Laubhüttenfest in LeverkusenJüdisches Leben, so normal es eben geht
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Eine Zitrone und Zweige gehören dazu. Gilvarg Arkadi erklärt das Laubhüttenfest.
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Der Sitz des Vereins Davidstern liegt ziemlich im Verborgenen.
In der früheren Wiesdorfer Post begehen die Mitglieder das Laubhüttenfest.
Die Juden halten Leverkusen für ein friedliches Pflaster. Trotzdem feiern sie unter Polizeischutz.
Leverkusen – Auf der kalt verregneten Kaiserstraße im alten Wiesdorf passiert man erstmal einen Polizeiwagen, bevor es nach rechts in den Hinterhof des alten Hauses geht. Lediglich ein kleines Schild weist darauf hin, um was es hier geht: „Davidstern“. Im Haus – es war ursprünglich das Wiesdorfer Postamt – hat der kleine jüdische Verein von Leverkusen seinen Sitz.
Im Hinterhof steht eine Art Zelt. Vom Dach hängen die spitzen Blätter einer Yuccapalme. Der seltsame Bau ist die abstrahierte Nachbildung einer Hütte. Darin steht etwas zu trinken und zu essen. In alttestamentarischer Zeit lebte man während der Ernte an den Feldern und Weinbergen in einfachsten Hütten, deshalb feiert man im Judentum im Oktober das Laubhüttenfest; es entspricht ungefähr dem christlichen Erntedankfest.
Die Laubhütte erinnert an biblische Behausungen zur Erntezeit.
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Auch in Wiesdorf begeht der Verein Davidstern diesen Brauch. Ein kleines Festessen, Limonade, süßer Wein und ein paar hochgeistige Getränke – denen dann meist die Männer zusprechen. Doch bevor es zum Essen geht, erklärt Vereinsmitglied Gilvarg Arkadi den Brauch, den er mit einem speziellen Strauß aus Zweigen und Palmen und einer Zitrone vorführt.
Der 2011 gegründete Davidstern ist ein Verein, keine Gemeinde, denn dazu fehlt unter anderem ein Rabbiner. „Unser Traum“, sagt der Vorsitzende Lev Ismikhanov, „ist eine Synagoge“. Gilvarg Arkadi ist einfaches Mitglied, aber er hat sich mit den jüdischen Traditionen beschäftigt und im Verein als sachverständig in Religionsangelegenheiten gilt. Kurzes Gebet. Amen.
„Nicht alle von uns sind in diesen Themen total sattelfest“, sagt Nonna Kellner, die dem Reporter als Tischdame und Übersetzerin zugeordnet wird, „die Religion wird bei uns gelebt, meist aber nicht so streng“. Nur ein paar der Männer tragen beim Laubhüttenfest die typisch jüdische Kopfbedeckung.
Teigtaschen, Datteln und Salat
Die Opladenerin ist, wie so gut wie alle anderen 150 Vereinsmitglieder, in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen. Sie sei Sportlerin, sagt sie. 1980 in Moskau bei den Olympischen Spielen sei sie dabei gewesen, habe als Nachwuchstalent Fähnchen bei der Eröffnungs- und Schlussfeier schwenken dürfen. 1984 hätte sie womöglich als Kunstgymnastin in Los Angeles für ihr Land antreten können - wenn nur Russland nicht damals die Spiele in den USA boykottiert hätte.
Auf den Tischen stehen mittlerweile Rote-Beete-Salat, Datteln aus Israel und Teigtaschen. Man isst und trinkt, die Stimmung wird locker und die Gespräche werden lebhaft.
Man lässt sich nicht beeindrucken
Lev Ismikhanov ist der Vorsitzende des Vereins. Natürlich war und ist das Attentat auf die Synagoge in Halle ein Thema im Verein, aber: „Wir lassen uns nicht beeindrucken, wir wollen hier jüdisches Leben ermöglichen, das ist alles.“ Ein paar Freunde und Mitglieder des Vereins haben nach dem Attentat am Platz der Synagoge in Opladen für die Getöteten Kerzen aufgestellt. In aller Stille.
Die Synagogen-Stele in Opladen.
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Man kann nicht sagen, dass Ismikhanov darüber froh ist, dass die Polizei jetzt sieben Tage, 24 Stunden, das Vereinshaus in Wiesdorf bewacht, aber es beruhigt ihn. Bei Festen und freitags war die Polizei schon immer zur Bewachung da. Aus Sicherheitsgründen sind im Versammlungsraum Milchglasscheiben eingesetzt, was dem Haus fehlt, ist ein stabiles Hoftor zur Kaiserstraße. Darüber verhandelt Ismikhanov gerade: „Wenn wir das Tor hätten, wäre das gut.“
Sowohl der Vorsitzende als auch Nonna Kellner finden, dass Leverkusen ein friedliches Pflaster sei, aus ihrer speziellen Sicht. Niemand, der auf der Feier ist, hat etwas dagegen, in der Zeitung auf Bildern zu erscheinen. Nur bei einem privaten Problem glaubt Lev Ismikhanov, dass Antisemitismus dahinter stecken dürfte.
„Bis bald“ – vorbei geht es an der improvisierten Laubhütte über den offenen Hof auf die Kaiserstraße. Dort sitzen die zwei Polizisten und grüßen aus dem Auto. Auf dem Armaturenbrett liegt ein Tablett, auf dem sich die Teigtaschen stapeln.