Auch wenn die Zahl der Kirchenaustritte zuletzt wieder zurückgegangen ist: Die Mitgliederzahl im Erzbistum Köln ist in den letzten zehn Jahren um fast 380.000 geschrumpft. Deutlich stärker als im Nachbarbistum Münster. Wie lange bleibt Köln die größte deutsche Diözese?
KirchenaustritteIst Köln bald nicht mehr das größte deutsche Bistum?
Kein anderes der 27 deutschen Bistümer hat mehr Gläubige als das Erzbistum Köln. Seit Jahrzehnten steht das fest, wenn es denn jemals anders war. Wenn Journalisten eine Umschreibung für das Erzbistum suchen, schreiben sie einfach „das größte deutsche Bistum“. So selbstverständlich, wie sie Köln als Domstadt oder Rheinmetropole bezeichnen. Das größte deutsche Bistum ist Köln. Ist überhaupt etwas anderes denkbar?
Nun ja. Ende Juni verbreitete die Deutsche Bischofskonferenz die Kirchenstatistik für 2024. Das Erzbistum Köln hatte demnach im vergangenen Jahr noch knapp 1,68 Millionen Mitglieder – oder nehmen wir es lieber auf die letzte Ziffer genau: 1.678.754 Katholiken wohnten auf dem Gebiet des Erzbistums. Das waren noch genau 9.425 Kirchenangehörige mehr als im Bistum Münster. Immerhin, Köln liegt knapp vorn, könnte man sagen – nur: Zehn Jahre zuvor betrug der Abstand noch 116.071 Personen. In diesen zehn Jahren hat Köln durch Austritte 271.821 Katholiken verloren, in Münster waren es 179.645.
Lange hatte München höhere Austrittszahlen als Köln
Allein im vergangenen Jahr haben 40.913 Katholiken im Erzbistum Köln ihren Austritt erklärt, im Bistum Münster waren es 29.755. Unterm Strich verabschiedeten sich in Köln also trotz ähnlicher Größe 11.158 Kirchenangehörige mehr. Wenn sich der Trend in Köln nicht deutlich verbessert (oder in Münster verschlechtert), dann fällt das Erzbistum in absehbarer Zeit Jahr hinter das Nachbarbistum zurück, vielleicht schon in diesem Jahr.
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Dass das Erzbistum Köln hohe Austrittszahlen hat, derzeit sogar die höchsten deutschlandweit, überrascht an sich nicht. Es ist eben das – noch – größte deutsche Bistum. Auch wenn es Zeiten gab (die Jahre 2014 bis 2020), in denen das kleinere Erzbistum München und Freising höhere Zahlen nennen musste als Köln.
Gibt es einen „Woelki-Effekt“?
Sinnvoll vergleichbar werden Austrittszahlen erst dann, wenn man sie ins Verhältnis zur Größe der Bistümer setzt. Der Sozialwissenschaftler Carsten Frerk von der kirchenkritischen „Forschungsgruppe für Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid) betonte kürzlich, die mediale Aufmerksamkeit rund um Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki entspreche keinesfalls dem realen Austrittsgeschehen. „Bezogen auf die Anzahl der Austritte als Anteil an den Kirchenmitgliedern stehen die Bistümer Hamburg, Berlin und Limburg an der Spitze.“ Es gebe keinen „Woelki-Effekt“, hatte er schon vor zwei Jahren geschrieben.
Köln folgt mit knappem Abstand hinter Limburg auf Platz 4. Man muss allerdings schon die zweite Stelle hinter dem Komma auswerten, um diese Platzierung zu ermitteln: In Limburg haben 2,42 Prozent der bis dato eingeschriebenen Katholiken die Kirche verlassen, in Köln waren es 2,35 Prozent, in Hamburg – der Diözese mit dem schlechtesten Wert – 3,32 Prozent. Der Bundesschnitt lag bei 1,92 Prozent. Auch in den vergangenen Jahren rangierte Köln auf dem vierten Platz, während Berlin, Hamburg und zeitweise auch München die schlechtesten Werte meldeten.
Das mag etwas mit der sozialen Struktur in Großstädten wie Köln, München, Berlin und Hamburg zu tun haben. Das gilt auch für Limburg, wo der Bischof zwar im Lahn-Städtchen residiert, knapp 30 Prozent der Katholiken aber in der Bankenhochburg Frankfurt leben. Das Bistum Münster, das zwar bis zum Nordrand des Ruhrgebiets reicht, in weiten Teilen aber kleinstädtisch und ländlich geprägt ist, hat traditionell weniger ungünstige Werte als Köln.
Entwicklung in Köln hat sich beschleunigt
Was den Kölnern allerdings noch mehr Sorgen machen muss als vielen anderen Bistümern, ist die Beschleunigung der Entwicklung. Schaut man nur auf die Veränderung der absoluten Zahlen, dann erscheint die Kölner Bilanz (140 Prozent mehr Austritte als 2013) noch erträglich etwa im Vergleich mit Passau (plus 234 Prozent) und – ja – auch mit Münster (plus 194 Prozent). Bundesweit liegt die Steigerung bei 125 Prozent.
Aber: 2021 stieg die Quote der Austritte im Erzbistum Köln deutlich steiler an als bundesweit, und seither liegt sie nicht mehr wie einst im Mittelfeld. 2020, als sich die Diskussion über den Umgang mit sexualisierter Gewalt bereits stark zuspitzte, hatte die Corona-Pandemie noch für einen Rückgang gesorgt. Aber im längerfristigen Vergleich ist die Dynamik unübersehbar: 2013 – im letzten vollen Amtsjahr von Woelkis Vorgänger Joachim Kardinal Meisner, der dann Anfang 2014 emeritiert wurde – traten hier 0,82 Prozent der Kirchenmitglieder aus (Bundesschnitt 0,72 Prozent), 2019 waren es 1,25 Prozent (bundesweit 1,19 Prozent). 2023 dann die erwähnten 2,35 Prozent. Ein Sprung um 1,1 Prozentpunkte in fünf Jahren. Bundesweit ergaben sich 0,73 Punkte, in Münster 0,84.
Bei Katholiken spielen „Zorn und Wut über die eigene Kirche“ als Austrittsmotiv bundesweit eine weitaus größere Rolle als bei Protestanten, wo eher Gleichgültigkeit die Austritte begründet. Das hat die von Evangelischer und Katholischer Kirche Ende 2023 gemeinsam vorgelegte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ergeben. „Wir müssen anerkennen, dass der schmerzvolle Weg der Aufarbeitung und andere Krisen das Vertrauen vieler Menschen in die Kirche heftig erschüttert haben“, erklärt das Erzbistum Köln.
Erzbistum: Gute Seiten der Kirche sichtbar machen
Gibt es Abhilfe? Nach eigenen Angaben bemüht sich das Erzbistum darum, dass Menschen insbesondere auf der persönlichen Ebene wieder vermehrt positive Erfahrungen mit Glauben und Kirche machen können: „Vor Ort in unseren Pfarreien, bei besonderen Lebensereignissen wie Taufen und Hochzeiten, bei den vielen kirchlichen Unterstützungsangeboten im sozial-caritativen Bereich, aber auch auf der Ebene unseres Erzbistums“. So will man „die vielen guten Seiten der Kirche sichtbar machen“ und dafür sorgen, das sie – bei aller Kritik – nicht vergessen werden.
Ein Indiz, das den Kölnern etwas Hoffnung machen mag, sind die Daten des Amtsgerichts Köln: In den ersten beiden Quartalen 2024 wurden dort 6848 Kirchenaustritte registriert, knapp 1200 weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das Gericht unterscheidet dabei nicht zwischen Konfessionen. Sollten die Kölner Zahlen dennoch auch für das Erzbistum einen Trend markieren, gäbe es das zweite Jahr in Folge einen Rückgang bei den Austritten. Und immerhin: Dieser Rückgang lag 2023 gegenüber 2022 in Köln mit 20,3 Prozent im Bundesschnitt (23 Prozent), während sich zum Beispiel Limburg nur um 12,8 Prozent verbesserte – München allerdings um 32,9 Prozent. In Münster waren es 21,5 Prozent.
Generalvikar Assmann: Kirche hat Zukunft
Der Kölner Generalvikar Guido Assmann nennt den Rückgang eine positive Entwicklung. „Als Kirche haben wir einen Sendungsauftrag und möchten möglichst viele mit der Frohen Botschaft von Jesus Christus erreichen und sie einladen in unsere Gemeinschaft“, erklärt er der Rundschau: „Das wird uns weiter antreiben. Schließlich hat unser Erzbischof die Neuevangelisierung als ein vorrangiges Ziel genannt, das ihm sehr am Herzen liegt.“ Assmann würdigt die vielen Ehrenamtler und hauptamtlich Aktiven und hofft sogar, „dass wir als Kirche eine Zukunft haben und sogar wieder eine von ‚innen heraus‘ wachsende Kirche werden können“.
Aber was ist jetzt mit Münster? Wird das westfälische Bistum, das zur Kölner Kirchenprovinz gehört und in der Frühen Neuzeit jahrhundertelang von Kölner Erzbischöfen einfach mitregiert wurde, das Erzbistum am Rhein als Mitglieder-Primus ablösen? Besser gefragt: Wann wird das passieren? Neben den Kirchenaustritten sind auch andere Faktoren zu bedenken – Zu- und Wegzüge, vor allem aber Taufen (2023 im Erzbistum Köln 10.278, in Münster 11.919) und Sterbefälle (Köln 2023: 17.595 kirchliche Bestattungen, in Münster rund 1200 mehr). Die Kölner möchten sich nicht auf eine Prognose zur Statistik 2024 einlassen, denn sie sei „gegenwärtig nicht sinnvoll“: „Sie würde mit Blick auf das laufende Jahr viele Unwägbarkeiten enthalten.“