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Aus der Notaufnahme SchleidenRettungsdienst im Kreis Euskirchen bereitet Neuerungen vor

Lesezeit 6 Minuten
Bei einer Katastrophenschutzübung in Euskirchen kümmern sich Rettungsdienst-Mitarbeiter um eine Verletzten-Darstellerin.

112 wählen – Hilfe bekommen: Der Rettungsdienst, hier bei einer Übung in Euskirchen, hat pro Jahr mehr als 30.000 Einsätze zu bewältigen.

Mehr Personal, mehr Wachen, mehr Fahrzeuge, mehr Komponenten: Der Rettungsdienst im Kreis Euskirchen plant viele Neuerungen.

Den letzten beißen die Hunde. Ist der Rettungsdienst im Kreis Euskirchen der sprichwörtlich letzte, der hilft, wenn kein anderer mehr da ist? Wenn beispielsweise mit der Schließung der Notaufnahme im Krankenhaus Schleiden zum Monatsende eine wichtige Komponente der Notfallversorgung wegfällt? In gewisser Hinsicht: Ja. Denn: Wer die Notrufnummer 112 wählt, erhält Hilfe. Martin Fehrmann, Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr beim Kreis, fasst das Prinzip zusammen: „Wenn wir nicht kommen, kommt keiner mehr.“

Schon deswegen verbietet sich für die Verantwortlichen eine Vogel-Strauß-Mentalität. Stattdessen machen sie sich seit Monaten Gedanken, wie sie sich trotz knapper Ressourcen, Personalmangel und hohen Einsatzzahlen – mehr als 30.000 Einsätze pro Jahr, Tendenz klar steigend – aufstellen. Manches ist kurzfristig umsetzbar, manches braucht aufgrund von Genehmigungen und Beschlüssen mehr Zeit.

Schließung der Notaufnahme Schleiden wird sich auswirken

Landrat Markus Ramers skizziert die Grundproblematik: Der Kreis hat jede Menge Fläche, eine eher geringe Klinik-Dichte und nicht so viele niedergelassene Ärzte: „Die Gesundheitsversorgung ist eine Herausforderung – und bisweilen schwierig. Die Decke ist eigentlich immer zu kurz.“ Doch er sagt auch: „Wer die 112 wählt, tut das nicht aus Spaß oder Langeweile, sondern weil er sich als Notfall betrachtet und anderswo keine Hilfe bekommt.“

Nun also der Wegfall der Notaufnahme in Schleiden, wo jährlich rund 8000 Patienten behandelt werden, von denen aber mehr als 70 Prozent nach ambulanter Versorgung wieder nach Hause können.

Ja, sagen Fehrmann und Tobias Ahnert, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes: Es werden dadurch wohl mehr Einsätze auf den Rettungsdienst zukommen. Jedoch: Unabhängig von den schweren Fällen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen, die schon lange keine Fälle mehr für Schleiden sind, werde das Krankenhaus bereits seit rund anderthalb Jahren tendenziell nicht mehr vom Rettungsdienst angesteuert, wenn von einer stationären Aufnahme des Patienten auszugehen sei. Stattdessen sei der Rettungsdienst eher bei Patienten-Verlegungen von Schleiden nach Mechernich gefordert – daher könne sich dies möglicherweise in gewissem Maße ausgleichen.

Im Kreis Euskirchen gibt es künftig mehr Wachen und Fahrzeuge

Der neue Rettungsdienstbedarfsplan des Kreises biegt auf die Zielgerade ein. Laut Geschäftsbereichsleiterin Julia Baron ist mit der Verabschiedung durch den Kreistag vor Weihnachten oder Anfang des Jahres zu rechnen. Und der Plan sieht einen Ressourcenmehrbedarf von 40 Prozent vor. Sprich: mehr Personal, mehr Wachen, mehr Fahrzeuge.

Tobias Ahnert trägt Rettungsdienst-Kleidung und steht in der offenen Tür eines Rettungswagens. Er unterhält sich mit Julia Baron, Markus Ramers und Martin Fehrmann, die vor dem Rettungswagen stehen.

Wie der Rettungsdienst all seine Aufgaben bewältigen kann und möglichst optimal aufgestellt wird, treibt Julia Baron (v.l.), Markus Ramers, Tobias Ahnert und Martin Fehrmann um.

Gerade mit Blick auf den Wegfall der Notaufnahme in Schleiden werde man jedoch laut Ramers einige Maßnahmen, die im neuen Plan verankert sein werden, bereits jetzt angehen. Etwa bei Personal-Einstellungen. Oder bei der Bestellung von Fahrzeugen, da hier mit Lieferzeiten von zwei Jahren zu rechnen ist. Aktuell sind fünf der zwölf Rettungswagen (RTW) mit dem Telenotarzt-System ausgestattet, das sich seit Jahren im Kreis bewährt hat. Künftig sollen alle RTW darüber verfügen.

Das Personal im Rettungsdienst wird deutlich aufgestockt

80 Mitarbeiter hat der Kreis-Rettungsdienst, noch einmal „mehr als das doppelte“ (Fehrmann) stellen die Partner DRK und Malteser. Und jetzt 40 Prozent plus? Ja, sagt auch Baron: Vor einigen Jahren wäre das ein Grund zum Jubeln gewesen – heute angesichts des leer gefegten Marktes beim Rettungsdienstpersonal eher weniger. Doch so pessimistisch, wie sie noch vor zwei Jahren gewesen wäre, sei sie heute nicht mehr.

Der Kreis als Arbeitgeber habe einiges getan, um attraktiver zu werden: So seien etwa die Strukturen verbessert worden. Es gebe feste Wachstandorte, Gesundheits- und Weiterbildungsprogramme. Zudem bildet der Kreis Notfallsanitäter nun selbst aus: Sieben sind aktuell in der Ausbildung, zwei weitere kommen demnächst dazu. Und auch wenn Geld alleine nicht glücklich macht: „Wir reizen den Tarifvertrag voll aus“, sagt Baron.

Es werden neue Rettungswachen eingerichtet – offen ist, wo

Zehn Wachen gibt es aktuell im Kreis. Drei betreibt der Kreis, sieben DRK und Malteser. Wo genau die neuen Wachen sein werden, steht noch nicht fest – laut Ramers dürften es aber zwei im Südkreis sein. Auch sei davon auszugehen, dass bestehende Standorte aufgewertet werden, also dort beispielsweise zwei statt einem Rettungswagen stationiert werden.

Ramers: „Wir machen das Gegenteil von Zentralisieren. Bei etwas Existenziellem wie der Gesundheitsversorgung darf niemand schlechter gestellt sein, der in einem Dorf wohnt und nicht in der Stadt.“

Ein N-KTW ist im Kreis Euskirchen als Pilotprojekt im Einsatz

Als Reaktion auf die Ressourcenknappheit hat der Kreis bereits reagiert und in einem Pilotprojekt ein Fahrzeug in Dienst gestellt, das es so eigentlich noch gar nicht gibt: den N-KTW (Notfall-Krankentransportwagen), der als eine Art Zwischenstufe zwischen Rettungs- und Krankenwagen zu verstehen ist. Er kann laut Ahnert eingesetzt werden, wenn die vorgeschriebene Hilfsfrist von acht Minuten in der Stadt Euskirchen und zwölf Minuten in den anderen, ländlich geprägten Kommunen mit ihren langen Fahrtwegen nicht eingehalten werden muss, da der Anrufer den Disponenten in der Rettungsleitstelle weder einen schweren Notfall noch gar eine lebensbedrohliche Lage geschildert hat.

Entscheidend ist auch, dass das Fahrzeug im Gegensatz zum RTW mit Rettungssanitätern besetzt werden kann und nicht mit Notfallsanitätern besetzt sein muss. An letzteren herrscht nach wie vor akuter Mangel – unter anderem, weil es diese komplexe Ausbildung noch gar nicht so lange gibt.

Fest vorgeplant ist der N-KTW in der Leitstelle (noch) nicht. Doch es ist nicht auszuschließen, dass dieses Modell sich im neuen Rettungsgesetz wiederfindet. Der erste Referentenentwurf wird in wenigen Tagen erwartet, mit einem Beschluss im Landtag ist nicht vor Mitte 2025 zu rechnen. Zu dem Modell, durch das man laut Ahnert eine Vorreiterrolle eingenommen hat, sei der Kreis in den Planungen zum neuen Gesetz bereits gehört worden.

Als Sofortmaßnahme können Retter aus der Freizeit gerufen werden

Spitzen- und Sonderbedarfe sind bereits in den Plänen verankert, beispielsweise für Großeinsatzlagen. Dann werden Rettungsdienst-Mitarbeiter des Kreises, von DRK und Maltesern aus der Freizeit in den Einsatz beordert.

Dieses Instrumentarium kann in den kommenden Wochen greifen, falls sich nach der Schließung der Notaufnahme in Schleiden ein erhöhtes Einsatzaufkommen entwickelt. Eine Dauerlösung ist derartiges nicht, kann aber helfen, eine Zeit zu überbrücken, bis andere Lösungen greifen.

Ein Gemeindenotfallsanitäter könnte in Schleiden helfen

Um ein weiteres Pilotprojekt, das in NRW im Kreis Heinsberg erprobt wird, will der Kreis sich bemühen: den Gemeindenotfallsanitäter. Für Schleiden, so Ramers, könnte das passen: Es sei jemand, der kleinere Fälle selbst behandeln und vor allem eine Einschätzung vornehmen kann, ob der Patient seinen Hausarzt aufsuchen soll – oder ob ein RTW angefordert werden muss, damit der Patient schnellstmöglich in die Klinik kommt. Ob dieser Notfallsanitäter die Patienten aufsucht oder an einem Ort stationiert wird, ist völlig offen. Ebenso, wann dies umgesetzt werden könnte, da hier einige Abstimmungen und Genehmigungen erforderlich sind.

Ramers hält ein solches Projekt für wichtig und hilfreich, sagt aber auch klar: „Es kann nicht den Wegfall einer Notaufnahme kompensieren – das geht gar nicht.“

Die Rettungsleitstelle benötigt Rechtssicherheit

Mehr als 30.000 Einsätze des Rettungsdienstes haben die Mitarbeiter der Leitstelle jedes Jahr zu disponieren. Die Kunst ist es, so schnell wie möglich herauszufinden, welches Rettungsmittel benötigt wird. Das geschieht per strukturierter Notrufabfrage, in der alle Mitarbeiter geschult sind. Jedoch wird der Rettungsdienst „bunter und vielfältiger“, wie es Fehrmann beschreibt – etwa, wenn die Optionen um den N-KTW erweitert werden.

Das macht es nicht einfacher für die Disponenten. Und: Aktuell fehlt die Rechtssicherheit – wodurch sie in der Konsequenz das höherwertige Rettungsmittel wählen. „Das hilft dem System aber nicht“, sagt Fehrmann. Daher erhoffe er sich durch das neue Rettungsgesetz die entsprechende Sicherheit.

„Notfallversorgungs-Gipfel“ im Kreis Euskirchen wird fortgesetzt

Am Mittwoch haben sich alle Beteiligten zu einem ersten „Notfallversorgungs-Gipfel“ getroffen: der Kreis, die Krankenhäuser, die Kassenärztliche Vereinigung (KV), der Rettungsdienst. Ramers weist zwar darauf hin, dass die KV die ambulante Versorgung der Patienten sicherzustellen habe. Er sieht jedoch auch die schwierige Gesamtlage und mag keinesfalls Schwarze Peter hin- und herschieben. Er wertet das Gespräch als „guten Auftakt und Austausch“, der fortgesetzt werden solle.