AboAbonnieren

Polizisten angezeigtWas stieß Selim A. im Bahnhof Satzvey zu?

Lesezeit 6 Minuten
1310_Bahnhof_Satzvey_1

Auf dem Bahnsteig gab’s Tumult unter den Fahrgästen, als vier Polizisten den sich sträubenden Selim A. in die  Satzveyer Bahnhofshalle brachten. Dort sei er über eine der Bänke gestürzt, sagen sie. (Fotos: Mager)

Kreis Euskirchen – Selim A. (Name geändert), Mandant des Euskirchener Rechtsanwalts Michael Hermans, heißt möglicherweise gar nicht Selim A. Selbst sein Anwalt weiß nicht, wer sein Klient, der Euskirchener Polizisten beschuldigt, ihn vor fast anderthalb Jahren verprügelt zu haben, wirklich ist. Selim A. lebt derzeit in einer Unterkunft im Kreis Euskirchen, in der er aber laut seinem Anwalt selten anzutreffen ist. Ihm droht die Abschiebung nach Italien, obwohl er angibt, Flüchtling aus Syrien zu sein. Er verweist auf eine Schussverletzung am Fuß, die er im syrischen Bürgerkrieg erlitten haben will.

Doch die deutschen Behörden haben laut Hermans mittlerweile Hinweise auf gleich vier Identitäten jenes Mannes, der gegen vier Polizisten der Kreispolizei Euskirchen Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt erstattet hat. In diesem Fall ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft. Das bestätigte deren Sprecher Dr. Sebastian Buß auf Anfrage.

Derzeit, so Rechtsanwalt Hermans, gingen die Behörden davon aus, dass es sich bei Selim A. um einen Ägypter handeln könnte, der über Italien eingereist ist. Das schließe man aus einem Fingerabdruck in einer italienischen Akte. Und darum solle Selim A. nach Italien abgeschoben werden. Die Einsicht in die Akten werde ihm aber von den Behörden verweigert, sagt Hermans.

Sollte es zur Abschiebung kommen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nie geklärt werden kann, was Selim A. am 15. Mai 2015 in der Bahnhofshalle in Satzvey passiert ist. Diese Sorge treibt Rechtsanwalt Hermans um.

Fest steht, das Selim A. an diesem 15. Mai 2015 ohne gültigen Fahrschein im Zug von Köln-Deutz nach Kall saß. Und das nicht zum ersten Mal. Schon zwei Tage zuvor war er mit Hilfe der Polizei des Zuges verwiesen worden, weil er keinen gültigen Fahrschein hatte.

Zugbegleiter rief die Polizei zu Hilfe

Bis heute, so Hermans, beharre Selim A. auf der irrigen Ansicht, dass seine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gleichzeitig ein Freifahrschein für den Zug seien. Die beiden Zugbegleiter, die ihn an diesem 15. Mai erneut erwischten, sahen das anders und forderten ihn auf, den Zug an der nächsten Station zu verlassen. Doch Selim A., der laut Hermans so gut wie kein Deutsch beherrscht und mit dem auch er nur mit Hilfe eines Dolmetschers spricht, erwies sich wie schon zwei Tage zuvor als äußerst renitent. Er wollte im Abteil bleiben. Wie zuvor soll er auf die Zugbegleiter in einer arabischen Sprache laut und aggressiv eingeredet haben. Und er habe wieder seine Kette aus der Hose genommen, um damit zu schlagen.

1310_Bahnhof_Satzvey_2

Daraufhin alarmierte der Zugbegleiter die Polizei, die nach 20 Minuten im Satzveyer Bahnhof eintraf. Nach den zwei Tage zuvor gemachten Erfahrungen rückten nun gleich vier Beamte an. „Die Kollegen haben ihn wohl noch relativ problemlos aus dem Zug geholt“, entnahm der Euskirchener Polizeipressesprecher Norbert Hardt dem Einsatzbericht.

Als die Beamten aber erklärt hätten, dass sie ihn nun mit zur Wache nehmen würden, sei der polizeibekannte Mann aggressiv geworden und habe sich widersetzt, so Hardt. Offenbar, so die Polizei, habe er zu dem Zeitpunkt unter Drogeneinfluss gestanden. Dieser Verdacht, so entgegnet Hermans, habe im Krankenhaus nicht mittels einer Blutprobe bestätigt werden können.

Unklar ist, was im Bahnhofsgebäude vor sich ging

Rechtsanwalt Hermans hat im wahrsten Sinne bildlich vor Augen, wie es zunächst weiterging. In einem Video, das andere Fahrgäste von dem Vorfall drehten und in Facebook einstellten, sah er selbst, wie die Polizisten den sich wehrenden Mann ins Innere des Bahnhofs zogen und den Fahrgästen, die das Geschehen filmten, den Zutritt verwehrten. Das Video, so Hermans, habe er damals rein zufällig gesehen und zu dem Zeitpunkt nicht geahnt, dass er den sich wehrenden Mann schon bald anwaltlich vertreten würde.

Als er den Fall übernahm, fand er den Film aber nicht mehr im Internet. Diese Erfahrung habe auch die Staatsanwaltschaft Bonn gemacht. Wie Rechtsanwalt Hermans erfuhr, gelang es dieser nicht, die Datei über Facebook zu erhalten.

Doch was geschah im Innern des Bahnhofsgebäudes? Dort, so geben die Polizeibeamten laut Hermans unisono an, sei der sich widersetzende Selim A. über eine Bank gestürzt. Dabei habe er sich die Verletzungen zugezogen. Das sagen sie laut Hermans so gleichlautend aus, dass der Rechtsanwalt nun den Verdacht hegt, die Aussagen könnten abgesprochen sein. Selim A. hingegen gibt an, er sei drinnen von Polizisten geschlagen und am Boden liegend getreten worden.

Fest steht, dass Selim A. keineswegs nur eine blutende Nase hatte. In Polizeibegleitung wurde er mit dem Rettungswagen ins Euskirchener Marien-Hospital gebracht. Auch dort, so Polizeisprecher Hardt, sei er noch derart renitent gewesen, dass das Krankenhauspersonal sich zunächst geweigert habe, ihm eine Blutprobe zu entnehmen.

„Wie unter einen Panzer gekommen“

Hermans bezweifelt, dass sein Mandant nur über eine Bank gestürzt ist. „Dann hätte er sich kein Schädelhirntrauma und wirklich an allen Körperteilen Hämatome zugezogen“, so der Rechtsanwalt. Er habe die Verletzungen auf Fotos gesehen: „Er sah aus, als sei er unter einen Panzer gekommen. Er schimmerte in allen Farben.“

Der ärztliche Bericht liege ihm vor. Darin habe der behandelnde Arzt Selim A. ausdrücklich geraten, gegen den Verursacher der Verletzungen Anzeige zu erstatten. Abgesehen vom Bruch des Nasenbeins, so Hermans, habe sein Mandant aber keine Folgeschäden erlitten. Hermans beschreibt Selim A. als „kleinen, quirligen Kerl“: „Ein einziger Polizist hätte ihn festhalten können, geschweige denn vier, ohne dass der Mann so viele Verletzungen davongetragen hätte.“

Fahrgäste beschuldigten den Zugbegleiter

Allerdings scheint Selim A. ein Zeitgenosse zu sein, dem recht schnell die Sicherungen durchbrennen. Aktuell wartet laut Hermans ein Verfahren mit mehreren Anklagepunkten auf ihn, so wegen Schwarzfahrens und räuberischen Diebstahls. In einem Kiosk soll er mit einer Tasse nach dem Verkäufer geworfen haben, als dieser ihm keine Zigaretten aushändigen wollte.

Ob der Hergang jemals geklärt werden kann, bezweifelt Hermans. Er hofft nun darauf, dass die 20 bis 30 Fahrgäste, die an diesem Tag aus dem Zug gestiegen waren und das tumultartige Geschehen beobachteten, sich als Zeugen zur Verfügung stellen.

In seinem Bericht hatte der Zugbegleiter vermerkt, dass Fahrgäste über das Vorgehen der Polizisten empört gewesen seien. Auch er selbst sei von mehreren Personen beschimpft worden, weil durch seine Schuld der Mann nun Schwierigkeiten habe. Er sei von einigen der Fahrgäste sogar massiv angegangen worden und habe danach seinen Dienst nicht mehr fortsetzen können.

Für die Kreispolizei erklärte Landrat Günter Rosenke auf Anfrage dieser Zeitung, dass er keine Stellungnahme abgeben könne, da es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handele.