkündet: "Welcome to the highest restaurant in Rhineland-Palatinate."
Es ist Sonntag, Paul und Jeremy befinden sich im Kurzurlaub, und das Pils aus Bitburg genießt einen guten Ruf. Also: Cheers! Dann stehen die beiden Mittdreißiger auf und besuchen die Ruine nebenan - die Nürburg.
Auf den Bewertungsportalen im Internet lobt eine Besuchergruppe aus Monte Carlo die Schnitzel des Restaurants, ein Gast aus Belgien genoss "heiße Waffeln mit Kirschen". Doch deswegen verirrt sich kein Mensch in die tiefste Eifel. Seit dem 18. Juni 1927 indes profitiert die Region von der enormen Anziehungskraft des Nürburgrings, dessen Kultstatus durch die Nordschleife begründet wurde. Seit der Erweiterung im Jahr 1984 gibt es zu dieser kurvenreichen Langstrecke (20,8 km) den Formel-1-tauglichen Grand-Prix-Kurs (5,1 km). Heute werden beide Strecken oft kombiniert, etwa bei 24-Stunden-Rennen und der VLN-Langstreckenmeisterschaft.
Burganlage im Dornröschenschlaf
Kurios: Das Dorf mit seinen knapp 200 Einwohnern liegt am Rande des Rings - und gleichsam im Zentrum der Nordschleife. Noch kurioser: Die Burg kennt weltweit wohl jeder Motorsportfan aus dem Fernsehen, die Silhouette ist eine unbezahlbare Marke. Doch kaum jemand kennt die Burganlage. Sie dämmert im Dornröschenschlaf. Noch.Im höchsten Restaurant sitzt heute auch Richard Hammes, er war einst "der höchste Beamte" von Rheinland-Pfalz. Hammes hat als Lehrer in der Volksschule von Nürburg gewirkt. Der 71-jährige Pensionär aus Adenau führt regelmäßig Gäste durch die Burganlage, bereits 1980 hat er eine kleine Chronik verfasst. "Die auf einem tertiären Basaltkegel errichtete Nürburg war im Mittelalter die mächtigste aller Eifelburgen", heißt es darin.
Der Name geht wohl auf das lateinische "mons nore" - der schwarze Berg - zurück. 1166 wurde die Höhenburg erstmals urkundlich erwähnt, Erbauer waren die Grafen von Are. Es folgte ein typisches Burgenschicksal: mehrere Besitzerwechsel, Verfall, Aufbau, Plünderung, Steinbruch, Ruine. Und schließlich Sicherungsmaßnahmen seit dem 19. Jahrhundert.
Rundgang. In der Vorburg stehen die Reste der Burgkapelle, durch ein massives Doppeltor geht es in die Hauptburg. Der Kassierer in seinem kleinen Kabuff hält pro Person 2,50 Euro ab. "An guten Tagen kommen über 100 Besucher", sagt der Ehrenamtliche. "Engländer, Japaner und viele Deutsche, die finden die Ruine schön". Der Besucher durchschreitet die Zwingeranlagen und malt sich die Szenen aus, wenn Eindringlinge im Mittelalter hier ohne Deckung unter Beschuss genommen wurden. Dann der 20 Meter hohe Bergfried. Eine enge Treppe führt zur Plattform des Hauptturms. Und die Aussicht sucht ihresgleichen.
"Am Abend ist die Burg am schönsten", zitiert Hobbyhistoriker Richard Hammes den Bonner Gelehrten Gottfried Kinkel (1815-1882), der seine Eindrücke 1846 im Reisebericht "Die Ahr" festgehalten hat. Allerdings hat Kinkel genauer hingeschaut: "An den Felskegel der Nürburg lehnt sich das elende Dörfchen gleichen Namens; jetzt, wo die Nürburg nur noch vom Raubvogel bewohnt wird, sinkt das Dorf fast wieder in den Schoss der vernichtenden Natur zurück."
Die Gedanken sind frei auf dem Hauptturm der Nürburg. Und sie verfangen sich in Widersprüchen. Eifellandschaft aus dem Bilderbuch, zumindest auf 270 Grad. Die restlichen 90 Grad nehmen die Anlagen des Nürburgrings ein. Ring-Racer inklusive.
Bewegte Geschichte der letzten Jahre
Eine Achterbahn der Gefühle erlebte die Region in den vergangenen Jahren. Insolvenz der Nürburgring GmbH 2012, dann Formel 1 weg, Rock am Ring weg. Mit dem russischen Investor Wiktor Charitonin kehrte ab Oktober 2014 etwas Ruhe ein.
Die neue Betreibergesellschaft Capricorn Nürburgring GmbH nabelt sich ab von alten Abhängigkeiten. "Klar, die Formel 1 wäre schön", sagt Ring-Sprecher Uwe Baldes, "aber nicht zu jedem Preis". Auch das Rockfestival müsse sich rechnen. Das Kerngeschäft ist ein anderes: große Rennen wie DTM und Truck Grand Prix, Streckenvermietung an Auto- und Reifenhersteller für Testfahrten, Branchentreffs. "Allein bei den Publikumsveranstaltungen haben wir 2015 rund 650 000 Besucher gezählt", sagt Baldes. Bei den Rennstrecken liege die Auslastung bei 95 Prozent. Besonders beliebt: Fast täglich können Privatpersonen ihre Lieblinge durch die Nordschleife steuern.
Auch die Hotellerie schöpft neuen Mut. "Die Buchungszahlen für 2017 sind erfreulich", sagt Ulrike Gottmanns von Lindner Hotels Nürburgring. Der Ferienpark ist 2016 zum dritten Mal in Folge von den Gästen des holländischen Anbieters Ferienpark Specials zum "Besten Deutschen Ferienpark" gewählt worden.
Die Aufbruchstimmung scheint sich auch auf die Burg zu übertragen. Im Mai hat der Nürburger Kurierservice-Dienstleiter Hans-Peter Hoffmann von der landeseigenen Generaldirektion Kulturelles Erbe die Anlage gepachtet. Er will die Ruine wachküssen, heißt: "besser vermarkten". Hoffmann denkt dabei an Veranstaltungen unter anderem für Firmen und Hotelgäste. Neulich fand in der Burgkapelle bereits eine Hochzeitsfeier statt. Ein Anfang wäre gemacht.
Nürburg
Die Burg Öffnungszeiten: Oktober bis März 9-17 Uhr; April bis September 9-18 Uhr; im Dezember und am ersten Werktag der Woche geschlossen