Ab dem 1. Juni gilt das 9-Euro-Ticket bundesweit im Nahverkehr. Schon mehr als sieben Millionen Menschen haben es sich gekauft. Über Chancen und Risiken des neuen Tickets sprach Klaus Müller mit Dr. Norbert Reinkober, Geschäftsführer des Nahverkehr Rheinland (NVR) und Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS).
Bahn setzt mehr Personal zum Start des 9-Euro-Tickets ein
Für ein reibungsloses Ein- und Aussteigen am Bahnsteig plant die Deutsche Bahn zum Start des 9-Euro-Tickets an 17 besonders stark frequentierten großen Stationen in NRW,darunter Köln, Bonn und Düsseldorf den Einsatz von so genannten Reisendenlenkern, insbesondere für die Wochenenden und an den Feiertagen. Sie sollen dafür sorgen, dass sich die Fahrgäste besser am Bahnsteig verteilen, damit alle möglichst zügig ein- und aussteigen und die Züge pünktlich abfahren können.
„Fahrradlotsen“ kümmern sich um Fahrgäste mit Fahrrädern an den Bahnhöfen. Weil Züge sehr voll werden können, kann die Mitnahme von Fahrrädern nicht garantiert werden.
Außerdem unterstützt zusätzliches Personal die Service-Kräfte vor Ort. Bei Bedarf setzt DB Regio NRW zusätzliche Mitarbeitende aus dem Prüfdienst und der Verwaltung ein. Zudem wird DB Regio NRW die Reinigungsintervalle der Züge verkürzen und die Zahl der Reinigungskräfte für die sogenannte Wendereinigung verdoppeln.
Durch Sonderschichten und Bereitschaften vor allem an den Wochenenden und Feiertagen verstärkt die DB auch ihre Instandhaltungstrupps in den Werkstätten sowie die Reinigungsteams an Bahnhöfen und Reinigungsanlagen. Zusätzliche Ersatzteile für Klimaanlage, Toiletten und Türen werden vorgehalten, um zügig erforderliche Reparaturen durchführen zu können. (kmü)
Womit rechnen VRS und NVR zum Start des 9-Euro-Tickets? Ist mit völlig überfüllten Bussen und Bahnen und frustrierten Fahrgästen zu rechnen, die nicht mitgenommen werden können?
Ich möchte zunächst betonen, dass es sich beim 9-Euro-Ticket um ein großes Feldexperiment der Bundesregierung handelt. Da es so etwas noch nicht gegeben hat, fehlen die Erfahrungswerte und eine Prognose fällt schwer. Derzeit befinden sich die Fahrgastzahlen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bei etwa 85 Prozent im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Daher gehen wir davon aus, dass momentan noch Platz für zusätzliche Fahrgäste besteht.
Wie beurteilen Sie, dass ausgerechnet zum Start des neuen Nahverkehrstickets auf der Schiene zwischen Köln und Mainz gebaut wird und zeitweise nur Schienenersatzverkehr fährt?
Das ist bedauerlich, aber auch unabänderlich. Bauarbeiten auf der Schiene werden lange im Voraus geplant, das ist auch bei den aktuellen noch bis zum 10. Juni andauernden Maßnahmen so gewesen. Bauarbeiten, vor allem unter dem rollenden Rad, bedeuten immer Einschränkungen für die Fahrgäste, andererseits sind wir sehr froh, dass so viel Geld in die Hand genommen wird, um die Strecken zu modernisieren. Das kommt den Fahrgästen zukünftig zu Gute.
Was passiert, wenn viele Fahrgäste an den Stationen zurückbleiben müssen, weil Bahnen oder Busse überfüllt sind?
In den Hauptverkehrszeiten an den Wochentagen können wir auf der Schiene keine zusätzlichen Züge fahren lassen, da dort schon mit der höchstmöglichen Kapazität gefahren wird. Mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen stimmen wir als NVR gerade ab, wo am Wochenende und an Feiertagen Stärkungen der Kapazität möglich sind. Dies bedeutet, dass geprüft wird, wo längere Züge als regulär geplant eingesetzt werden können.
Fahrgastverband Pro Bahn NRW rechnet mit Engpässen
„Wir erwarten vom 9-Euro-Ticket gemischte Erfahrungen bei den potenziellen neuen Fahrgästen“, sagt Lothar Ebbers, der Pressesprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn NRW, auf Anfrage der Rundschau. Es werde deutliche Engpässe und Verspätungen insbesondere in den Zeiten und auf den Relationen des Freizeitverkehrs geben, also vor allem an Wochenenden auf Strecken in touristische Gebiete und in attraktive Städte, ebenso in langlaufenden Regionalexpress-Linien wie zum Beispiel RE 1 (Hamm - Aachen), RE 5 (Wesel - Koblenz) und RE 6 (Minden - Köln). Auch werde in den drei Monaten der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets auf der Schiene viel gebaut, auf zahlreichen Strecken sei das Angebot daher eingeschränkt oder es fahren Busse im Schienenersatzverkehr.
Wenn zum Beispiel ab 17. Juni die S 6 nicht mehr durchgängig zwischen Köln und Düsseldorf verkehrt, gibt es aber weiterhin den Weg über Neuss. Auch auf anderen Relationen können Fahrgäste auf parallele Routen ausweichen, so Pro Bahn NRW.
„Andererseits kann der ÖPNV vielerorts sein in den letzten Jahren verbessertes Angebot präsentieren, wir verweisen beispielhaft auf die zahlreichen neuen Schnellbuslinien in den Kreisen des Rheinlands. Hier sollten die Nutzer des 9-Euro-Tickets mal ausprobieren, wie gut die Verbindungen in ihrer Wohnumgebung tatsächlich sind. Auf den meisten Strecken sind die Fahrgastzahlen in den Sommermonaten niedriger als im Rest des Jahres, da ist noch viel Platz frei“, sagt Ebbers.
Sein Tipp an alle Nutzer: „Fahren Sie nicht dahin, wo alle hinwollen! Es gibt viel mehr schöne Ecken und interessante Städte und Dörfer im Land als man gemeinhin denkt“. (kmü)
Ich möchte betonen, dass diese Zusatzkosten nicht von den Finanzmitteln, die der Bund bereitstellt, gedeckt sind. Bei den Bussen und Straßenbahnen sind die Städte, Kommunen oder Kreise die Aufgabenträger, die bestimmen, wie viel gefahren wird. Dazu können wir keine Aussage treffen.
Werden mehr Zugbegleiter und Helfer eingesetzt, um die Sicherheit in den Verkehrsmitteln und an den Bahnsteigen zu gewährleisten?
Dazu wurden bislang vom Bund keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt. Aufgrund der angespannten finanziellen Lage der Branche ist das aus eigenen Mitteln schwer zu realisieren. Der DB-Konzern hat allerdings angekündigt, zusätzliche Kräfte einsetzen zu wollen.
Und was ist mit der Gepäck- und Fahrradmitnahme, wird das unter Umständen nicht möglich sein und Radfahrer am Bahnsteig zurückbleiben?
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Hier gelten die gleichen Bestimmungen wie immer. Es gibt keine Beförderungspflicht, sondern es muss genügend Platz in den Fahrzeugen vorhanden sein (Anm. d. Red., siehe auch „Bahn setzt mehr Personal ein“).
Welche Erwartungen haben Sie über den 9-Euro-Ticket-Zeitraum hinaus? Glauben Sie an einen nachhaltigen Effekt auf den ÖPNV? Oder könnte der Schuss auch nach hinten losgehen, wenn Menschen negative Erfahrungen machen?
Wir freuen uns, dass das Thema Mobilität und öffentlicher Nahverkehr im Fokus steht. Wir stehen zwar jetzt vor einigen Herausforderungen. Wie diese genau aussehen, bleibt allerdings abzuwarten. Wer als Fahrgast von den Mitnahmeregelungen eines Ticket-Abonnements in seinem Verbundgebiet profitieren möchte, sollte schnell ein Abo abschließen. Wir hoffen, dass wir noch mehr Berufspendler gewinnen können, den Weg zur Arbeit zukünftig klimafreundlich zurückzulegen.
Ein nachhaltiger Effekt kann jedoch nur erzielt werden, wenn weiter in den Ausbau der Infrastruktur und die Verbesserung des Leistungsangebotes investiert wird. Zudem muss der Bund aus unserer Sicht dauerhaft massiv in die Finanzierung einsteigen, auch in die Tarife, um die Nutzer dauerhaft zu entlasten. Hier ist das 9 Euro-Ticket ein willkommener Einstieg.